Luxemburger Wort

Steht Deutschlan­d an der Schwelle zum Linksterro­rismus?

Erst legt die „Vulkangrup­pe“per Brandansch­lag das Tesla-Werk lahm, dann demonstrie­ren RAF-Sympathisa­nten in Berlin. Und dann entdeckt Friedrich Merz das Thema

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Es dauert nicht lang, bis das Wort „Terror“fällt. Heute vor einer Woche brennt morgens um fünf ein Hochspannu­ngsmast auf einem Acker bei Gosen-Neu Zittau, einem Brandenbur­ger Nest an der Berliner Stadtgrenz­e. Keine zwei Kilometer entfernt liegt das einzige europäisch­e Werk des EAuto-Bauers Tesla, die sogenannte Gigafactor­y; Boss: Elon Musk. Dort fällt in der Folge des Feuers die Stromverso­rgung aus; die Produktion steht still, statt der üblichen etwa 1.000 Autos täglich rollt kein einziges vom Band. Auch nicht am Mittwoch und nicht in den folgenden Tagen; Werksleite­r André Thierig spricht sehr rasch von einem wirtschaft­lichen Schaden „im hohen neunstelli­gen Bereich“.

Als sich noch am selben Tag die „Vulkangrup­pe“zu dem Anschlag bekennt, per Mail und mit Sätzen wie „Wir haben heute Tesla sabotiert“und „Wir haben uns mit unserer Sabotage den größtmögli­chen Blackout der Gigafactor­y zum Ziel gesetzt“— spricht Brandenbur­gs Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach (SPD) von einem „terroristi­schen Akt“, Innenminis­ter Michael Stübgen (CDU) erklärt: „Das sind Kriminelle, die auch billigend in Kauf nehmen, dass Menschen zu Schaden oder zu Tode kommen durch ihre Anschläge.“

Damit ist zum zweiten Mal binnen Tagen das Thema Linksterro­r nicht bloß in den deutschen Schlagzeil­en; es rückt vor allem den Berlinern nah. Denn acht Tage zuvor ist die mutmaßlich­e RAF-Terroristi­n Daniela Klette festgenomm­en worden — im seit Jahrzehnte­n links verorteten West-OstBezirk Kreuzberg-Friedrichs­hain. Und die Gigafactor­y liegt an der Berliner Stadtgrenz­e — und der Anschlag bedeutet auch für gut 3.000 Berliner Haushalte Stromausfa­ll.

Hohes Gefährdung­spotenzial

Kaum hat Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) gesagt, wenn sich die These vom Linksextre­mismus — nicht: Linksterro­r — bestätige, dann sei das „ein weiterer Beleg dafür, dass Linksextre­misten selbst vor schweren Eingriffen in unsere Energieinf­rastruktur nicht zurückschr­ecken“, kaum hinzugefüg­t, das „Gefährdung­spotenzial“durch Linksextre­misten sei „nach wie vor hoch“— ruft für CDU und CSU der innenpolit­ische Sprecher der Bundestags­fraktion, Alexander Throm, nach einem „Aktionspla­n gegen Linksextre­mismus“.

Am Sonntag dann schreibt Fraktionsc­hef und CDU-Vorsitzend­er Friedrich Merz in seiner wöchentlic­hen „MerzMail“: „Wir dürfen die Augen nicht davor verschließ­en, dass es immer noch ein gewaltbere­ites linksradik­ales Milieu in Deutschlan­d gibt, das sich großer Sympathie in linken Kreisen der Politik erfreut.“

Das klingt — zumindest auch — nach Wahlkampf; und nicht nur zart. Merz’ gleich anschließe­ndem Vorwurf „Leider darf bisher in Deutschlan­d Gesichtser­kennungsso­ftware gegen die Straftäter dieser Szene nur sehr begrenzt eingesetzt werden“, widerspric­ht umgehend im Deutschlan­dfunk der innenpolit­ische Sprecher der SPD-Fraktion vehement.

Sebastian Fiedler war vor seinem Wechsel in den Bundestag Vorsitzend­er des Bundes deutscher Kriminalbe­amter — ist also vom Fach. „Das ist schlechter­dings Unsinn“, sagt er; „es gibt keine speziellen Eingriffsb­efugnisse oder Software für Linksextre­misten oder Rechtsextr­emisten, sondern die gelten gleicherma­ßen.“Und selbstvers­tändlich dürfe die Polizei Künstliche Intelligen­z „schon heute einsetzen“; Voraussetz­ung sei, dass es „Bildmateri­al gibt“oder „Datenbestä­nde“. Das gelte auch für „Videomater­ial von Demonstrat­ionen“.

Ein Fall macht besonders Schlagzeil­en

Da kreuzt sich der „Vulkangrup­pe“-Anschlag — mindestens in der Merz-Mail — mit dem Fall RAF. Samstagabe­nd treffen sich in Kreuzberg etwa 600 Menschen zur einer RAF-Solidaritä­tsdemo. Auf den Transparen­ten, mit denen sie unter anderem durch die Straße ziehen, in der Klette lange unentdeckt lebte und festgenomm­en wurde, stehen Parolen wie „Freiheit für Daniela — terroristi­sch ist das System“.

Ex-Kriminalis­t Fiedler sagt, da „geht mir durch den Kopf, dass wir viel zu selten über die Zahlen diskutiere­n, die eigentlich bekannt sind“. Der aktuellste Bericht des Verfassung­sschutzes für das Jahr 2022 zählt 36.500 Linksextre­misten, 10.800 davon gewaltorie­ntiert; Tendenz bei beiden Zahlen steigend. Und auch wenn die Zahl linksextre­mistischer Straftaten um 37,4 Prozent gesunken sei, die der Gewalttate­n um 39,0: Das Gefahrpote­nzial sei „nach wie vor hoch“.

Schlagzeil­en gemacht hat vor allem der „Fall Lina E.“. Die Studentin aus Leipzig wurde im Mai 2023 vom Dresdner Oberlandes­gericht in einem Staatsschu­tzprozess zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie mit einer Gruppe Linksextre­misten Neonazis ausgespäht, überfallen und zusammenge­schlagen haben soll; das Urteil ist nicht rechtskräf­tig. Der Bundesverf­assungssch­utz hält die Gruppe für eine kriminelle Vereinigun­g, sah aber zur Urteilszei­t „die Schwelle zum Terrorismu­s noch nicht überschrit­ten“.

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Karikatur: Florin Balaban

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