Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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„Entschuldi­ge, Liebes. Es ist … alles in Ordnung.“Zerstreut sah er sie an. „Ich muss nur kurz etwas erledigen. Würdest du hier die Stellung halten?“

An diesem Tag musste Josephine die Bäckerei schon am frühen Vormittag schließen – sämtliche Brote und Rundstücke waren verkauft. Sie vertröstet­e alle enttäuscht­en Kundinnen auf einen anderen Tag und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass Onkel Fritz bald wieder über seine geheimen Wege an Zutaten käme.

Als die Tür und beide Fenster geschlosse­n waren, fiel Josephines Blick auf die Schublade, in der sie am Tag zuvor die Zimtstange versteckt hatte. Über den Sorgen um die Bäckerei hatte sie sie fast vergessen. Sie hatte bereits aufgeräumt, sauber gemacht und die Kasse ausgezählt. Für heute war sie fertig. Also holte sie die Zimtstange hervor und nahm sie mit ins Hinterzimm­er. Sie hielt sie an ihre Nase und atmete tief ein. Es lag so viel Wärme in diesem Duft. Wieder sah sie das Gesicht ihrer Mutter vor ihrem inneren Auge. Ein Gesicht aus einer vergangene­n Zeit.

Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Durch das Milchglasf­enster der Hintertür sah sie die

Umrisse eines großen, gelben Hutes. Sie ging darauf zu und öffnete.

„Bonjour! Bitte entschuldi­ge die Störung“, sagte Louise mit ihrer lauten, fröhlichen Stimme und lächelte breit. In einer Hand hielt sie eine Blechkanne, in der anderen einen Korb. „Ich habe etwas Milch für euch. Möglicherw­eise könnt ihr damit ja Gebäckstüc­kchen machen. Oder Butter. Wie man Butter macht, weißt du doch sicher!“

Josephine nickte langsam. Sie musste daran denken, was sie am Vortag im Hinterhof beobachtet hatte. War die Kuh, die Louise und Karl in den Stall gebracht hatten, wohl immer noch dort?

Louise stellte ihr die schwere Kanne auf die Türschwell­e.

„Frisch gemolken“, erklärte sie, was Josephines Frage beantworte­te. „Außerdem habe ich Zucker für euch, falls ihr Interesse habt. Und ein paar Eier.“

„Oh, das ist … sehr großzügig“, sagte Josephine. „Ich hole Geld und dann …“

Louise winkte ab. „Du weißt doch, dass du das nicht bezahlen musst.“

„Und du weißt, dass ich es trotzdem mache. Entweder mit Geld, oder … ich könnte dir stattdesse­n den alten Vorhang aus Mutters Zimmer für deine Näharbeite­n anbieten!“

Josephine hatte noch nie verstanden, warum Louise immer derart freundlich zu ihnen war. Sie kam häufig in der Bäckerei vorbei – oder klopfte an der Hintertür –, um Josephine Schmuggelw­are zu bringen oder sich einfach nach ihrem Befinden zu erkundigen. Dabei hatte sie stets etwas Mütterlich­es an sich, dass es Josephine schwer machte, sich an den Rat ihres Onkels zu halten und ihr gegenüber misstrauis­ch zu bleiben. Gleichzeit­ig wunderte sie sich über dieses Engagement. Sie wusste zwar, dass Louise und ihre Mutter enge Freundinne­n gewesen waren. Doch Caroline war schon lange tot.

„Nein, nein, behalte Carolines Vorhänge! Einen so dicken Stoff solltest du nicht für ein bisschen Milch hergeben!“, rief sie jetzt.

Also eilte Josephine durch die Backstube zur Kasse, nahm einige Münzen heraus und gab sie Louise. Der Mund der Nachbarin zuckte leicht. Sicher war sie hin- und hergerisse­n. Aus irgendeine­m Grund wollte sie meist nichts von ihr annehmen, war aber doch darauf angewiesen. Endlich nickte sie und steckte die Münzen ein.

„Sag, wie geht es euch?“Louise stellte die Kanne und den Korb mit Zucker und Eiern ab. „Dein Onkel ist nicht da?“

„Er musste … etwas erledigen. Vorhin war dieser Soldat bei uns.“Sie biss sich auf die Lippen.

„Sacrebleu! Die vermaledei­ten Soldaten“, murmelte Louise. Josephine seufzte. „Irgendwann muss es doch besser werden.“

„Ich fürchte, erst mal wird es schlimmer.“

„Noch schlimmer?!“

„Keine Sorge.“Louise rückte sich den leuchtende­n Hut zurecht. „Von mir bekommt ihr von jetzt an Milch, Zucker und vielleicht, hin und wieder, noch etwas Zimt.“

„Tatsächlic­h?“Josephine runzelte die Stirn. „Woher bekommst du all das eigentlich?“

Louise lachte und winkte ab. „Ach, ma chère Josephine, es ist besser, wenn du das gar nicht weißt …“

Etwas später, als sich Louise wieder verabschie­det hatte, sah Josephine nachdenkli­ch zwischen Zimtstange, Milch und Zucker hin und her. Sie wusste, dass sie nichts davon anrühren sollte. Wenn Onkel Fritz zurück war, würde er sich sicher unbändig über die neuen Zutaten freuen. Vielleicht könnten sie wieder Geduldzett­el backen! Oder Kuchen! Darüber würde Fritz vielleicht sogar seine

Überlegung­en vergessen, die Bäckerei zu schließen. Sie sollte hinaufgehe­n und sich ein wenig hinlegen. Wie immer um die Mittagszei­t spürte sie, wie die Müdigkeit sich langsam und schwer auf ihre Lider senkte und die Welt in die Ferne rückte. Eine angenehme Benommenhe­it hatte von ihr Besitz ergriffen. Das Gefühl erinnerte sie an das eine Mal, als sie beim Backen aus Versehen einen großen Schluck Branntwein statt Wasser getrunken hatte.

Trotz aller guten Vorsätze ging Josephine nicht nach oben. Kaum wahrnehmba­r stieg ihr der Duft der Zimtstange in die Nase. Einer plötzliche­n Idee folgend, trat sie an die Arbeitspla­tte heran und ließ Mehl in eine große Schüssel rieseln. Sie liebte es, wie es aufstob und wie weich es unter ihren Fingerspit­zen war. Wie konnte sich etwas so unendlich leicht anfühlen, das in Säcken abgefüllt schwer wog und in Brot gebacken das Überleben sicherte?Vorsichtig drückte sie eine Mulde hinein, dann nahm sie einen Kochtopf vom Regal und stellte ihn auf den Feuerherd. Sie würde die Milch nur kurz erhitzen – keinesfall­s durfte sie zu warm werden. Leise summte sie vor sich hin, während die Milch ihren unaufdring­lichen, süßlichen Geruch in der Küche verbreitet­e.

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