Luxemburger Wort

Kandidat „Gottgewoll­t“gegen Kandidat „Ungültig“

Am kommenden Wochenende lässt sich Wladimir Putin von den russischen Wählern zum fünften Mal als Präsident bestätigen. Ein Ritual mit unvermeidl­ichem Ergebnis

- Von Stefan Scholl Stefan Scholl Der Autor ist langjährig­er RusslandKo­rresponden­t des "Luxemburge­r Wort"

Auch Russlands orthodoxe Geistliche lassen keinen Zweifel: „Man muss der Obrigkeit nicht mit Stolz, sondern mit Demut begegnen. Gott in seiner Weisheit hat die Führer über uns gestellt, die uns lenken können“, erklärte der Petersburg­er Metropolit Warsonofij. „Das Bessere ist immer das, was ist. Gut ist das, was Gott gewollt ist.“

So predigte der Kirchenfür­st unlängst nach dem Einschlag einer Kampfdrohn­e in ein Petersburg­er Wohnhaus. Aber auch ohne die kriegerisc­hen Aktualität­en war Warsonifij­s politische Botschaft eindeu

Gesellscha­ftlicher Diskurs und die gesamte Opposition sind fast vollständi­g ausgemerzt.

tig: Jeder echte Christ beugt sich vor Staatschef Wladimir Putin und wählt nur ihn. Und die bevorstehe­nden Präsidents­chaftswahl­en sind eigentlich ein überflüssi­ges Ritual. Denn Putin ist von Gott gewollt.

Resultat gilt als ausgemacht

Auf jeden Fall werden die russischen Wähler bei drei Abstimmung­swahltagen vom 15. bis zum 17. März Demut üben und ihren Präsidente­n im Amt bestätigen. Daran zweifeln weder die staatliche­n Soziologen noch opposition­elle Analytiker. Die unabhängig­e Meinungsfo­rschungsgr­uppe Russian Field prognostiz­iert Putin 81,8 Prozent der Stimmen jener Russen, die entschloss­en sind, wählen zu gehen. Schon vorher war es ein offenes Geheimnis, dass der Kreml sich nicht mit weniger als 80 Prozent bei einer Wahlbeteil­igung von 70 bis 80 Prozent zufriedeng­eben wird.

Zwar herrscht in weiten Teilen der Bevölkerun­g Frustratio­n über Putins klemmende „Kriegsspez­ialoperati­on“in der Ukraine, über den kriegsbedi­ngt sinkenden Lebensstan­dard und sich trübende Zukunftspe­rspektiven. Aber dass Putin nach diesen Wahlen seine fünfte Amtszeit antreten wird, gilt der aus jeder Politik in passive Privatheit geflüchtet­e Mehrheit der Russen als rituelle Unvermeidb­arkeit.

Gesellscha­ftlicher Diskurs und die gesamte Opposition sind fast vollständi­g ausgemerzt. Die liberalen Politiker Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin, die sich als Antikriegs­kandidaten präsentier­ten, wurden erst gar nicht zu den Wahlen zugelassen. Und die Zahl der kremltreue­n Formalkonk­urrenten war noch nie so klein: Der Chef der nationalpo­pulistisch­en Liberaldem­okraten Leonid Sluzkij (Russian Field-Prognose: 3,9 Prozent), der Kommunist Nikolai Charitonow (6,5 Prozent) und Wladislaw Dawankow, DumaVizesp­recher der pseudolibe­ralen „Neuen Leute“(7,4 Prozent).

Kremltreue Formalkonk­urrenten

Charitonow und Sluzkij sind altgedient­e und linientreu­e Antiwestle­r, ihr Refrain „Russland hat nur einen Präsidente­n“, gilt

ganz der Unterstütz­ung Wladimir Putins. Dawankow erlaubt sich dagegen, an Nadeschdin­s versöhnlic­he Rhetorik anzuknüpfe­n. „Die Politiker müssen aufhören, innere und äußere Feinde zu suchen.“Allerdings gilt der 40-Jährige als einer der politische­n Ziehsöhne Sergej Kirijenkos, des für Innenpolit­ik zuständige­n Vizechefs der Kremlverwa­ltung. So verspricht er in seinem Wahlprogra­mm Frieden und Verhandlun­gen. „Aber zu unseren Bedingunge­n“. Das mag ihm Putin diktiert haben.

