Der Taubenretter von Luxemburg
Kim Meyer aus Niederkerschen pflegt misshandelte und verletzte Straßentauben. Manche halten ihn für verrückt. Was treibt den Stahlarbeiter an?
Am 12. September 2017 steigt Kim Meyer mit einem Tierschützer aus dem Saarland in das Taubenhaus von Luxemburg. Mehr als 300 Tiere haben hier ihre Nester gebaut, zwischen Wohnzimmermöbeln, Stühlen, auf dem Kronenleuchter, ein kaputter Fernseher steht auch noch da. An den vergilbten Tapeten hängen Spinnennetze und die verstaubten Überreste gerahmter Bilder, über einer Tür ein Jesuskreuz.
Die Tauben, die der Herr über Leben und Tod noch nicht in den ewigen Frieden heimgeholt und auf einem Meer von Kot zurückgelassen hat, fängt Kim Meyer mit dem Vogelkescher ein. 70 Jungtauben finden Rettung. Das Ende vieler Tiere im Escher Horrorhaus ist für Kim Meyer der Beginn eines beispiellosen Kampfes, der bis heute andauert.
In Luxemburg fehlt eine Anlaufstelle für Tauben
Kim Meyer, 43, Stahlarbeiter bei Arcelor Mittal, hat sich nie für den Tierschutz engagiert. Doch an einem gewöhnlichen Arbeitstag im Jahr 2017 nimmt sein Leben eine ungewöhnliche Wendung. In einer großen Halle in Differdingen kauert eine Babytaube in einer Ecke. Kim sammelt sie auf und legt sie in einen Karton. Er wartet, bis seine Schicht zu Ende ist, dann fährt er in die Wildtierpflegestation nach Düdelingen. „Stadttauben nehmen wir nicht“, sagen sie ihm. Weil sich Kim nicht zu helfen weiß, fährt er nach Deutschland und gibt die Taube in einem Wildtierzentrum ab. Zu diesem Zeitpunkt weiß er noch nicht, dass es nicht erlaubt ist, Tiere außer Landes zu bringen, „aber in den luxemburgischen Tierheimen habe ich gar nicht erst gefragt, weil die ja nur Hunde und Katzen haben“, sagt Kim. Im Grunde ist die Taube ein verwildertes Haustier, das ist eine Grauzone.“
Zwei Wochen später liegt die nächste Babytaube vor Kims Füßen, wieder im Stahlwerk. „Jetzt stand ich vor dem gleichen Problem.“Er beschließt, die Babytaube mit nach Hause zu nehmen und „hochzupeppeln“. Es bleibt nicht bei dem einen gefiederten Besucher. Kim sagt, 2017 habe er sehr viele Babytauben gefunden. Der Mangel an geeigneten Auffangstationen für Tauben in Luxemburg macht, dass er die Sache selbst in die Hand nimmt.
Im Internet liest er, wie man füttert und was man alles beachten muss. Zum Beispiel, dass eine Babytaube sterben kann, wenn die Nahrung nicht die richtige Temperatur hat. Kim schiebt seinen Patienten warmen Brei mit einer Kropfsonde in den Schnabel, wenn er nicht gerade Ammentiere hat, die die Babys füttern und aufziehen. Sie schlafen in einer Kiste im Heizungsraum, manchmal auch in einem leerstehenden Zimmer.
Kim liest auch, dass Stadttauben einen Taubenschlag brauchen. Also baut er einen in seinem Garten in Niederkerschen. Doch den Nachbarn wird das nicht lange gefallen.
Empörte Nachbarn
Früher gab Kim seinen Tieren vier Stunden lang nichts zu fressen, dann ließ er sie fliegen, und weil sie standorttreu sind, kamen sie hungrig zu ihm zurück. Aber weil 100 Tauben nicht nur Lärm, sondern auch Kot machen, beschwerten sich die Nachbarn mit dem Glasdach. Deshalb sind die Tauben seit fünf Jahren nur noch in der Voliere.
