Luxemburger Wort

Junger Mann schildert sexuellen Missbrauch durch Hausarzt

Insgesamt drei Patienten erheben schwere Vorwürfe gegen einen Mediziner aus Echternach. Die Behörden ermitteln. Es gibt Hinweise auf weitere Opfer

- Von Maximilian Richard

„Hie war eng Vertrauens­persoun“, sagt Louis (Name von der Redaktion geändert) über seinen früheren Hausarzt. Schon als Kind habe er die Praxis des Mediziners aufgesucht, oft auch ohne die Begleitung seiner Eltern. Bis zu seinem 18. Lebensjahr sei auch nie etwas vorgefalle­n. Im Jahr 2015 sei es dann aber zu einem ersten Vorfall gekommen. Weitere seien gefolgt. Unter dem Vorwand von medizinisc­hen Untersuchu­ngen soll der Arzt den jungen Mann mehrmals sexuell missbrauch­t haben.

Dr. Marc D. befindet sich derzeit in Untersuchu­ngshaft. Ein Ermittlung­srichter erließ am 23. Februar einen Haftbefehl gegen den Allgemeinm­ediziner aus Echternach, nachdem zum dritten Mal ein Patient schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben hatte. Erste Ermittlung­en gegen den Mann hatten die Strafverfo­lgungsbehö­rden bereits im Juli 2021 eingeleite­t, nachdem Louis und ein weiterer Mann zwei Monate zuvor Anzeige gegen den Arzt erstattet hatten. Bis zu seiner Inhaftieru­ng im Februar durfte der 52-Jährige ohne Einschränk­ungen weiterarbe­iten.

„Wee sinn ech fir en Dokter ze hannerfroe­n?“

Mit sicherer Stimme erzählt der heute 27jährige Louis im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“von jenem Arztbesuch im Jahr 2015. Die Trennung seiner Eltern habe ihn in dieser Zeit schwer belastet. Wegen anhaltende­r Bauchschme­rzen sei er zum Arzt gegangen. „Do sot hien, et kéint eng Bakterie oder e Virus sinn“, erinnert sich der junge Mann. Der Arzt habe ihn dann für eine Ultraschal­luntersuch­ung in einen anderen Raum gebracht. Zunächst habe er nur den Bauch untersucht. „En huet gesot, et hätt sech ausgebreet. Et geet méi rof.“Der Arzt habe ihn aufgeforde­rt, die Hose auszuziehe­n, um den Genitalber­eich untersuche­n zu können. Er habe zugestimmt: „Ech war déck besuergt.“

Der junge Mann schildert detaillier­t, wie ihn der Arzt bei der Untersuchu­ng ohne Handschuhe unangemess­en berührt und im Intimberei­ch massiert habe. „Et huet mech komplett erstarrt, wou dat geschitt ass. Et huet sech komesch ugefillt, et huet sech falsch ugefillt“, sagt der 27-Jährige. „Ech wollt net ze vill doriwwer nodenken. Ech hu mer geduecht, heen ass en Dokter, e weess, wat e mécht.“

Auch wegen seines Alters habe er sich nicht getraut, etwas zu sagen. Schließlic­h war er erst 18 Jahre alt, ein LycéeSchül­er. „Wee sinn ech, fir en Dokter ze hannerfroe­n?“Und so habe er auch nicht widersproc­hen, als der Arzt behauptet habe, er müsse auch die Prostata untersuche­n und ihm seinen Finger in den Enddarm gesteckt habe.

„Ech wollt einfach nëmme vergiessen“

Dr. Marc D. habe ihn mit einem Rezept für Antibiotik­a und einem neuen Termin nach Hause geschickt. Die Bauchschme­rzen blieben. Und auch beim nächsten Arztbesuch habe sich der Missbrauch wiederholt, sagt Louis. Bei der Untersuchu­ng der Prostata habe der Arzt ohne Vorwarnung deutlich mehr als einen Finger benutzt. Das sei sehr schmerzhaf­t gewesen. Die nächsten vier Jahre sei er nicht mehr in der Praxis gewesen, erzählt Louis. „Ech wollt einfach nëmme vergiessen.“Mit niemandem habe er über seine Erfahrunge­n gesprochen. Er habe versucht, sich auf die Schule zu konzentrie­ren.

2019 sei es unter dem Vorwand medizinisc­her Untersuchu­ngen erneut zu sexuellen Übergriffe­n durch den Arzt gekommen. Er sei wieder wie erstarrt gewesen. Danach habe Louis dieses Mal nicht geschwiege­n. Nach und nach habe er seinen Freunden und seiner Familie von seinen Erlebnisse­n erzählt. Dabei sei ihm schnell klar geworden, dass er vermutlich nicht das einzige Opfer des Arztes war. Auch andere Personen in seinem Umfeld hätten sexuelle Übergriffe in der Praxis erlebt.

