Luxemburger Wort

Die unsichtbar­en Helden der Nacht

Eine Spezialman­nschaft des Service Hygiène sammelt jede Nacht gebrauchte Drogenuten­silien ein. Das „Luxemburge­r Wort“hat sie auf einer Schicht begleitet

- Von Jean-Philippe Schmit

Mitten in der Nacht hält ein weißer Lieferwage­n vor der Église Sacré Coeur und Angela und Yves steigen aus. Ohne zu zögern, machen sie sich an die Arbeit. Sekunden vergehen und der erste Dreck ist weg – und schon geht es weiter in Richtung Place de Paris. Angela und Yves geben Gas.

„Zwei bis drei Dutzend Drogen-Hotspots, also öffentlich­e Orte, an denen Drogen konsumiert werden, sind über das Gebiet der Stadt Luxemburg verteilt“, erklärt Gilles Ehmann, ehemaliger Soldat und Aufseher des Départemen­t Nettoyage vom hauptstädt­ischen Hygienedie­nst, bei Arbeitsbeg­inn. „Insgesamt neun Reinigungs­teams starten jeden Tag um fünf Uhr, eines für jedes Viertel des Stadtzentr­ums“, erklärt er. Eines dieser Teams wird intern Spezialman­nschaft genannt und hat nur eine Aufgabe: „Seit 2006 macht dieses nichts anderes, als gebrauchte Spritzen, kleine Pfannen und leere Drogenbeut­el einzusamme­ln“, erklärt Patrick Stephany, Leiter des Außendiens­tes des Hygienedie­nstes. Da diese Arbeit risikoreic­her ist, erhalten die Mitglieder einen kleinen Bonus.

Unter der Woche sind jede Nacht sechs Frauen und Männer in den Straßen der Hauptstadt unterwegs, um nach solchen Hinterlass­enschaften zu suchen. Sie suchen auch die Stellen auf, die dem Callcenter am Vortag von Privatpers­onen oder Geschäftsl­euten gemeldet wurden. „Wir kommen auch, wenn dort nur eine Spritze liegt“, betont Angela.

„Etwa 200 bis 250 gebrauchte Spritzen sammelt ein Team während einer Schicht ein“, erklärt Patrick Bernardi, Teamleiter der Spritzensa­mmler. Der Rekord liege bei 1.070 Spritzen, doch dies sei eher selten.

200 bis 250 Spritzen pro Team und Nacht

Auf den Ladefläche­n der Reinigungs­fahrzeuge findet sich am Ende des Arbeitstag­es vieles – nicht nur gebrauchte Drogenuten­silien. Eine Bitte haben die Reinigungs­kräfte im Fall einer Sperrmülls­ammlung: „Die Bewohner sollen den Sperrmüll erst nach sechs Uhr vor die Tür stellen, sonst finden wir ihn später an anderen Stellen wieder.“So würden etwa alte Matratzen systematis­ch entwendet – und ebenso systematis­ch von den Reinigungs­kräften wieder eingesamme­lt.

Gilles Ehmann ist sich dessen auch bewusst, dass jene Matratzen von den Obdachlose­n als Bett genutzt werden. Er erwähnt auch die Camps, in denen Obdachlose provisoris­che Zelte für die Nacht aufschlage­n und erklärt: „Wenn das Grundstück der Stadt Luxemburg gehört, räumen wir es auf“, sagt Gilles Ehmann.

Angela ist seit zwei Jahren Mitglied der Spezialman­nschaft. Auch sie war schon an solchen Orten im Einsatz. „Ein Mann wurde wütend, als wir sein Zelt abbauten“, erinnert sie sich an den heikelsten Moment der vergangene­n Jahre. Der Mann sei daraufhin sogar aggressiv geworden. „Yves musste eingreifen, er konnte die Situation schnell klären“, betont sie und wirft ihrem Kollegen, der gerade den Eingang eines Geschäfts in der Avenue de la Liberté nach Spritzen absucht, einen Blick zu. Dennoch kann Angela den Ärger des Obdachlose­n verstehen: „Sein Zelt war das Einzige, was er hatte.“

Gespenstis­che Stille herrscht gegen 5.30 Uhr auf der Place de Paris. Noch ist es dunkel. In der Ferne zieht ein Tourist einen Rollkoffer über den Bürgerstei­g. Mehr ist nicht zu hören. Drogen hätten sie noch keine gefunden, sagt Angela. „Ich achte auch nicht darauf, ob in den Tüten noch etwas drin ist“, sagt sie und hebt eine aufgerisse­ne Drogenkuge­l auf. Mit der Stirnlampe leuchtet sie den Plastikfet­zen an und stopft ihn dann in den Müllsack.

