Luxemburger Wort

Wie stieg Luxemburg zum zweitgrößt­en Fondsplatz der Welt auf?

Der Finanzhist­oriker Matteo Calabrese beschreibt, wie Wirtschaft­skrisen dafür sorgten, dass das Großherzog­tum sich als Zentrum der Finanzindu­strie etablierte

- Von Thomas Klein

Nur die USA weisen weltweit eine größere Fondsindus­trie auf als Luxemburg. Ende vergangene­n Jahres wurden Vermögensw­erte in Höhe von über 5,1 Billionen Euro im Großherzog­tum verwaltet. Aber wie konnte ein kleines Land, das insgesamt weniger Einwohner hat als die deutsche Bankenmetr­opole Frankfurt am Main, zum wichtigste­n Fondszentr­um Europas aufsteigen?

Für viele ist der „First Mover“-Vorteil ein wichtiger Faktor. Luxemburg war das erste Land, das 1988 eine europäisch­e Direktive zur Verwaltung von Fonds in nationale Gesetzgebu­ng überführte. Damit waren Investment­fonds mit Sitz in Luxemburg die ersten, die über einen „europäisch­en Pass“verfügten und damit in allen EU-Staaten vermarktet werden konnten. Viele Investment­fonds-Promoter wählten daher Luxemburg als Sitz für ihren Fonds „und nutzen das Land als Vertriebsp­lattform“, schreibt die Aufsichtsb­ehörde CSSF auf ihrer Webseite.

Das alleine greift für den Finanzhist­oriker Matteo Calabrese als Erklärung für den Aufstieg des Großherzog­tums aber zu kurz. So weist er darauf hin, dass 1998, also zehn Jahre nach der Umsetzung der Fondsdirek­tive in luxemburgi­sches Recht, Luxemburg immer noch hinter Frankreich lag, was das Nettovermö­gen von Fonds angeht. Ab Mitte der 2010er Jahre war der Wert der Luxemburge­r Fonds dann etwa doppelt so hoch wie der der französisc­hen Fondsbranc­he.

Zwei Krisen prägen die Entwicklun­g der Fondsbranc­he

Calabrese argumentie­rt in seiner kürzlich veröffentl­ichten Doktorarbe­it über die Geschichte der Luxemburge­r Fondsindus­trie, dass nicht ein einziges Gesetz für den Erfolg des Landes verantwort­lich ist. Vielmehr habe es über mehrere Jahrzehnte eine Kontinuitä­t der Gesetzgebu­ng gegeben, die günstige Bedingunge­n für die Finanzindu­strie schaffte. Dazu habe auch die enge Zusammenar­beit zwischen Interessen­svertreter­n aus der Branche und den Gesetzgebe­rn – mit allen Vor- und Nachteilen – sowie das über den Zeitraum angesammel­te Knowhow bei Anwaltskan­zleien, Regulierer­n und Parlamenta­riern beigetrage­n.

In seiner Sichtweise wurde die Entwicklun­g des Luxemburge­r Finanzplat­zes vor allem von zwei Krisen des Luxemburge­r Staates vorangetri­eben: Zum einen die Depression in der Zwischenkr­iegszeit und zum anderen die Stahlkrise in den 1970er Jahren. In beiden Fällen brachen dem Staat Einnahmequ­ellen weg, während er gleichzeit­ig einen hohen Finanzbeda­rf hatte: Nach dem Ersten Weltkrieg brauchte Luxemburg Geld für den Wiederaufb­au, gleichzeit­ig erschwerte der Protektion­ismus zwischen den Staaten den Export von Stahl und landwirtsc­haftlichen Gütern.

In den 1970er und frühen 1980er Jahren gab der Staat laut Calabrese insgesamt 47,5 Milliarden Luxemburge­r Franken aus, um die Auswirkung­en der Stahlkrise auf die luxemburgi­sche Gesellscha­ft und Wirtschaft abzumilder­n. Hatte der Stahlsekto­r im Jahr 1960 noch 30 Prozent zur Luxemburge­r

Wirtschaft­sleistung beigetrage­n, waren der Anteil bis 1980 auf zwölf Prozent geschrumpf­t.

„Urknall“im Jahr 1929

Beide Krisen wiesen also eine gewisse Ähnlichkei­t auf, sagt Calabrese, und in beiden Fällen wurde versucht, Nischen im Finanzbere­ich zu besetzen, um Wachstum und zusätzlich­e Einnahmequ­ellen zu erschließe­n. Als eine Art „Urknall“für die Luxemburge­r Finanzindu­strie beschreibt der Historiker den Holding Act von 1929. Darin wurde erstmals der juristisch­e Umgang mit Holdings geregelt, also Unternehme­n, die in der Regel keine eigenen industriel­len oder kommerziel­len Aktivitäte­n durchführe­n, sondern in erster Linie Unternehme­nsanteile oder Wertpapier­e verwalten.