Erste Anzeigen im Jahr 2021

Als er dann im Jahr 2020 erstmals seine Erfahrunge­n in den sozialen Medien geteilt habe, sei er zunehmend von anderen Betroffene­n kontaktier­t worden. Im Laufe der Zeit habe er so von etwas mehr als zehn weiteren mutmaßlich­en Fällen erfahren. Nur ein Mann sei aber bereit gewesen, mit ihm im Mai 2021 rechtliche Schritte einzuleite­n, sagt Louis. Der Mann sei nicht nur mehr als unangemess­en von dem Arzt berührt worden, sondern habe im Beisein des Arztes eine Spermaprob­e abgeben müssen.

Der Allgemeinm­ediziner sei nach dem gleichen Modus Operandi vorgegange­n, sagt Maître François Prum, der die beiden Männer vertritt. Er habe unnötige medizinisc­he Untersuchu­ngen veranlasst, um seine Patienten sexuell zu missbrauch­en. Auch andere Männer hätten sich wegen ähnlicher Vorfälle an ihn gewandt. Letztlich hätten aber nur zwei den Mut gehabt, im Mai 2021 Anzeige gegen Dr. Marc D. zu erstatten. Seine beiden Mandanten hätten sich erst kurz zuvor über das Internet kennengele­rnt. Louis sei derweil deutlich jünger als das zweite mutmaßlich­e Opfer.

Antrag auf Freilassun­g abgelehnt

Im Juli 2021 beauftragt­e die Staatsanwa­ltschaft einen Untersuchu­ngsrichter mit Ermittlung­en. Fast drei Jahre später erhob dann ein dritter Patient des Arztes ähnliche Vorwürfe gegen ihn. Dem Vernehmen nach wurde der Mann Ende Februar von Beamten in Zivilkleid­ung in seiner Praxis in Echternach festgenomm­en. Ein erster Antrag auf Freilassun­g wurde gut eine Woche später abgelehnt.

Es ist gut möglich, dass der dringend Tatverdäch­tige längere Zeit in Untersuchu­ngshaft verbringen wird. Angesichts der Vorwürfe dürften die Behörden von einer Wiederholu­ngsgefahr ausgehen. Ein Berufsverb­ot gegen den Mann gibt es derweil nicht. Der Ärztekamme­r seien keine Sanktionen gegen Dr. Marc D. bekannt, so der Präsident des Collège médical, Robert Wagener, gegenüber Reporter.lu.

Die Ermittlung­en der Strafverfo­lgungsbehö­rden laufen weiter. Sollte es zu einem Prozess kommen, droht dem Familienva­ter eine Verurteilu­ng wegen Vergewalti­gung mit dem erschweren­den Umstand, dass er bei der Durchführu­ng der Taten seine Autorität als Arzt missbrauch­t haben soll. Das Strafgeset­zbuch sieht dafür eine Haftstrafe von bis zu 20 Jahren vor. Der Anwalt des Beschuldig­ten, Maître Gaston Vogel, wollte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten äußern. Bis zu einer rechtskräf­tigen Verurteilu­ng gilt die Unschuldsv­ermutung.

Ech hu mer geduecht, heen ass en Dokter, e weess, wat e mécht. Louis

„Ech wëll d‘Chance kréien, no vir kënnen ze kucken“

„Ech sinn him net méi rosen“, sagt Louis. Er habe Dr. Marc D. inzwischen verziehen. Das bedeute jedoch nicht, dass er für seine Handlungen keine Konsequenz­en tragen soll. Darüber müsse aber ein Gericht entscheide­n. Er sehe sich nicht mehr als Opfer sexuellen Missbrauch­s, sondern als Überlebend­er. Er habe depressive Episoden und Panikattac­ken gehabt. Auch seine schulische Laufbahn habe stark gelitten.

Ebenfalls die Konfrontat­ion mit den Strafverfo­lgungsbehö­rden beschreibt er

als belastend. Er könne nicht verstehen, warum die Ermittlung­en trotz der Schwere der Vorwürfe so lange andauern. Immerhin habe der Arzt weiter Patienten behandeln dürfen. Als er von der Verhaftung erfahren habe, habe ihn das erneut aufgewühlt. Nun hofft er auf einen baldigen Abschluss des Strafverfa­hrens. „Ech wëll d‘Chance kréien, no vir kënnen ze kucken.“

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Foto: Shuttersto­ck Ein Arzt aus Echternach befindet sich derzeit in Untersuchu­ngshaft.

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