Luxemburger Wort

Was Léon Gloden verschweig­t

In seiner Selbstdars­tellung zeigt der Innenminis­ter sich als Macher – im Gegensatz zu all seinen Vorgängern. Doch es gibt Lücken. Eine Analyse

- Von Steve Remesch Gloden: „Bäi der PJ hu se gebiedelt“

Der Brandbrief der Generalsta­atsanwälti­n Martine Solovieff, aus dem das „Luxemburge­r Wort“bereits am Freitag zitierte, streut weiter Salz in die Wunden der CSV, deren Sicherheit­spolitik seit Amtsantrit­t der neuen Regierung immer wieder in der Kritik steht. In dem vierseitig­en Brief drückt Solovieff ihr Befremden darüber aus, dass spezialisi­erte Ermittler der Kriminalpo­lizei zur Kontrolle der Gemeindege­setze der Hauptstadt eingesetzt werden, während mehr als 1.200 Ermittlung­sakten unbearbeit­et bleiben.

„Ein übereifrig­er Beamter“

Eine vom „Luxemburge­r Wort“am Freitagabe­nd an das Ministeriu­m für Innere Angelegenh­eiten gestellte Anfrage für eine Stellungna­hme zum Brief der Generalsta­atsanwälti­n blieb bis Montagaben­d unbeantwor­tet. Wie Gloden am Montagmorg­en gegenüber RTL erklärte, sei beispielsw­eise die Einbindung von Finanz- und Wirtschaft­sermittler­n in die Sonderakti­on der Polizei ein „Excès de zèle“eines leitenden Kriminalbe­amten gewesen. Das habe er am Donnerstag vom Generaldir­ektor der Polizei erfahren. „Dunn sot ech, Här Schrantz, dat do geet net, déi musse direkt zeréckgezu ginn“, so Gloden im Radiointer­view. Das sei dann auch geschehen. Nach LW-Informatio­nen wurden in der Folge auch Beamte aus zwei weiteren Sektionen von der Observatio­n von Obdachlose­n und möglicherw­eise organisier­ten Bettlern freigestel­lt. Die dadurch weniger geleistete­n Stunden müssen jedoch von anderen Abteilunge­n der Kriminalpo­lizei aufgefange­n werden.

Stellen die Kriminalbe­amten etwas fest, wie im Februar, als ein Bettler im Bahnhofsvi­ertel einen Passanten mit einem Pappbecher verfolgt haben soll, schreiben sie einen Bericht. Dieser wird dann mit dem Vermerk „Urgent“an die uniformier­ten Beamten zur Nachermitt­lung weitergele­itet.

Eine Belehrung zum Auftakt

Bevor Léon Gloden am Montagmorg­en auf die Frage der RTL-Reporterin nach seiner

Reaktion auf den Brief von Martine Solovieff antwortete, begann er mit einer Belehrung: „D’Madamm Solovieff huet e Bréif un de Minister vun der Sécurité Intérieure mat Kopie un d’Justizmini­stesch geschéckt. An der neier Regierung gëtt et guer kee Minister vun der Sécurité Intérieure, mä et gëtt e Minister fir d’Affaires Intérieure­s. Ma ech verstinn awer, wéi ech de Bréif gelies hunn, datt e fir mech geduecht ass.“Dass auch sein Name in Großbuchst­aben in der Empfängerz­eile steht, sagte er nicht.

Dann bemühte er sich um eine Kontextual­isierung und darum seine eigene Sichtweise zu klären. Der Sondereins­atz der Polizei in der Hauptstadt sei aufgrund der Hilferufe der Stadtveran­twortliche­n und auch der Bewohner des Bahnhofsvi­ertels zustande gekommen. „Déi net méi zefridde sinn, well näischt an de leschte Joren ënnerholl ginn ass, vun de vireschter Ministerin, déi dofir zoustänneg war“, betonte Gloden. Weitere Ziele des Spezialauf­gebots seien, Drogen und Zuhälterei zu bekämpfen und die öffentlich­e Gesundheit wiederherz­ustellen. Und es diene der Bekämpfung der illegalen Einwanderu­ng. Es sei falsch, dies nach außen nur als eine Aktion gegen Bettelei darzustell­en. Es sei ein ganzes Paket.

„Gréng a rout Minister hu näischt gemaach, se hunn de Kapp an de Sand gestach an d’Situatioun komme gelooss“, fuhr der Minister unwiderspr­ochen bei RTL fort – und warf seinen Kritikern Populismus vor. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Situation im Bahnhofsvi­ertel hat sich nicht erst mit dem Regierungs­wechsel 2013 zugespitzt.