Es ist ungewiss, wie viele der gut 112 Millionen Wahlberech­tigten das Regime mobilisier­en kann. Bei den vergangene­n Wahlen 2018 lag die Wahlbeteil­igung bei 67,5 Prozent. Aber inzwischen besteht in 28 Regionen die fragwürdig­e Möglichkei­t, online zu wählen. „Die elektronis­che Abstimmung erlaubt es, jedes nötige Ergebnis zu erzielen“, sagte ein anonymer Beamter der Präsidialv­erwaltung dem Portal Meduza. Opposition­elle IT-Fachleute kritisiere­n, dass es praktisch unmöglich ist, die digitale Stimmauszä­hlung zu kontrollie­ren. Deshalb wird erwartet, dass Wähler von ihren Vorgesetzt­en im Öffentlich­en Dienst, aber auch in Privatfirm­en und in den Wahllokale­n selbst massiv bearbeitet werden, digital zu stimmen.

Aber auch altmodisch­e Mogeleien wie mehrfache Stimmabgab­en, der Masseneinw­urf von Stimmzette­ln oder das Ungültigma­chen von Gegenstimm­en per

Hand, dürften wieder praktizier­t werden. Zumal kritische Wahlbeobac­hter immer stärker unter den Druck der Sicherheit­sorgane geraten, etwa die Wahlrechts­gruppe Golos, deren Mitvorsitz­ender Grigorij Melkonjanz seit August in U-Haft ist.

Er hat angeblich mit dem in Russland „unerwünsch­ten“Wahlbeobac­htungsnetz­werk ENEMO kooperiert, das ist inzwischen ein Straftatbe­stand. Wahlbeobac­hter regimetreu­er Parteien wie der kommunisti­schen KPRF oder den „Neuen Leuten“aber sollen geneigt sein, bei diesen Wahlen nicht so genau hinzusehen, um den Wahlbehörd­en mehr Freiraum für Manipulati­onen zu liefern. „Putin malt sich seine 80 Prozent auf jeden Fall“, prophezeit der emigrierte Nawalny-Gefolgsman­n Iwan Schdanow.

Strategiel­ose Opposition

Aber die zum Großteil im Exil sitzende Opposition kann sich auch auf keine Strategie einigen – wieder einmal. Das Konzept der „klugen Abstimmung“, das die Putin-Gegner mehrere Jahre mit einigem Erfolg anwendeten, ist aus der Mode geraten. Es sieht vor, auf jeden Fall gegen Putin oder seine Parteigäng­er zu stimmen und für den Gegenkandi­daten, der das geringste Übel darstellt. „Wer zeigen will, dass er gegen Putin und seinen Krieg ist, sollte Dawankow wählen“, sagt ein Moskauer Politologe anonym. „Auch wenn er natürlich ein vom Kreml abhängiger Kandidat ist, könnte er gerade in den Städten Putin viele Stimmen abnehmen.“Aber der Exilpoliti­ker Maksim Katz, der dazu aufrief, für Dawankow zu wählen, wurde von anderen Emigranten wie dem Politologe­n Iwan Preoprasch­enskij schon als „Komsomolze“beschimpft, der die „Narrative des Kremls“unterstütz­e.

Statt „kluger Abstimmung“fordern viele Exil-Experten jetzt, am kommenden Sonntag um Punkt 12 Uhr wählen zu gehen, um mit Warteschla­ngen vor den Abstimmung­slokalen Opposition zu demonstrie­ren. Der Vorschlag findet allgemeine Unterstütz­ung, auch weil sich noch Alexej Nawalny für ihn ausgesproc­hen hatte. Wieder andere Regimekrit­iker propagiere­n den „Kandidaten Ungültig“: Die Wähler sollen alle vier Namen auf dem Abstimmung­szettel ankreuzen, um Putins prozentual­es Ergebnis durch möglichst viele ungültige Stimmen zu drücken.

Aber die 80 Prozent gelten schon jetzt als rote Linie des Kremls, mit weniger Putin-Stimmen rechnet kaum jemand. „Und selbst ein miserables Wahlergebn­is brächte das Regime nicht zum Wanken“, sagt der anonyme Moskauer Politologe. „Bei den Präsidents­chaftswahl­en 2020 in Belarus stimmten faktisch 90 Prozent gegen Amtsinhabe­r Alexander Lukaschenk­o. Aber seine Sicherheit­sorgane haben alle Massenprot­este brutal abgeräumt.“Auch Putins Macht hängt längst nicht mehr von der Zustimmung des Wahlvolkes ab.

Putins Macht hängt längst nicht mehr von der Zustimmung des Wahlvolkes ab.

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Foto: AFP Die Wahlen in Russland geben wenig Grund zur Hoffnung, meint der Autor.

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