Vampirtintenfisch aus der Hölle aufgetaucht
In Käerjeng wurde das Fossil einer bisher unbekannten Art gefunden. Der Tintenfisch starb vor 183 Millionen Jahren bei seiner letzten Mahlzeit
Seit 183 Millionen Jahren hält der Vampirtintenfisch seine Beute fest umklammert im Mund. Gegessen hat er sie bis heute nicht. Vielleicht hat er im Moment vor seinem Tod noch daran geknabbert. Und genau darin liegt die Sensation. Denn es ist das erste Mal, dass in Luxemburg ein Fossil gefunden wurde, mit dem sich die Jagd nachweisen lässt und es ist außergewöhnlich, dass sich die Nahrungskette rekonstruieren lässt. Es lässt den Schluss zu, dass Vampirtintenfische sich von Fischen ernährt haben.
Außerdem handelt es sich um „die versteinerten Überreste einer bisher unbekannten Meeresart“, wie es in einer Pressemitteilung des Nationalmuseums für Naturgeschichte (MNHN) heißt. Diese sei „relativ einzigartig“, wie der am MNHN tätige Paläontologe Robert Weis im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“berichtet.
„Dinosaurier findet jedes Kind einmal cool“
Robert Weis arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Museum. „Schon als Kind habe ich in der Erde gegraben und Fossilien gesammelt“, sagt Weis. Anfangs habe er nicht gewusst, was er da mache. Sein Vater habe ihm im Alter von sechs Jahren erzählt, es handele sich um Überreste von Tieren, die früher in einem Meer gelebt haben, das sich im heutigen Süden Luxemburgs befand. „Das fand ich cool.“
Der Gedanke, dass die Fossilien, die er in der Hand hielt, zur selben Zeit lebten wie die Dinosaurier, habe ihn als kleinen Jungen fasziniert. Fast jedes Kind durchlaufe eine Phase, in der es Dinosaurier toll findet. „Bei mir hat sie etwas länger gedauert beziehungsweise ist sie weitergegangen“, sagt Weis und lacht. Er habe in der Minett-Region gelebt, dort könne man mit etwas Glück einiges an Fossilien finden.
Das Dreieck zwischen Käerjeng, Schouweiler und Sassenheim sei ein Hotspot für Fossilien. „Es ist unter Paläontologen schon fast weltweit bekannt“, sagt Weis. „Wir warten darauf, dass endlich das Käerjenger Contournement gebaut wird.“Wenn das geschieht, werde es interessante und vielleicht sogar spektakuläre Funde geben. Wer sich jetzt schon Sorgen macht, dass der Bau der Umgehungsstraße deswegen unterbrochen werden muss, den kann Weis beruhigen. Das werde nicht der Fall sein.
In unmittelbarer Nähe, im Gewerbegebiet Robert Steichen in Niederkerschen, wurde 2022 bei einer Ausgrabung zusammen mit einigen hundert anderen Fossilien ein ganz besonderer Vampirtintenfisch gefunden.
Schon als Kind habe ich in der Erde gegraben und Fossilien gesammelt. Robert Weis
Viele Zufälle mussten zusammenkommen
Das Erste, was bei dem Fossil auf der Arbeitsfläche von Robert Weis auffällt, ist eine schwarze Fläche. „Das ist Tinte, die ausgelaufen und versteinert ist“, erklärt Weis. Wenn man genau hinsehe, erkenne man ein paar Zentimeter weiter die Knochenreste von zwei Fischen, sagt Weis.
Der Forscher sucht kurz nach einer Lupe und reicht sie weiter: „Wenn man durch die Lupe blickt, sieht man hier eine doppelte Schwanzflosse.“Auch eine gekrümmte Wirbelsäule ist zu sehen, was typisch sei. „Wenn die Fische sterben, zieht sich der Körper reflexartig zusammen. Es ist ein Todeskrampf“, erklärt Weis.
Warum ist das 183 Millionen Jahre alte Fossil so gut erhalten? Damals gab es am Meeresboden eine Zone, in der kein oder nur sehr wenig Sauerstoff vorhanden war. „Eine Art Todeszone“, ergänzt Weis.
Ist ein Tier dort hingekommen, verendete es. „Wir gehen davon aus, dass der Tintenfisch auf der Jagd nach den kleinen Fischen nicht aufgepasst hat“, erklärt Weis. Er sei wohl zufällig dorthin geraten und mit seiner Beute in den Tentakeln erstickt.
Der Tintenfisch sank zu Boden und wurde mit Erde bedeckt. „Weil es dort keinen Sauerstoff gibt, bleiben diese Kadaver gut erhalten, und es gibt keine Raubtiere, die sie fressen.“
Für die Forscher ist das ein Glücksfall, für den Tintenfisch bedeutete es den Tod. Es liefert Hinweise auf die Interaktion zwischen Raubtier und Beute. Früher jagte der Vampirtintenfisch in flacheren Gewässern als heute.
Fossilien, die auch Reste von Beutetieren enthalten, seien „extrem selten“, sagt Weis. Es sei das erste Mal, dass ein solches in Luxemburg gefunden wurde.
Eine neue Spezies
Neben den Nahrungsresten gibt es noch zwei weitere Gründe, die diesen Vampirtintenfisch zu etwas Besonderem machen. Erstens der gute Zustand, in dem er erhalten ist, denn normalerweise gibt es die Abdrücke der Tentakel nicht. Auch der Schulp, wie die Schale, die einem Tintenfisch als Rückenknochen dient, genannt wird, ist vollständig. Zweitens handelt es sich um eine neue Art für die Wissenschaft.
Um das herauszufinden, haben sich die Forscher angeschaut, welche Tintenfischarten bereits bekannt sind. Weis fährt mit den Zeigefingern über das Fossil. Das ist kein Problem, denn der Stein ist robust und „relativ unempfindlich“. Währenddessen spricht er von einer durchgehenden Mittellinie und Seitenlinien am Schulp. Messe man den Winkel zwischen diesen Linien, könne man die Schulpe einordnen und verschiedene Arten von Tintenfischen beschreiben.
„Wir fanden heraus, dass dieser Tintenfisch in keine Kategorie passt“, sagt Weis. Er erhielt den Namen Simoniteuthis michaelyi, benannt nach dem Hobbypaläontologen Jo Simon, der das Fossil in Dutzenden von Arbeitsstunden gereinigt und damit die Seltenheit des Fundes erst sichtbar gemacht hatte.
Rund eineinhalb Jahre dauerte es nach der Entdeckung, bis der wissenschaftliche Artikel veröffentlicht wurde. Erst dann können die Forscher mit ihren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gehen.