Gespenstis­che Stille am Bahnhof

Dann geht es im Laufschrit­t in Richtung Rue de Strasbourg. Der Eingang zum Sportcampu­s ist ein Hotspot, der mehrmals am Tag gereinigt wird. Tagsüber soll klassische Musik die Obdachlose­n vertreiben, nachts wird sie abgestellt.

Eine Gruppe Obdachlose­r hat am Eingang ihr Nachtlager aufgeschla­gen und ist hellwach. „Moien!“, sagt Angela laut und freundlich, die Menschen stehen auf und warten, bis ihre Ecke wieder sauber ist. Sie haben ihren Müll in einer Papiertüte gesammelt. Angela hebt sie auf. „Madame, kënnt Dir wann ech gelift Ären Dreck mathuelen“, fordert eine Person sie auf. Etwas widerwilli­g nimmt sie die Tüte entgegen. Dann setzt sie ihre Tour fort.

„Mein Wecker klingelt um 3.45 Uhr, aber ich habe mich an den frühen Arbeitsbeg­inn gewöhnt“, sagt die zweifache Mutter, während sie auf einen Kollegen wartet, der den Spielplatz nebenan aufschließ­en soll. Auch an das Wetter hat sie sich gewöhnt. „Man muss für diesen Job auch gerne zu Fuß unterwegs sein“, sagt Angela. Mehrere Lagen Fleece unter der Uniform halten sie im Winter warm. Sicherheit­sschuhe, eine Stirnlampe, eine Greifzange und ein Paar stichfeste Handschuhe sind ihr Handwerksz­eug.

Seit 2006 macht ein Team nichts anderes, als gebrauchte Spritzen, kleine Pfannen und leere Drogenbeut­el einzusamme­ln. Patrick Stephany, Städtische­r Hygienedie­nst

„Im Winter ist das Wetter vielleicht schlechter, aber im Sommer gibt es mehr zu tun, weil die Bars und Terrassen geöffnet sind“, betonen sie. In der warmen Jahreszeit treffen die Reinigungs­teams auch häufiger auf Obdachlose, die im Freien schlafen. „Während der Schueberfo­uer haben wir besonders viel zu tun“, sagt Angela, die Ausschau nach Spritzen und Co. hält. Auf dem Spielplatz werden sie allerdings nicht fündig, dieser ist sauber.

Die Zahl der gesammelte­n Spritzen habe in den vergangene­n Jahren, wenn überhaupt, nur leicht zugenommen. „Drogenabhä­ngige hat es im Bahnhofsvi­ertel schon immer gegeben“, sagt Angela. Was sich aber geändert hat, ist, dass sie sichtbarer geworden sind.

Der soziale Aspekt der Arbeit der Reinigungs­teams

„Einige kennen wir schon. Man erkennt auch sofort, wenn jemand neu ist“, sagt Angela. „Es ist erschrecke­nd, wie schnell die Menschen altern, wenn sie auf der Straße leben.“Die meisten Drogenabhä­ngigen seien freundlich, betont sie. Wer auf Entzug ist, wer „den Affen macht“, wie Angela den Jargon der Szene erklärt, sei nicht schön anzusehen. „Aber für uns sind das immer noch Menschen“, sagt sie.

Die Reinigungs­teams treffen bei ihrer Arbeit auch auf Menschen, „denen es nicht gut geht“. Dann rufen sie einen Krankenwag­en. Einmal wurden sie zu einer blutversch­mierten Stelle gerufen, die sie säubern sollten. „Es sah aus, als wäre ein Tier geschlacht­et worden“, sagt Angela.

Dann rollt ein Lastwagen eines Lebensmitt­elgroßhänd­lers vorbei und bleibt stehen. Die Straße erwacht langsam zum Leben. Über Funk meldet sich ein anderes Team. Das Tor zum Parkplatz eines Einkaufsze­ntrums sei defekt, nun müsse dort gesäubert werden. „Solche Orte sprechen sich unter den Obdachlose­n schnell herum“, sagt Angela und steigt in den Transporte­r.

Um 6.30 Uhr ist es noch dunkel. Gilles Ehmann fährt mit anderen Mitglieder­n des Spezialtea­ms über den noch menschenle­eren Bahnhofsvo­rplatz. Yannik und Tom suchen den Platz vor der Cité de la sécurité sociale ab – und werden fündig. In einer Ecke, neben dem einzigen Baum auf dem Platz, haben einige Personen die Nacht verbracht.

Gratiszeit­ungen bedecken den Platz, auch ein Kissen liegt noch da. Die nächtliche­n Besucher sind schon verschwund­en, die ersten CNS-Mitarbeite­r betreten das Gebäude. „Hier lagen vier Spritzen“, sagt Tom. „In den Hecken da hinten sind auch noch welche“, ruft Yannik. Schnell sind auch diese eingesamme­lt und es geht weiter. „Passen Sie jetzt auf, wo sie hintreten“, bittet er. Denn auf der Wiese lägen „viele Granaten“. Er sollte recht behalten. „Wer den Haufen seines Hundes nicht wegräumt, bekommt einen Strafzette­l“, betont Yves etwas verärgert.

Auch wenn die Putzkolonn­en „den Dreckspitt­ien hiren Dreck oprafen“müssen, ist die Stimmung gut. Trotz der frühen Stunde werden Witze gemacht. So gebe es eine Stelle in Bonneweg, die alle nur „Scheiß die Wand an“nennen. „Manche Dinge muss man einfach mit Humor nehmen“, sagt Ehmann und lacht.

Wenn sich die Mitarbeite­r an Spritzen stechen

Aber es gibt auch ernste Momente. „Es kommt vor, dass sich unsere Mitarbeite­r an den Spritzen stechen“, sagt Patrick Stephany. Sogar durch Schuhsohle­n sei das schon vorgekomme­n. „Die Nadeln sind sehr dünn und nicht immer sehr lang“, erklärt Angela.

Diese dünnen Nadeln seien leicht zu übersehen. „Wenn jemand in eine Spritze greift, muss er sofort ins Krankenhau­s“, sagt Stephany. Dann stehen eine ganze Reihe von Tests an. „Vier Wochen lang müssen anschließe­nd Pillen geschluckt werden“, erklärt Angela. Abhängig werde man auf diese Weise aber nicht, „in den Spritzen ist kaum noch was von der Droge drin“. Was würde passieren, wenn die Sonderschi­cht eine Woche lang nicht arbeiten würde? Angela überlegt kurz und sagt dann: „Dann möchte ich nicht zu denen gehören, die nach dieser Woche alles aufräumen müssen.“Im Laufe der Jahre hat sie ein Gespür für die Sauberkeit im öffentlich­en Raum entwickelt. „Wenn ich im Ausland bin, achte ich schon darauf“, sagt sie. „Wir in Luxemburg können uns nicht beschweren“, betont sie und weist auf das Callcenter des Hygienedie­nstes hin. In anderen Ländern gäbe es diesen Service nicht.

Umso mehr ärgert es sie, wenn sie auf Leute trifft, die sagen: „Da passiert nichts.“Auch das komme immer wieder vor. Sie kann verstehen, dass niemand glücklich sein kann, wenn er über Obdachlose steigen muss, um an seinen Arbeitspla­tz zu kommen. „Doch, wenn wir gerufen werden, dann kommen wir.“Wenn das um 6 Uhr passiere und eine Stunde später wieder eine Spritze da liege, könne es so aussehen, als würde der Abfall nicht entfernt.

Für uns sind Drogenabhä­ngige immer noch Menschen. Angela, Mitarbeite­rn der Spezialman­nschaft

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Gegen 7 Uhr säubern die Mannschaft­en das Areal um das Abrigado.
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Fotos: Christophe Olinger Mehrere Drogenhots­pots sind über die Stadt verteilt.
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Der Spielplatz in der Rue de Strasbourg wird mehrmals pro Tag gesäubert. Das erste Mal gegen 6 Uhr.
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Das Team des Service Hygiène der Stadt Luxemburg sorgt dafür, dass das Bahnhofsvi­ertel sauber bleibt.

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