Was Léon Gloden verschweigt
In seiner Selbstdarstellung zeigt der Innenminister sich als Macher – im Gegensatz zu all seinen Vorgängern. Doch es gibt Lücken. Eine Analyse
Der Brandbrief der Generalstaatsanwältin Martine Solovieff, aus dem das „Luxemburger Wort“bereits am Freitag zitierte, streut weiter Salz in die Wunden der CSV, deren Sicherheitspolitik seit Amtsantritt der neuen Regierung immer wieder in der Kritik steht. In dem vierseitigen Brief drückt Solovieff ihr Befremden darüber aus, dass spezialisierte Ermittler der Kriminalpolizei zur Kontrolle der Gemeindegesetze der Hauptstadt eingesetzt werden, während mehr als 1.200 Ermittlungsakten unbearbeitet bleiben.
„Ein übereifriger Beamter“
Eine vom „Luxemburger Wort“am Freitagabend an das Ministerium für Innere Angelegenheiten gestellte Anfrage für eine Stellungnahme zum Brief der Generalstaatsanwältin blieb bis Montagabend unbeantwortet. Wie Gloden am Montagmorgen gegenüber RTL erklärte, sei beispielsweise die Einbindung von Finanz- und Wirtschaftsermittlern in die Sonderaktion der Polizei ein „Excès de zèle“eines leitenden Kriminalbeamten gewesen. Das habe er am Donnerstag vom Generaldirektor der Polizei erfahren. „Dunn sot ech, Här Schrantz, dat do geet net, déi musse direkt zeréckgezu ginn“, so Gloden im Radiointerview. Das sei dann auch geschehen. Nach LW-Informationen wurden in der Folge auch Beamte aus zwei weiteren Sektionen von der Observation von Obdachlosen und möglicherweise organisierten Bettlern freigestellt. Die dadurch weniger geleisteten Stunden müssen jedoch von anderen Abteilungen der Kriminalpolizei aufgefangen werden.
Stellen die Kriminalbeamten etwas fest, wie im Februar, als ein Bettler im Bahnhofsviertel einen Passanten mit einem Pappbecher verfolgt haben soll, schreiben sie einen Bericht. Dieser wird dann mit dem Vermerk „Urgent“an die uniformierten Beamten zur Nachermittlung weitergeleitet.
Eine Belehrung zum Auftakt
Bevor Léon Gloden am Montagmorgen auf die Frage der RTL-Reporterin nach seiner
Reaktion auf den Brief von Martine Solovieff antwortete, begann er mit einer Belehrung: „D’Madamm Solovieff huet e Bréif un de Minister vun der Sécurité Intérieure mat Kopie un d’Justizministesch geschéckt. An der neier Regierung gëtt et guer kee Minister vun der Sécurité Intérieure, mä et gëtt e Minister fir d’Affaires Intérieures. Ma ech verstinn awer, wéi ech de Bréif gelies hunn, datt e fir mech geduecht ass.“Dass auch sein Name in Großbuchstaben in der Empfängerzeile steht, sagte er nicht.
Dann bemühte er sich um eine Kontextualisierung und darum seine eigene Sichtweise zu klären. Der Sondereinsatz der Polizei in der Hauptstadt sei aufgrund der Hilferufe der Stadtverantwortlichen und auch der Bewohner des Bahnhofsviertels zustande gekommen. „Déi net méi zefridde sinn, well näischt an de leschte Joren ënnerholl ginn ass, vun de vireschter Ministerin, déi dofir zoustänneg war“, betonte Gloden. Weitere Ziele des Spezialaufgebots seien, Drogen und Zuhälterei zu bekämpfen und die öffentliche Gesundheit wiederherzustellen. Und es diene der Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Es sei falsch, dies nach außen nur als eine Aktion gegen Bettelei darzustellen. Es sei ein ganzes Paket.