„Ich weiß, dass das tierschutzwidrig ist“, sagt Kim. 16 Quadratmeter stehen den Tauben zur Verfügung. Ideal wären ein Quadratmeter für ein Taubenpaar. „Was ist das jetzt für ein Leben?“Wenn Menschen das fragen, erklärt er: „20 Prozent meiner Tauben können nicht mehr fliegen, weil sie ein Handicap haben.“Unter den Tauben sind blinde, einbeinige, welche mit nur einem Flügel, oder viel zu schwere Zuchttauben. „Wenn ich sie freilasse, werden sie kaum überleben.“Einschläfern ist für Kim keine Option. „Hier können sie noch in Würde alt werden.“
Kim sagt, es fühle sich gut an, einem Tier geholfen zu haben. Aber manche Menschen nehmen seine Hilfsbereitschaft als selbstverständlich hin. Anrufe wie diese seien keine Seltenheit: „Wir haben eine tote Taube in unserer Einfahrt liegen, kommen Sie die bitte entsorgen“oder „Hier liegt eine verletzte Taube, können Sie sie bitte abholen?“
Manchmal stellen Menschen auch einfach Tauben vor seinem Haus ab. „Aber wenn ich die erst nach drei Tagen entdecke, kann es schon zu spät sein.“Deshalb soll sein genauer Wohnort hier unerwähnt bleiben. Auf seinem Grundstück hat Kim Kameras installiert.
Woher kommen die Tauben?
2018 hat Kim die Vereinigung Staddauwen Lëtzebuerg gegründet. Auf seiner Facebookseite dokumentiert er seine Taubenfunde, inklusive Fotos: 19. Juli 2022, soeben eine total abgemagerte und geschwächte Brieftaube aus den Niederlanden bekommen. Welcher Idiot lässt Tauben bei diesen hohen Temperaturen fliegen? Brieftauben-„Sport“gehört verboten; 13. April 2023, weiße Hochzeitstaube vor der Kirche in Differdingen gesichert; 19. Mai 2023, schwer verbrannte Babytaube im Stahlwerk ins Feuer geraten, ihr halber Flügel war so schwer verbrannt, dass dieser nicht mehr zu retten war und abfiel; 10. August 2023, zwei blinde Tauben sitzen mit vier Babytauben in meinem Garten und genießen die Sonne und Wasser zum Baden; 30. August 2023, Tierbabys mit vollen Flaschen beworfen, eine konnte gerettet werden; Letzter Eintrag, 29. Februar, heute Abend eine Taube mit schweren Kopfverletzungen und geschwollenen Augen bekommen. Danke an die Finder, die sie uns sofort gebracht haben. Sie bekam Medikamente und die Wunden wurden gereinigt.
„Ein Hund ist schmutziger als eine Taube“
Kim sagt, hätte er nicht Doktor Manderscheid, hätte er längst aufgegeben. Der Tierarzt aus Bad Mondorf ist auf Vögel spezialisiert, mehr als 200 „Meyer“-Tauben lagen schon auf seinem Behandlungstisch. Tauben mit Kokzidienbefall, Knochenbrüchen oder neurologischen Störungen. Auch das Veterinäramt konsultiert er regelmäßig.
Jemand wie Kim muss sich naturgemäß oft anhören, dass die „Ratten der Lüfte“Krankheiten übertragen würden. „Das stimmt nicht. Von einem Hund oder einer Katze geht eine größere Gefahr aus, Krankheiten zu bekommen, als von einem Vogel oder einer Taube. Der Hund frisst Kot und leckt danach das Gesicht seines Herrchens.“
Um allerdings dem vielen Taubenkot in den Innenstädten Einhalt zu gebieten, seien mehr betreute Taubenschläge notwendig, in denen die Tiere gefüttert werden. Da sich Tauben zu 80 Prozent im Schlag aufhalten, bleibt auch der Kot dort und kann hygienisch entsorgt werden. Um die Taubenpopulation zu reduzieren, werden die Eier gegen Gipsimitate ausgetauscht.
