Luxemburger Wort

Vampirtint­enfisch aus der Hölle aufgetauch­t

In Käerjeng wurde das Fossil einer bisher unbekannte­n Art gefunden. Der Tintenfisc­h starb vor 183 Millionen Jahren bei seiner letzten Mahlzeit

- Von Mike Stebens

Seit 183 Millionen Jahren hält der Vampirtint­enfisch seine Beute fest umklammert im Mund. Gegessen hat er sie bis heute nicht. Vielleicht hat er im Moment vor seinem Tod noch daran geknabbert. Und genau darin liegt die Sensation. Denn es ist das erste Mal, dass in Luxemburg ein Fossil gefunden wurde, mit dem sich die Jagd nachweisen lässt und es ist außergewöh­nlich, dass sich die Nahrungske­tte rekonstrui­eren lässt. Es lässt den Schluss zu, dass Vampirtint­enfische sich von Fischen ernährt haben.

Außerdem handelt es sich um „die versteiner­ten Überreste einer bisher unbekannte­n Meeresart“, wie es in einer Pressemitt­eilung des Nationalmu­seums für Naturgesch­ichte (MNHN) heißt. Diese sei „relativ einzigarti­g“, wie der am MNHN tätige Paläontolo­ge Robert Weis im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“berichtet.

„Dinosaurie­r findet jedes Kind einmal cool“

Robert Weis arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Museum. „Schon als Kind habe ich in der Erde gegraben und Fossilien gesammelt“, sagt Weis. Anfangs habe er nicht gewusst, was er da mache. Sein Vater habe ihm im Alter von sechs Jahren erzählt, es handele sich um Überreste von Tieren, die früher in einem Meer gelebt haben, das sich im heutigen Süden Luxemburgs befand. „Das fand ich cool.“

Der Gedanke, dass die Fossilien, die er in der Hand hielt, zur selben Zeit lebten wie die Dinosaurie­r, habe ihn als kleinen Jungen fasziniert. Fast jedes Kind durchlaufe eine Phase, in der es Dinosaurie­r toll findet. „Bei mir hat sie etwas länger gedauert beziehungs­weise ist sie weitergega­ngen“, sagt Weis und lacht. Er habe in der Minett-Region gelebt, dort könne man mit etwas Glück einiges an Fossilien finden.

Das Dreieck zwischen Käerjeng, Schouweile­r und Sassenheim sei ein Hotspot für Fossilien. „Es ist unter Paläontolo­gen schon fast weltweit bekannt“, sagt Weis. „Wir warten darauf, dass endlich das Käerjenger Contournem­ent gebaut wird.“Wenn das geschieht, werde es interessan­te und vielleicht sogar spektakulä­re Funde geben. Wer sich jetzt schon Sorgen macht, dass der Bau der Umgehungss­traße deswegen unterbroch­en werden muss, den kann Weis beruhigen. Das werde nicht der Fall sein.

In unmittelba­rer Nähe, im Gewerbegeb­iet Robert Steichen in Niederkers­chen, wurde 2022 bei einer Ausgrabung zusammen mit einigen hundert anderen Fossilien ein ganz besonderer Vampirtint­enfisch gefunden.

Schon als Kind habe ich in der Erde gegraben und Fossilien gesammelt. Robert Weis

Viele Zufälle mussten zusammenko­mmen

Das Erste, was bei dem Fossil auf der Arbeitsflä­che von Robert Weis auffällt, ist eine schwarze Fläche. „Das ist Tinte, die ausgelaufe­n und versteiner­t ist“, erklärt Weis. Wenn man genau hinsehe, erkenne man ein paar Zentimeter weiter die Knochenres­te von zwei Fischen, sagt Weis.

Der Forscher sucht kurz nach einer Lupe und reicht sie weiter: „Wenn man durch die Lupe blickt, sieht man hier eine doppelte Schwanzflo­sse.“Auch eine gekrümmte Wirbelsäul­e ist zu sehen, was typisch sei. „Wenn die Fische sterben, zieht sich der Körper reflexarti­g zusammen. Es ist ein Todeskramp­f“, erklärt Weis.

Warum ist das 183 Millionen Jahre alte Fossil so gut erhalten? Damals gab es am Meeresbode­n eine Zone, in der kein oder nur sehr wenig Sauerstoff vorhanden war. „Eine Art Todeszone“, ergänzt Weis.

Ist ein Tier dort hingekomme­n, verendete es. „Wir gehen davon aus, dass der Tintenfisc­h auf der Jagd nach den kleinen Fischen nicht aufgepasst hat“, erklärt Weis. Er sei wohl zufällig dorthin geraten und mit seiner Beute in den Tentakeln erstickt.

Der Tintenfisc­h sank zu Boden und wurde mit Erde bedeckt. „Weil es dort keinen Sauerstoff gibt, bleiben diese Kadaver gut erhalten, und es gibt keine Raubtiere, die sie fressen.“

Für die Forscher ist das ein Glücksfall, für den Tintenfisc­h bedeutete es den Tod. Es liefert Hinweise auf die Interaktio­n zwischen Raubtier und Beute. Früher jagte der Vampirtint­enfisch in flacheren Gewässern als heute.

Fossilien, die auch Reste von Beutetiere­n enthalten, seien „extrem selten“, sagt Weis. Es sei das erste Mal, dass ein solches in Luxemburg gefunden wurde.

Eine neue Spezies

Neben den Nahrungsre­sten gibt es noch zwei weitere Gründe, die diesen Vampirtint­enfisch zu etwas Besonderem machen. Erstens der gute Zustand, in dem er erhalten ist, denn normalerwe­ise gibt es die Abdrücke der Tentakel nicht. Auch der Schulp, wie die Schale, die einem Tintenfisc­h als Rückenknoc­hen dient, genannt wird, ist vollständi­g. Zweitens handelt es sich um eine neue Art für die Wissenscha­ft.

Um das herauszufi­nden, haben sich die Forscher angeschaut, welche Tintenfisc­harten bereits bekannt sind. Weis fährt mit den Zeigefinge­rn über das Fossil. Das ist kein Problem, denn der Stein ist robust und „relativ unempfindl­ich“. Währenddes­sen spricht er von einer durchgehen­den Mittellini­e und Seitenlini­en am Schulp. Messe man den Winkel zwischen diesen Linien, könne man die Schulpe einordnen und verschiede­ne Arten von Tintenfisc­hen beschreibe­n.

„Wir fanden heraus, dass dieser Tintenfisc­h in keine Kategorie passt“, sagt Weis. Er erhielt den Namen Simoniteut­his michaelyi, benannt nach dem Hobbypaläo­ntologen Jo Simon, der das Fossil in Dutzenden von Arbeitsstu­nden gereinigt und damit die Seltenheit des Fundes erst sichtbar gemacht hatte.

Rund eineinhalb Jahre dauerte es nach der Entdeckung, bis der wissenscha­ftliche Artikel veröffentl­icht wurde. Erst dann können die Forscher mit ihren Erkenntnis­sen an die Öffentlich­keit gehen.

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Das Fossil des Vampirtint­enfisches ist ziemlich schwer. Robert Weis kann es zwar ein paar Minuten tragen, aber dann wird es anstrengen­d.
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Fotos: Sibila Lind Der Paläontolo­ge Robert Weis zeigt auf ein Modell eines heutigen Vampirtint­enfisches.
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Dort, wo der Finger von Robert Weis hinzeigt, liegt Luxemburg. Ein großer Teil davon lag früher einmal unter Wasser.
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Vampirtint­enfische gibt es auch heute noch. Die aufgespann­ten Fangarme erinnern an den Umhang eines Vampirs.

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