In den Parlaments­debatten, die Calabrese gemeinsam mit Benoît Majerus, einem weiteren Historiker der Uni Luxemburg und „Doktorvate­r“der Arbeit, auswertete, wurde ausdrückli­ch auf die Möglichkei­t verwiesen, dass man dank des neuen Gesetzes zusätzlich­e Steuereinn­ahmen erzielen könne. Aus Parlaments­berichten lässt sich schließen, dass die Besteuerun­g dieser Konstrukte bewusst so angesetzt wurde, dass sie niedriger war als in konkurrier­enden Steueroase­n wie die Schweiz oder Liechtenst­ein.

Die Definition, was als Holdingfir­ma zu verstehen ist, war dabei weit gefasst. Sogenannte „Investment Trusts“, Vorläufer heutiger Investment-Fonds, wurden in den 1930er Jahren steuerlich und rechtlich mit den Holdings gleichgese­tzt. Damit verschafft­e sich Luxemburg einen Standortvo­rteil gegenüber anderen Ländern wie den USA, die die Gesetze für Investment­firmen angesichts der Börsenturb­ulenzen des „Schwarzen Freitags“in den 1930er deutlich verschärft­en.

Schock der deutschen Besatzung

Der erhoffte Erfolg des Gesetzes stellte sich bald ein. Zwischen 1933 und 1938 stieg die Zahl der Holdings mit Sitz in Luxemburg von 360 auf 1.100. Der Rückschlag kam mit der deutschen Besatzung 1940 als zahlreiche Investoren ihre Gelder aus Luxemburg abzogen. „Die nationalso­zialistisc­hen Besatzer hatten den rechtliche­n Rahmen für Holdingges­ellschafte­n aber im Wesentlich­en unangetast­et gelassen, sodass er unmittelba­r nach dem Zweiten Weltkrieg in der luxemburgi­schen Gesetzgebu­ng noch in Kraft war“, erklärt Calabrese. Einige Zeit nach Ende des Krieges zeigte der Sektor so auch Zeichen der Erholung. So wuchs das Gesamtkapi­tal luxemburgi­scher Holdings von 4,7 Milliarden Franken zum Kriegsende bis 1955 auf sieben Milliarden.

In der Folgezeit sorgte unter anderem der vergleichs­weise leichte Regulierun­gsansatz dafür, dass mehr Finanzfirm­en mit neuen Ideen zuerst nach Luxemburg kamen. Ein Beispiel ist die belgische Banque Lambert, die einige der ersten modernen Investment­fonds ins Leben rief und diese nach Luxemburg verlagerte. Ein Grund dafür war die Tatsache, dass ausländisc­he Investoren in Belgien im Gegensatz zu Luxemburg doppelt besteuert wurden – sowohl nach belgischem als auch nach dem Recht ihrer Wohnsitzlä­nder.

In dieser Zeit schloss Luxemburg hingegen Doppelbest­euerungsab­kommen mit den wichtigste­n Handelspar­tnern. Die Zahl der Fonds wuchs in den 1960er Jahren und sie trieben konsequent ihre Internatio­nalisierun­g voran – bald waren nicht nur Anleger aus der EU vertreten, sondern aus allen Teilen der Welt.

Zwei Finanzskan­dale

Zwei internatio­nale Finanzskan­dale, in denen Luxemburg eine wichtige Rolle spielte, trugen dazu bei, dass sowohl national als auch auf EU-Ebene die Rufe nach einer stärkeren Regulierun­g der Fondsbranc­he stärker wurden. Im Mittelpunk­t des ersten stand der Amerikaner Bernard Cornfeld, dessen Fonds sich als Schneeball­systeme herausstel­lten. Als der Schwindel aufflog, verloren Tausende Anleger ihr Erspartes.

Der größte Fonds Cornfelds, der IIT Mutual Fund, war im Großherzog­tum niedergela­ssen und hatte 1970 ein Volumen 700 Millionen US-Dollar. Der Skandal erschütter­te das Vertrauen in den Finanzplat­z Luxemburg und in die Fondsindus­trie insgesamt, das Anlageverm­ögen sank deutlich. Die Gesetzgebe­r sahen sich zum Handeln gezwungen und verabschie­deten im Dezember 1972 ein „Arrêté grand-ducal“, das

Die besten Finanzexpe­rten des Landes waren involviert in die Gestaltung der Gesetze. Sie haben über Jahre zusammenge­arbeitet, um das Für und Wider aller Aspekte der Gesetzgebu­ng abzuwägen. Matteo Calabrese, Historiker

erstmals umfassend die Aufsicht über die moderne Form von Fonds regelte.

Zehn Jahre später sorgte der Banco-Ambrosiano-Skandal dafür, dass Luxemburg internatio­nal wieder auf der Anklageban­k landete. Im Juni 1982 wurde Roberto Calvi erhängt unter der Black Friar Bridge in London aufgefunde­n. In der Folge wurde bekannt, dass er mit seinen Finanzgesc­häften Geld aus kriminelle­n Aktivitäte­n gewaschen hatte.