Auch Kim macht das. In seinem Garten wurde es bald eng, also nutzt er zusätzlich einen Taubenschlag in Differdingen, drei weiße Container am Ortsrand. Hier können die Tauben durch eine Luke nach draußen fliegen. Von den ursprünglich 100
Tauben sind nur noch 50 übrig, weil zuerst ein Greifvogel und dann ein Marder zugegriffen hat.
Wenn eine Taube stirbt, legt Kim sie in eine Hecke. Er sagt, sie gehe dann wieder in die Natur über. „Ich kann sie nicht in eine Mülltonne werfen.“
Wenn menschliche Emotionen ins Spiel kommen
Kims Lieblingstaube lebt auf seiner Terrasse in Niederkerschen und heißt Gutschi. Sie kam als drei Wochen altes Küken zu ihm. Als Jungtaube erkrankte sie am Paramyxovirus. Ein Jahr lang musste Kim sie füttern, ließ ihr Körner in den Schnabel fallen. Diese intensive Zeit schweißte den Stahlarbeiter und das Tier zusammen. In
zwischen ist Gutschi fünf Jahre alt. Würde Gutschi inmitten von 100 Tauben stehen, Kim, der Taubenvater, würde sie erkennen. Wegen der Erkrankung leidet sie heute immer noch an den Folgen. Manchmal bleibt sie stehen und dreht sich zweimal im Kreis. Oder sie verdreht den Kopf. Fliegen kann Gutschi nicht mehr.
Damit Gutschi nicht einsam ist, hat Kim Gutschel zu ihr in den Käfig gesetzt. Auch sie hatte den Virus. Gutschel ist sehr anhänglich, „immer, wenn ich sie gefüttert habe, ist sie mir auf den Kopf geflogen, sie ist sehr auf Menschen geeicht“.
Gutschi und Gutschel sind zwei Weibchen und leben jetzt als lesbisches Paar zusammen. Da Tauben monogam sind, bleiben sie ein Leben lang zusammen.
„Wenn Gutschi mal nicht mehr ist“, sagt Kim, „das wird mir ganz schön nahe gehen.“
35.000 Euro aus eigener Tasche
„Die Leute sind immer erstaunt, wenn ich erkläre, dass ich das alles ehrenamtlich mache, aber trotzdem spendet kaum jemand etwas.“Spenden erhalte er in Luxemburg sehr selten. „Aber ich bekomme jeden Monat von drei Leuten insgesamt 30 Euro“, ist ihm wichtig zu sagen. Zwischen 30.000 und 35.000 Euro habe er in den vergangenen Jahren selbst finanziert.
Manchmal denken Leute, „was ist das für ein Verrückter?“Aber er mache sich nichts aus den Kommentaren. Kim sagt, er mache es wie die Pinguine aus dem Film Madagaskar: „lächeln und winken.“
Die Frau, die Kim heute seine Freundin nennt, hat nicht den Kopf geschüttelt, als sie ihn kennenlernte. Gerade stecken sie mitten im Umzug. Ihre drei Katzen wohnen schon bei ihm zu Hause.
Zu wenig Tierschutz in Luxemburg
Kim sagt, die luxemburgische Justiz reagiere zu langsam. Einmal habe ein Immobilienmakler Tauben in einem leerstehenden Haus töten wollen und ein Netz über das Dach gespannt. Hunderte Tauben waren eingesperrt. „Es hat drei Tage gedauert, bis wir endlich rein durften, da waren die meisten Tauben schon tot. Ich habe Anzeige erstattet, aber es ist nichts passiert.“Zwei Jahre später habe derselbe Makler dasselbe noch einmal mit dem Haus gemacht.
„Ich bin schon x-mal wegen Tierquälerei zur Polizei gegangen, aber wir haben faule Richter, die reagieren zu spät.“
Kim hat sich für dieses Jahr zwei Ziele gesetzt: Er will sich offiziell als Tierschutzverein registrieren lassen. „Dann kann ich mehr Druck ausüben.“Der Antrag beim Landwirtschaftsministerium ist gestellt. Und er möchte in Differdingen eine Pflegestelle für Tauben aufbauen. „Um den Tieren gerecht zu werden und im Interesse der Öffentlichkeit zu handeln.