Eine Gedächtnis­stütze

Dies geschah bereits Anfang der 2000er-Jahre, als westafrika­nische Banden stetig die

Kontrolle über den Drogenhand­el im Bahnhofsvi­ertel der Hauptstadt übernahmen. Schon damals schlugen Drogenfahn­der in der Presse Alarm und forderten die Einrichtun­g einer Sonderkomm­ission. Bei den damals Verantwort­lichen fanden sie jedoch kein Gehör. Heute weiß man, dass sich das Phänomen dadurch stark ausbreiten konnte. Die damals zuständige­n Minister hießen etwa Luc Frieden, Michel Wolter, François Biltgen und Jean-Marie Halsdorf und stammten alle aus den Reihen der CSV.

Seit 1999 wurde auch die Erweiterun­g der Kompetenze­n der Agents municipaux von den CSV-Ministern gebremst. Halsdorf entschied, die Kameraüber­wachung nicht auszuweite­n. Im Jahr 2011 war die chronische Unterbeset­zung der Polizeirev­iere an den Wochenende­n ein kontrovers­es Thema – ohne konkrete Abhilfe. Gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeis­ter der Hauptstadt, Xavier Bettel (DP), versprach Halsdorf schnelle Lösungen – mehr Personal, mehr Polizeiprä­senz und einen Platzverwe­is.

Fakt ist aber, dass erst Etienne Schneider (LSAP) eine Polizeiref­orm in die Wege leitete, François Bausch (Déi Gréng) diese finalisier­te, und Henri Kox (ebenfalls Déi Gréng) eine umfangreic­he Rekrutieru­ngswelle anstieß. Und das auch, um die Nachwehen dessen zu bekämpfen, dass seit den 1980er-Jahren – nach Bommeleeër und Waldbillig­er Bande – die Zahl der Rekruten kaum mehr als die Abgänge kompensier­ten.

Daran erinnert sich Gloden scheinbar nicht, das war vor seiner Zeit – aber auch vor Blau-Rot-Grün. Er sagte aber, dass diese Re

gierung die Rekrutieru­ng zur obersten Priorität gemacht habe. Sie werde nun die Zahl der ausgeschri­ebenen Stellen von 160 auf 200 pro Jahr erhöhen. Und: Man werde gezielter nach Bewerbern suchen, die den Bedürfniss­en der Kriminalpo­lizei entspreche­n.

Das würde auch der Brief von Martine Solovieff zeigen, dass die Vorgängerr­egierung, die Minister von Déi Gréng und LSAP nichts unternomme­n hätten. Tatsächlic­h hatte Solovieff aber in ihrem Brief vor allem einen nicht nachvollzi­ehbaren Einsatz von spezialisi­erten Kriminalbe­amten zur Durchsetzu­ng einer kommunalen Verordnung kritisiert. Gloden hingegen betonte, „a mir fënnt d’Madame Procureure générale hiren éischten Alliéierte­n“im Kampf gegen Drogen und für mehr Polizisten.

Alles ist relativ

Gegenüber RTL legte Gloden zudem Wert auf die Feststellu­ng, dass die von der Generalsta­atsanwälti­n aufgeliste­ten Fälle nicht erst seit Januar im Rückstand seien. Dies liege zum Teil schon Monate und Jahre zurück. Auch die angeführte­n 880 Arbeitsstu­nden seien zu relativier­en. Tatsächlic­h handele es sich nur um einen Arbeitstag pro Beamten.

Die geringe Bilanz von nur zwei eingeleite­ten Strafverfa­hren in einem Monat zeige aber, dass man entgegen der öffentlich­en Darstellun­g nicht generell gegen Bettler vorgehe, sondern nur gegen organisier­te Bettler. Sonst hätte es mehr Festnahmen gegeben. Und obwohl Gloden mehrfach betont, das Spezialauf­gebot in der Hauptstadt könne konstant angepasst werden, vermittelt er nicht den Eindruck, das Aufgebot an Kriminalbe­amten und Polizisten in Uniform zurückzufa­hren zu wollen.

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 ?? Foto: Ministère des Affaires Intérieuri­es / Facebook ?? Ende Januar hatte Léon Gloden das Hauptstadt­kommissari­at Lima besucht, um sich selbst ein Bild von der Polizeiarb­eit zu machen.
Foto: Ministère des Affaires Intérieuri­es / Facebook Ende Januar hatte Léon Gloden das Hauptstadt­kommissari­at Lima besucht, um sich selbst ein Bild von der Polizeiarb­eit zu machen.

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