Warum Briefmarken nicht nur Rentner interessieren
Den Philatelisten mangelt es an Nachwuchs. Doch ist dieses Hobby noch zukunftsfähig? Das „Luxemburger Wort“suchte in Ettelbrück Antworten darauf
So mancher dürfte sich darüber wundern: Die größte Sammlerbörse für Philatelisten, Philokartisten und Numismatiker der Großregion mit 1.400 Quadratmetern Ausstellungsfläche, die gestern in Ettelbrück stattfand, lockte rund 600 Besucher an. Dabei wurde klar, dass das Klischee vom alten Sammler mit Pinzette und Lupe längst der Vergangenheit angehört.
Immerhin interessieren sich heute viele Menschen im Alter von 20, 30 oder 40 Jahren wieder vermehrt für das Sammeln von Briefmarken, Münzen und Postkarten. Am klassischen Vereinsleben hingegen, seien diese nicht mehr interessiert, behauptet Maurice Kirsch, einer der Aussteller und Präsident des Sammlervereins BonnewegHollerich.
Treffen im Café statt traditionelle Versammlungen
„Viele Vereine halten an den traditionellen Monatsversammlungen im Vereinslokal fest, um ihren Mitgliedern dort die Briefmarkenneuheiten zu verteilen“, sagt Maurice Kirsch. Er selbst habe in seinem Verein andere Wege eingeschlagen. Scheinbar erfolgreiche, denn mit rund 140 Sammler zählt sein Verein so viele Mitglieder wie noch nie zuvor. Sein Geheimrezept: Die Treffen finden in einem Café statt. Jeder bringt Sammlerstücke zum Tauschen mit. Es wird gefachsimpelt und gesammelt.
Das Besondere daran sei, dass auch andere Cafébesucher neugierig werden. „Wenn diese dann eine 100 Jahre alte Ansichtskarte von ihrem Wohnort oder Heimatort sehen, ist die Sammelleidenschaft oft schnell geweckt“, erzählt Kirsch begeistert. Man müsse zudem auf die Menschen zugehen.
Der Vereinsvorsitzende hat aber festgestellt, dass das Sammlerwesen sich allgemein verändert hat. Junge Menschen würden sich lieber in sozialen Medien austauschen. Ihre Sammelgebiete seien Ansichtskarten, Münzen und Banknoten. Diejenige, die sich der Philatelie widmen, würden sich auf bestimmte Themengebiete oder Zeitepochen konzentrieren. Auch gewinne der Online-Handel an Bedeutung, was aber aufgrund von möglichen Betrügereien nicht der optimale Handelsplatz sei, fügt Kirsch hinzu. Eine Sammlerbörse hingegen biete den Vorteil, alles aus nächster Nähe zu prüfen und gegebenenfalls Gleichgesinnte vor Ort um Rat fragen, unterstreicht der Aussteller. Maurice Kirsch weiß, wovon er spricht. Immerhin ist er Initiator zahlreicher Sammlerbörsen quer durch das Land. Auch dort begegne er regelmäßig junge Sammler. „Man muss keine 90 Jahre alt sein, um Briefmarken zu sammeln“, schlussfolgert Kirsch.
Wartelisten für Aussteller
Jean-Louis Reuter, Präsident des Ettelbrücker Philatelistenvereins, bestätigt den Wandel. In der Tat würden viele junge Menschen sich für Briefmarken, Münzen und Ansichtskarten interessieren, aber nicht mehr für das Vereinsleben. Seit der Gründung der Börse in den 1980er-Jahren würden immer mehr Sammler, darunter auch jüngere Menschen, den Weg nach Ettelbrück finden. Das Interesse der Aussteller sei so groß, dass sogar Wartelisten geführt würden, so Reuter.
Viele der „jungen Gesichter“begegnet er zwar auch auf anderen Sammlerbörsen, aber nicht in Vereinen. Für Reuter steht fest, dass insbesondere die Pandemie das Vereinsleben negativ beeinflusst hat. Dennoch biete der Verein viele Vorteile, etwa Preisnachlässe bei Sammelbestellungen, Fachvorträge oder die Promovierung des Ausstellerwesens. „Vereine sind aber auch wichtig, um Aktivitäten rund um das Sammeln, wie Börsen zu organisieren“, unterstreicht Reuter.
Eintauchen in längst vergangene Zeiten
Wie groß das Interesse an den Briefmarken, Münzen und Postkarten ist, wird denn auch an den einzelnen Ständen deutlich. So sucht etwa ein Mann am Stand von Maurice Kirsch nach Briefen, Ansichtskarten und Postkarten über die Luxemburger Industriekultur. Diese Belege seien für den Sammler aus historischer Sicht von Bedeutung. Eine Frau sucht nach alten Ansichtskarten mit Personen. Sie interessiere sich für die Menschen, die Kleidung und das Leben darauf. Der Grund: Die Bilder dokumentieren, wie die Menschen vor 100 Jahren lebten.
Patrick, ein Sammler aus Wiltz, erbte das Archiv seines verstorbenen Vaters. Er führt die Sammlung fort, und sucht weiterhin nach Belegen und Ansichtskarten aus Wiltz und Umgebung. Am Sonntag begab er sich, so wie viele andere Sammler auf die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.