„Gréng a rout Minister hu näischt gemaach, se hunn de Kapp an de Sand gestach an d’Situatioun komme gelooss“, fuhr der Minister unwidersprochen bei RTL fort – und warf seinen Kritikern Populismus vor. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Situation im Bahnhofsviertel hat sich nicht erst mit dem Regierungswechsel 2013 zugespitzt.
Eine Gedächtnisstütze
Dies geschah bereits Anfang der 2000er-Jahre, als westafrikanische Banden stetig die
Kontrolle über den Drogenhandel im Bahnhofsviertel der Hauptstadt übernahmen. Schon damals schlugen Drogenfahnder in der Presse Alarm und forderten die Einrichtung einer Sonderkommission. Bei den damals Verantwortlichen fanden sie jedoch kein Gehör. Heute weiß man, dass sich das Phänomen dadurch stark ausbreiten konnte. Die damals zuständigen Minister hießen etwa Luc Frieden, Michel Wolter, François Biltgen und Jean-Marie Halsdorf und stammten alle aus den Reihen der CSV.
Seit 1999 wurde auch die Erweiterung der Kompetenzen der Agents municipaux von den CSV-Ministern gebremst. Halsdorf entschied, die Kameraüberwachung nicht auszuweiten. Im Jahr 2011 war die chronische Unterbesetzung der Polizeireviere an den Wochenenden ein kontroverses Thema – ohne konkrete Abhilfe. Gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister der Hauptstadt, Xavier Bettel (DP), versprach Halsdorf schnelle Lösungen – mehr Personal, mehr Polizeipräsenz und einen Platzverweis.
Fakt ist aber, dass erst Etienne Schneider (LSAP) eine Polizeireform in die Wege leitete, François Bausch (Déi Gréng) diese finalisierte, und Henri Kox (ebenfalls Déi Gréng) eine umfangreiche Rekrutierungswelle anstieß. Und das auch, um die Nachwehen dessen zu bekämpfen, dass seit den 1980er-Jahren – nach Bommeleeër und Waldbilliger Bande – die Zahl der Rekruten kaum mehr als die Abgänge kompensierten.
Daran erinnert sich Gloden scheinbar nicht, das war vor seiner Zeit – aber auch vor Blau-Rot-Grün. Er sagte aber, dass diese Re
gierung die Rekrutierung zur obersten Priorität gemacht habe. Sie werde nun die Zahl der ausgeschriebenen Stellen von 160 auf 200 pro Jahr erhöhen. Und: Man werde gezielter nach Bewerbern suchen, die den Bedürfnissen der Kriminalpolizei entsprechen.
Das würde auch der Brief von Martine Solovieff zeigen, dass die Vorgängerregierung, die Minister von Déi Gréng und LSAP nichts unternommen hätten. Tatsächlich hatte Solovieff aber in ihrem Brief vor allem einen nicht nachvollziehbaren Einsatz von spezialisierten Kriminalbeamten zur Durchsetzung einer kommunalen Verordnung kritisiert. Gloden hingegen betonte, „a mir fënnt d’Madame Procureure générale hiren éischten Alliéierten“im Kampf gegen Drogen und für mehr Polizisten.
Alles ist relativ
Gegenüber RTL legte Gloden zudem Wert auf die Feststellung, dass die von der Generalstaatsanwältin aufgelisteten Fälle nicht erst seit Januar im Rückstand seien. Dies liege zum Teil schon Monate und Jahre zurück. Auch die angeführten 880 Arbeitsstunden seien zu relativieren. Tatsächlich handele es sich nur um einen Arbeitstag pro Beamten.
Die geringe Bilanz von nur zwei eingeleiteten Strafverfahren in einem Monat zeige aber, dass man entgegen der öffentlichen Darstellung nicht generell gegen Bettler vorgehe, sondern nur gegen organisierte Bettler. Sonst hätte es mehr Festnahmen gegeben. Und obwohl Gloden mehrfach betont, das Spezialaufgebot in der Hauptstadt könne konstant angepasst werden, vermittelt er nicht den Eindruck, das Aufgebot an Kriminalbeamten und Polizisten in Uniform zurückzufahren zu wollen.