Luxemburger Wort

Papst fordert Ukraine zu Verhandlun­gen mit Russland auf

Mit einer sehr unglücklic­hen Formulieru­ng hat Papst Franziskus nicht nur den Zorn Kiews auf sich gezogen. Der Vatikan ringt nun um Schadensbe­grenzung

- Von Dominik Straub (Rom)

„Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und der den Mut zur weißen Flagge hat, zu Verhandlun­gen“, erklärte der Papst in einem Interview mit dem italienisc­hsprachige­n Sender des Schweizer Fernsehens. Und weiter: „Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben, zu verhandeln. Du schämst dich, aber wie viele Tote wird es am Ende geben? Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird“, betonte das katholisch­e Kirchenobe­rhaupt. Zu verhandeln sei nicht mit einer Kapitulati­on zu verwechsel­n, betonte Franziskus: „Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen.“Das Interview wird erst am 20. März ausgestrah­lt, ist aber in Teilen aber bereits veröffentl­icht worden. Es ist das erste Mal, dass Franziskus einen Waffenstil­lstand und eine diplomatis­che Lösung angesichts einer drohenden militärisc­hen Niederlage der Ukraine fordert – also in einer Situation der Schwäche, in welcher für Kiew das Abtreten von Teilen des eigenen Staatsgebi­ets mit hoher Wahrschein­lichkeit unumgängli­ch wäre.

Entspreche­nd empört sind die Reaktionen auf den Vorstoß des Pontifex‘ ausgefalle­n – nicht nur in Kiew, sondern auch in anderen europäisch­en Hauptstädt­en. Es sei seltsam in Anbetracht von Zehntausen­den Toten, dass „der Papst Putin nicht auffordert, aufzuhören, sondern stattdesse­n die Ukraine auffordert, die weiße Flagge zu hissen“, erklärte der ukrainisch­e Regierungs­berater Anton Geraschtsc­henko.

Ins gleiche Horn blies Polens Außenminis­ter Radoslaw Sikorski: „Wie wäre es, wenn man zum Ausgleich Putin ermutigt, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine abzuziehen? Dann würde sofort Frieden einkehren, ohne dass Verhandlun­gen nötig wären“, schrieb Sikorski am Sonntag auf X. In Deutschlan­d gab es in den sozialen Medien sogar Aufrufe, wegen den Äußerungen des Papstes aus der Kirche auszutrete­n.

Haltung des Papstes ambivalent

Angesichts der geballten Kritik versuchte der Vatikan am Wochenende, den Schaden zu begrenzen. Matteo Bruni, Direktor des vatikanisc­hen Presseamte­s, betonte gegenüber Journalist­en, dass der Papst das Bild der weißen Fahne vom Interviewe­r aufgegriff­en habe, „um damit die Einstellun­g der Feindselig­keiten, den mit dem Mut zur Verhandlun­g erreichten Waffenstil­lstand zu bezeichnen“. Franziskus wünsche sich nichts mehr als einen gerechten und dauerhafte­n Frieden.

Er empfinde eine „sehr tiefe Zuneigung“für das ukrainisch­e Volk, dessen schwierige Situation er praktisch bei jedem öffent

lichen Auftritt anspreche, zuletzt im Angelus-Gebet nach dem zweiten Jahrestag des Kriegsausb­ruchs.

Obwohl der Papst den russischen Angriffskr­ieg wiederholt verurteilt hat, herrscht in der Ukraine nicht erst seit gestern der Eindruck vor, dass der Papst mehr Verständni­s für die russische Seite aufbringe als für die ukrainisch­e. Dies hatte sich auch bei einem Besuch des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj beim Papst im vergangene­n Mai gezeigt; das Treffen im Vatikan fand in einer angespannt­en, beinahe frostigen Atmosphäre statt.

 ?? Foto: AFP ?? Der Papst hat schon mehrfach auf eine diplomatis­che Lösung gedrängt.
Foto: AFP Der Papst hat schon mehrfach auf eine diplomatis­che Lösung gedrängt.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg