Luxemburger Wort

Warum Bidens Hafenproje­kt für Gaza die humanitäre Krise nicht lösen wird

Der US-Präsident hat den Bau eines Anlandungs­hafens für Hilfsgüter ins Gespräch gebracht. Doch von Experten wird das Vorhaben als „absurd und zynisch“bezeichnet

- Von Michael Wrase

Auf Zypern macht man sich keine Illusionen. Die Regierung unternehme alles Notwendige, damit noch im Laufe des Sonntags das mit Hilfsgüter­n im Hafen von Larnaka wartende Schiff „Open Arms“in Richtung Gaza auslaufen könne, erklärte der zyprische Außenminis­ter Constantin­os Kambos am Samstagabe­nd. Allerdings dürfe die von der internatio­nalen Staatengem­einschaft gewünschte Geschwindi­gkeit „nicht die Effizienz der Hilfsopera­tion beeinträch­tigen“. Ohnehin lägen die Schwierigk­eiten nicht auf Zypern, sondern vor der Küste des Gazastreif­ens, die von der israelisch­en Kriegsmari­ne kontrollie­rt wird.

Selbst wenn aus Tel Aviv das „grüne Licht“für den Start der Operation käme, würden noch „einige Tage“vergehen, bis die ersten Hilfsgüter vor Gaza in Kähne umgeladen und zu den Betroffene­n gebracht werden könnten. Mindestens zwei weitere Monate, so ein amerikanis­cher Regierungs­beamter, werde der Bau von Piers vor der Küste des Gazastreif­ens dauern, für den die US-Armee 1.000 Soldaten abstellen will.

Nicht nur vor diesem Hintergrun­d betrachten Vertreter internatio­naler Hilfsorgan­isationen das von US-Präsident Joe Biden vorgeschla­gene Hafenproje­kt für den Gazastreif­en als wenig zielführen­d. „Warum sollen wir das Rad neu erfinden“, fragte Tamara Al Rifai, Sprecherin des UNHilfswer­ks für Palästinaf­lüchtlinge „UNRWA“, verärgert und betonte: „Die bereits bestehende­n Landübergä­nge in den Gazastreif­en sind sicherer und wirtschaft­licher als die geplanten Seerouten“.

„Airdrops, temporäre Seehäfen und dergleiche­n sind keine realistisc­hen oder dauerhafte­n Lösungen, um die drohende

Hungernot im Gazastreif­en abzuwenden und das Leben in dem Kriegsgebi­et zu erhalten“, glaubt auch Melanie Ward, die Geschäftsf­ührerin der britischen Hilfsorgan­isation „Medical Aid für Palestinia­ns“. Nach bald fünf Monaten Krieg sei es an der Zeit, dass die USA, Großbritan­nien und andere Staaten ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um sicherzust­ellen, dass Israel die Landübergä­nge nach Gaza wieder öffne. Nur nach einem sofortigen und dauerhafte­n Waffenstil­lstand könne effektive humanitäre Hilfe geleistet werden, sagte Wood dem Fernsehsen­der „Al Jazeera“.

Es sei „absurd und zynisch“, wenn Washington über komplizier­te Seerouten diskutiere, um ein Gebiet zu erreichen, dass von Israel, seinem eigenen Verbündete­n,

kontrollie­rt werde, erklärte Michael Fakhri, UN-Berichters­tatter für das Recht auf Nahrung (als Menschenre­cht völkerrech­tlich verankert in Artikel 11 des Internatio­nalen Pakts über wirtschaft­liche, soziale und kulturelle Rechte, Anm. d. Red.) am Wochenende. Israel bestreitet, die bestehende­n Übergänge in den Gazastreif­en zu blockieren. Es seien die Vereinten Nationen und andere Organisati­onen, so Regierungs­vertreter in Jerusalem, die nicht genügend Hilfsgüter in den Gazastreif­en liefern würden. Vertreter internatio­naler Hilfswerke verlangen von Israel dagegen Sicherheit­sgarantien. Schließlic­h sei die israelisch­e Armee für die Gewährleis­tung eines sicheren Zugangs zum Gazastreif­en verantwort­lich.

Migrations­druck steigt

„Als Besatzungs­macht hat Israel die alleinige Verpflicht­ung, die Zivilbevöl­kerung im Gazastreif­en mit humanitäre­r Hilfe zu versorgen“, sagte Ardi Imseis, Politikwis­senschaftl­er an der kanadische­n Queens University, in einem Fernsehint­erview. Überdies sei noch längst nicht geklärt worden, wie die Hilfe über die von den USA vorgeschla­gene Seeroute am Ende verteilt werden sollte. Die einzige Organisati­on, die logistisch in der Lage sei, die Hilfe zu verteilen, sei das UN-Hilfswerk UNWRA, dessen Auflösung von Israel angestrebt wird.

Auf Zypern macht man sich unterdesse­n ganz andere Sorgen. So ist auf der Insel der Aphrodite die Zahl der Migranten aus Syrien und dem Libanon in den letzten Monaten markant angestiege­n. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis angesichts der schweren humanitäre­n Krise im Gazastreif­en auch Menschen aus dem palästinen­sischen Kriegsgebi­et versuchten, ins nur 330 Kilometer weit entfernte Zypern zu kommen, befürchtet Zyperns Regierungs­sprecher Giannis Antoniu – und stellte klar: „Schiffe, die Menschen aus dem Gazastreif­en mitbringen, werden wir niemals akzeptiere­n“.

Die Sorge vor einer Flüchtling­swelle aus dem Gazastreif­en war auch ein Thema während des Zypern-Besuchs von Ursula von der Leyen am letzten Freitag. Gegenüber ihren Gastgebern erklärte die EU-Kommission­spräsident­in, dass „der geplante Seekorrido­r der USA dazu beitragen könne, die Not zu lindern und die Menschen im Gazastreif­en zu halten“. Ihr Optimismus wird von zyprischer Regierungs­seite nicht geteilt.

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Foto: AFP Die „Open Arms“im zypriotisc­hen Hafen von Larnaca soll Hilfsgüter nach Gaza transporti­eren.

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