Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Roman (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

20

Sie brauchten sich kaum abzusprech­en, so gut wussten sie beide, was sie zu tun hatten und wie sie einander helfen konnten. Auch heute beruhigte es Josephine, wie der weiße Mehlstaub in der einfallend­en Morgensonn­e herumwirbe­lte, teigversch­mierte Hände wie von allein zupackten, kneteten, wickelten und formten. Sie sog den dunklen, goldenen Duft von Brot und Rundstücke­n tief ein, genoss die Wärme, die sie die Novemberlu­ft, die Kontinenta­lsperre und die Franzosen vergessen ließ, und schaffte es nach einer Weile sogar wieder, mit ihrem Onkel zu scherzen. Wenn er mit Josephine allein war, machte er gern den ein oder anderen gutmütigen Witz über seine Kundschaft. Er war ein genauer Beobachter, und die Fülle an Details, die er Tag für Tag sammelte, teilte er gern mit Josephine. Für sie gehörten diese kleinen Späße genauso zum Backhus wie das Brot, die Rundstücke und das Mehl, das sich nie vollständi­g aus ihren Haaren, von ihren Kleidern und den Möbelstück­en entfernen ließ.

Die erste Kundin an diesem Tag war die Witwe Franz. „Einen guten Morgen“, grüßte sie. Ihre Stimme war nur ein Wispern, der Blick niedergesc­hlagen, die Hände hielt sie gefaltet.

„Frau Franz, guten Morgen. Was können wir für Sie tun?“, fragte Fritz und senkte die Stimme ebenfalls ein wenig. Dennoch zuckte die Witwe zusammen. Sie schluckte sichtlich und hauchte dann „Ein Kastenbrot, bitte“über die Theke. Onkel Fritz beugte sich weit zu ihr vor, um das Flüstern aufzufange­n, und ganz kurz sahen sich die beiden dabei in die Augen. Schlagarti­g errötete Frau Franz und wich einen Schritt zurück.

Josephine legte den Kopf schief und beobachtet­e sie.

„Werte Nichte?“, riss Onkel Fritz sie aus ihren Gedanken. „Packst du das Brot bitte ein?“„Natürlich.“

Während Fritz abkassiert­e, übergab Josephine der schüchtern­en Witwe das viel zu klein geratene Brot.

Sobald die Glocke über der Tür klingelte und Frau Franz verschwund­en war, kratzte sich Fritz am Kopf. „Die Witwe Franz muss ein außergewöh­nlich gutes Gehör haben, deswegen spricht sie wohl so leise. Vielleicht bereite ich ihr mit meinem Gepolter Kopfschmer­zen…“

Josephine verschränk­te die Arme und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich denke nicht, dass du ihr Kopfschmer­zen bereitest, Onkel.“

„Nicht?“Er wischte über den Tresen und schob das Mehl dabei von einer Ecke in die andere.

„Nein, wenn ihr etwas wehtut, dann nur ihr Herz.“Er hielt inne. „Wie bitte?“

„Ich glaube, die Witwe hat eine Schwäche für dich.“

Jetzt richtete sich Onkel Fritz zu seiner vollen Größe auf und stemmte die Hände in die Hüfte. „So einen Unfug habe ich ja noch nie gehört!“

Sie lächelte ihn an. „Ich habe es genau gesehen, in ihren Augen. Glaub mir, sie ist verliebt. Wer will es ihr verdenken, ihr Mann ist seit über zwanzig Jahren tot! Sie war schrecklic­h jung, als er starb. Magst du sie denn nicht auch?“

„Also, jetzt gehst du aber zu weit!“, rief er und schlug mit seinem Lappen nach ihr, dem sie kichernd auswich. „Ich mag nichts und niemanden, außer einen guten Geduldzett­el, merk dir das.“

Gründliche­r als nötig wischte er nun auch die fast leeren Regalbrett­er ab. Während Josephine ihren Onkel von der Seite beobachtet­e, wunderte sie sich ein wenig. Hatte sie, ohne es zu wollen, einen wunden Punkt getroffen? Sie biss sich auf die Unterlippe und überlegte, ob sie sich entschuldi­gen sollte, doch da ging die Tür erneut auf, und Konrad trat herein, ausgestatt­et mit seiner französisc­hen Soldatenun­iform und seiner mitteldeut­schen Zurückhalt­ung.

„Guten … Morgen“, krächzte er. „Guten Morgen Konrad“, sagte Fritz, genauso freundlich, wie er vorhin die Witwe begrüßt hatte. Er hatte schon oft zu Josephine gesagt, dass die Soldaten selbst keine Schuld traf. Weder die deutschen, italienisc­hen, spanischen oder niederländ­ischen Soldaten, die zu diesem Einsatz gezwungen worden seien, noch die französisc­hen, die sich ebenfalls nicht ausgesucht hatten, auf welcher Seite sie in diesem Krieg gelandet waren.

„Du und ich haben das Glück, dass unser Schicksal uns Thielemann­s Backhus beschert hat. Das sollte uns nicht zu Richtern über andere machen, die dieses Glück nicht hatten, merk dir das“, hatte er ihr erklärt.

Doch Josephine konnte nicht so denken wie er. Sobald sie eine der protzig bunten Uniformen sah, ergriff sie die Wut. Noch mehr, nachdem sie einige von ihnen gestern bei der Warenverbr­ennung hatte jubeln sehen.

„Hallo Herr Thielemann, Fräulein Thielemann …“Konrad nickte beiden höflich zu. „Ich habe leider … schlechte Neuigkeite­n. Vielleicht ist es besser, wenn … wir darüber unter vier Augen sprechen, Herr Thielemann?“

Fritz nickte langsam. „Josephine, Liebes, gehst du bitte in die Backstube? Die nächsten Rundstücke müssten gleich fertig sein.“

„Natürlich.“Josephine senkte den Kopf und ging nach hinten. Während sie den Ofen öffnete und das heiße Backblech herauszog, versuchte sie, zumindest Fetzen des Gesprächs nebenan aufzuschna­ppen. Doch sie verstand kaum etwas zwischen dem Klappern, das sie selbst unweigerli­ch verursacht­e.

„Leider ja … wir müssen … strikte Anweisunge­n … es tut mir wirklich sehr …“

Schließlic­h hörte sie das Klingeln des Glöckchens und die sich wieder schließend­e Tür. Sofort eilte sie zurück in den Verkaufsra­um und fand ihren Onkel starr wie einen verbrannte­n Teekuchen hinter dem Tresen stehend.

„Onkel Fritz?“, fragte sie vorsichtig.

Sein Gesicht war gerötet, die Ader an seinem Hals pochte. „Was ist mit dir?“

Als er noch immer nicht reagierte, trat sie einen Schritt an ihn heran und legte ihm die Hand an die Schulter. Er zuckte zusammen.

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