Warum Bidens Hafenprojekt für Gaza die humanitäre Krise nicht lösen wird
Der US-Präsident hat den Bau eines Anlandungshafens für Hilfsgüter ins Gespräch gebracht. Doch von Experten wird das Vorhaben als „absurd und zynisch“bezeichnet
Auf Zypern macht man sich keine Illusionen. Die Regierung unternehme alles Notwendige, damit noch im Laufe des Sonntags das mit Hilfsgütern im Hafen von Larnaka wartende Schiff „Open Arms“in Richtung Gaza auslaufen könne, erklärte der zyprische Außenminister Constantinos Kambos am Samstagabend. Allerdings dürfe die von der internationalen Staatengemeinschaft gewünschte Geschwindigkeit „nicht die Effizienz der Hilfsoperation beeinträchtigen“. Ohnehin lägen die Schwierigkeiten nicht auf Zypern, sondern vor der Küste des Gazastreifens, die von der israelischen Kriegsmarine kontrolliert wird.
Selbst wenn aus Tel Aviv das „grüne Licht“für den Start der Operation käme, würden noch „einige Tage“vergehen, bis die ersten Hilfsgüter vor Gaza in Kähne umgeladen und zu den Betroffenen gebracht werden könnten. Mindestens zwei weitere Monate, so ein amerikanischer Regierungsbeamter, werde der Bau von Piers vor der Küste des Gazastreifens dauern, für den die US-Armee 1.000 Soldaten abstellen will.
Nicht nur vor diesem Hintergrund betrachten Vertreter internationaler Hilfsorganisationen das von US-Präsident Joe Biden vorgeschlagene Hafenprojekt für den Gazastreifen als wenig zielführend. „Warum sollen wir das Rad neu erfinden“, fragte Tamara Al Rifai, Sprecherin des UNHilfswerks für Palästinaflüchtlinge „UNRWA“, verärgert und betonte: „Die bereits bestehenden Landübergänge in den Gazastreifen sind sicherer und wirtschaftlicher als die geplanten Seerouten“.
„Airdrops, temporäre Seehäfen und dergleichen sind keine realistischen oder dauerhaften Lösungen, um die drohende
Hungernot im Gazastreifen abzuwenden und das Leben in dem Kriegsgebiet zu erhalten“, glaubt auch Melanie Ward, die Geschäftsführerin der britischen Hilfsorganisation „Medical Aid für Palestinians“. Nach bald fünf Monaten Krieg sei es an der Zeit, dass die USA, Großbritannien und andere Staaten ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um sicherzustellen, dass Israel die Landübergänge nach Gaza wieder öffne. Nur nach einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand könne effektive humanitäre Hilfe geleistet werden, sagte Wood dem Fernsehsender „Al Jazeera“.
Es sei „absurd und zynisch“, wenn Washington über komplizierte Seerouten diskutiere, um ein Gebiet zu erreichen, dass von Israel, seinem eigenen Verbündeten,
kontrolliert werde, erklärte Michael Fakhri, UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung (als Menschenrecht völkerrechtlich verankert in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Anm. d. Red.) am Wochenende. Israel bestreitet, die bestehenden Übergänge in den Gazastreifen zu blockieren. Es seien die Vereinten Nationen und andere Organisationen, so Regierungsvertreter in Jerusalem, die nicht genügend Hilfsgüter in den Gazastreifen liefern würden. Vertreter internationaler Hilfswerke verlangen von Israel dagegen Sicherheitsgarantien. Schließlich sei die israelische Armee für die Gewährleistung eines sicheren Zugangs zum Gazastreifen verantwortlich.
Migrationsdruck steigt
„Als Besatzungsmacht hat Israel die alleinige Verpflichtung, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit humanitärer Hilfe zu versorgen“, sagte Ardi Imseis, Politikwissenschaftler an der kanadischen Queens University, in einem Fernsehinterview. Überdies sei noch längst nicht geklärt worden, wie die Hilfe über die von den USA vorgeschlagene Seeroute am Ende verteilt werden sollte. Die einzige Organisation, die logistisch in der Lage sei, die Hilfe zu verteilen, sei das UN-Hilfswerk UNWRA, dessen Auflösung von Israel angestrebt wird.
Auf Zypern macht man sich unterdessen ganz andere Sorgen. So ist auf der Insel der Aphrodite die Zahl der Migranten aus Syrien und dem Libanon in den letzten Monaten markant angestiegen. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis angesichts der schweren humanitären Krise im Gazastreifen auch Menschen aus dem palästinensischen Kriegsgebiet versuchten, ins nur 330 Kilometer weit entfernte Zypern zu kommen, befürchtet Zyperns Regierungssprecher Giannis Antoniu – und stellte klar: „Schiffe, die Menschen aus dem Gazastreifen mitbringen, werden wir niemals akzeptieren“.
Die Sorge vor einer Flüchtlingswelle aus dem Gazastreifen war auch ein Thema während des Zypern-Besuchs von Ursula von der Leyen am letzten Freitag. Gegenüber ihren Gastgebern erklärte die EU-Kommissionspräsidentin, dass „der geplante Seekorridor der USA dazu beitragen könne, die Not zu lindern und die Menschen im Gazastreifen zu halten“. Ihr Optimismus wird von zyprischer Regierungsseite nicht geteilt.