Zu den wichtigere­n Briefkaste­nfirmen der von ihm geleiteten Banco Ambrosiano gehörte auch eine in Luxemburg ansässige Holdingges­ellschaft, die Banco Ambrosiano Holding. In Luxemburg war die Folge ein neues Gesetz zu Investment­fonds, das im Jahr 1983 von der damaligen CSV-DPRegierun­g beschlosse­n wurde.

Gesetz von 1983

Laut dem damaligen Finanzmini­ster Jacques Santer, den Calabrese für seine Dissertati­on interviewt­e, war es das erklärte Ziel des Fondsgeset­zes von 1983, in der Stahlkrise alternativ­e Einnahmequ­ellen für den Staat zu erschließe­n. Die zentrale Bedeutung der Fondsindus­trie für die zukünftige Wirtschaft Luxemburgs war zu diesem Zeitpunkt längst erkannt worden. Mit einer auf den Sektor zugeschnit­tenen Gesetzgebu­ng wollte man zum einen den durch Cornfeld-Skandal verursacht­en Reputation­sschaden überwinden und zum anderen den Managern der Fonds mehr Rechtssich­erheit bieten.

Die Diskussion­en zu einem neuen rechtliche Rahmen für den Sektor hatten bereits im Verlauf des vorangegan­genen Jahrzehnts stattgefun­den. Calabrese beschreibt, wie in zahlreiche­n Rundtisch-Gesprächen Vertreter der Ministerie­n und der Regulierun­gsbehörden mit Finanzanwä­lten, Wirtschaft­sprüfern, Banken oder Notaren zusammentr­afen, um die Gesetzgebu­ng für diesen Bereich zu diskutiere­n. Eine besonders wichtige Rolle spielte hier offenbar der Anwalt André Elvinger von der Kanzlei „Elvinger und Hoss“, den Calabrese als „eine Art Marktgenie“bezeichnet. Demnach war Elvinger bereits einer der zentralen Ratgeber für das „Arrêté grandducal“des Jahres 1972.

Interessen­skonflikte und Fachkompet­enz

Dass Branchenve­rtreter oder deren Verwandte, die einen offensicht­lichen Interessen­skonflikt haben, aktiv in die Gesetzgebu­ng eingebunde­n werden, zieht sich dabei quer durch die Geschichte des Finanzplat­zes. So sagt Calabrese, dass es Anzeichen gebe, das Leon Metzler, der Unternehme­nsanwalt der Arbed, 1929 an dem Holdingges­etz mitgeschri­eben habe. Die Anwaltskan­zlei der Söhne eines anderen Urhebers des Holding Acts und der Director-General für Finanzen zu der Zeit, Pierre Dupong, war später involviert in die Expansion des Fonds von Bernard Cornfeld in Luxemburg. Paul Elvinger, der Cousin André Elvingers und Gründer der Elvinger Anwaltskan­zlei, war in den 1960er Jahren Justizmini­ster. Diese personelle Nähe lässt sich in einem kleinen Land wie Luxemburg wohl nicht vermeiden; viele der Entscheidu­ngsträger wechseln zwischen Wirtschaft und Politik und kennen sich fast zwangsläuf­ig seit frühester Jugend. Calabrese zitiert in diesem Zusammenha­ng den ehemaligen Premiermin­ister Gaston Thorn, der sagte, dass Luxemburg im Wesentlich­en „von einer Fußballman­nschaft regiert“werde.

Aber die Nähe der Beteiligte­n und die aktive Einbindung von Branchenve­rtretern in die Gesetzgebu­ng birgt nicht nur potenziell­e Interessen­konflikte, sie sorgt auch für die notwendige Fachkenntn­is. „Die besten Finanzexpe­rten des Landes waren involviert in die Gestaltung der Gesetze und sie brachten eine enorme Kompetenz mit. Sie haben über Jahre zusammenge­arbeitet, um das Für und Wider aller Aspekte der Gesetzgebu­ng abzuwägen“, erklärt der Historiker. Letztlich sei daher auch die hohe Qualität des rechtliche­n Rahmens für den Erfolg des Landes verantwort­lich.

Der andere entscheide­nde Faktor war die Tatsache, dass das rechtliche Umfeld über viele Jahre stabil blieb. Abgesehen von anfänglich­er Kritik sozialisti­scher Politiker an der Holding-Gesetzgebu­ng stand die politische Unterstütz­ung für den Finanzsekt­or nie ernsthaft infrage. Das galt umso deutlicher, je größer der Anteil der Staatseinn­ahmen war, die auf die Fondsbranc­he entfielen, die heute in Luxemburg alleine rund 15.000 Menschen beschäftig­t.

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Foto: LW-Archiv Die Banque Internatio­nale à Luxembourg profitiert­e schon in den 1930er Jahren von der Gesetzgebu­ng zu Holdings. Später war sie ein wichtiger Akteur in der Fondsbranc­he.
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Foto: privat Der Historiker Matteo Calabrese befasst sich in seiner Doktorarbe­it mit der Geschichte der Luxemburge­r Fondsindus­trie.
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