Wie stieg Luxemburg zum zweitgrößten Fondsplatz der Welt auf?
Der Finanzhistoriker Matteo Calabrese beschreibt, wie Wirtschaftskrisen dafür sorgten, dass das Großherzogtum sich als Zentrum der Finanzindustrie etablierte
Nur die USA weisen weltweit eine größere Fondsindustrie auf als Luxemburg. Ende vergangenen Jahres wurden Vermögenswerte in Höhe von über 5,1 Billionen Euro im Großherzogtum verwaltet. Aber wie konnte ein kleines Land, das insgesamt weniger Einwohner hat als die deutsche Bankenmetropole Frankfurt am Main, zum wichtigsten Fondszentrum Europas aufsteigen?
Für viele ist der „First Mover“-Vorteil ein wichtiger Faktor. Luxemburg war das erste Land, das 1988 eine europäische Direktive zur Verwaltung von Fonds in nationale Gesetzgebung überführte. Damit waren Investmentfonds mit Sitz in Luxemburg die ersten, die über einen „europäischen Pass“verfügten und damit in allen EU-Staaten vermarktet werden konnten. Viele Investmentfonds-Promoter wählten daher Luxemburg als Sitz für ihren Fonds „und nutzen das Land als Vertriebsplattform“, schreibt die Aufsichtsbehörde CSSF auf ihrer Webseite.
Das alleine greift für den Finanzhistoriker Matteo Calabrese als Erklärung für den Aufstieg des Großherzogtums aber zu kurz. So weist er darauf hin, dass 1998, also zehn Jahre nach der Umsetzung der Fondsdirektive in luxemburgisches Recht, Luxemburg immer noch hinter Frankreich lag, was das Nettovermögen von Fonds angeht. Ab Mitte der 2010er Jahre war der Wert der Luxemburger Fonds dann etwa doppelt so hoch wie der der französischen Fondsbranche.
Zwei Krisen prägen die Entwicklung der Fondsbranche
Calabrese argumentiert in seiner kürzlich veröffentlichten Doktorarbeit über die Geschichte der Luxemburger Fondsindustrie, dass nicht ein einziges Gesetz für den Erfolg des Landes verantwortlich ist. Vielmehr habe es über mehrere Jahrzehnte eine Kontinuität der Gesetzgebung gegeben, die günstige Bedingungen für die Finanzindustrie schaffte. Dazu habe auch die enge Zusammenarbeit zwischen Interessensvertretern aus der Branche und den Gesetzgebern – mit allen Vor- und Nachteilen – sowie das über den Zeitraum angesammelte Knowhow bei Anwaltskanzleien, Regulierern und Parlamentariern beigetragen.
In seiner Sichtweise wurde die Entwicklung des Luxemburger Finanzplatzes vor allem von zwei Krisen des Luxemburger Staates vorangetrieben: Zum einen die Depression in der Zwischenkriegszeit und zum anderen die Stahlkrise in den 1970er Jahren. In beiden Fällen brachen dem Staat Einnahmequellen weg, während er gleichzeitig einen hohen Finanzbedarf hatte: Nach dem Ersten Weltkrieg brauchte Luxemburg Geld für den Wiederaufbau, gleichzeitig erschwerte der Protektionismus zwischen den Staaten den Export von Stahl und landwirtschaftlichen Gütern.
In den 1970er und frühen 1980er Jahren gab der Staat laut Calabrese insgesamt 47,5 Milliarden Luxemburger Franken aus, um die Auswirkungen der Stahlkrise auf die luxemburgische Gesellschaft und Wirtschaft abzumildern. Hatte der Stahlsektor im Jahr 1960 noch 30 Prozent zur Luxemburger
Wirtschaftsleistung beigetragen, waren der Anteil bis 1980 auf zwölf Prozent geschrumpft.
„Urknall“im Jahr 1929
Beide Krisen wiesen also eine gewisse Ähnlichkeit auf, sagt Calabrese, und in beiden Fällen wurde versucht, Nischen im Finanzbereich zu besetzen, um Wachstum und zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen. Als eine Art „Urknall“für die Luxemburger Finanzindustrie beschreibt der Historiker den Holding Act von 1929. Darin wurde erstmals der juristische Umgang mit Holdings geregelt, also Unternehmen, die in der Regel keine eigenen industriellen oder kommerziellen Aktivitäten durchführen, sondern in erster Linie Unternehmensanteile oder Wertpapiere verwalten.
In den Parlamentsdebatten, die Calabrese gemeinsam mit Benoît Majerus, einem weiteren Historiker der Uni Luxemburg und „Doktorvater“der Arbeit, auswertete, wurde ausdrücklich auf die Möglichkeit verwiesen, dass man dank des neuen Gesetzes zusätzliche Steuereinnahmen erzielen könne. Aus Parlamentsberichten lässt sich schließen, dass die Besteuerung dieser Konstrukte bewusst so angesetzt wurde, dass sie niedriger war als in konkurrierenden Steueroasen wie die Schweiz oder Liechtenstein.
Die Definition, was als Holdingfirma zu verstehen ist, war dabei weit gefasst. Sogenannte „Investment Trusts“, Vorläufer heutiger Investment-Fonds, wurden in den 1930er Jahren steuerlich und rechtlich mit den Holdings gleichgesetzt. Damit verschaffte sich Luxemburg einen Standortvorteil gegenüber anderen Ländern wie den USA, die die Gesetze für Investmentfirmen angesichts der Börsenturbulenzen des „Schwarzen Freitags“in den 1930er deutlich verschärften.
Schock der deutschen Besatzung
Der erhoffte Erfolg des Gesetzes stellte sich bald ein. Zwischen 1933 und 1938 stieg die Zahl der Holdings mit Sitz in Luxemburg von 360 auf 1.100. Der Rückschlag kam mit der deutschen Besatzung 1940 als zahlreiche Investoren ihre Gelder aus Luxemburg abzogen. „Die nationalsozialistischen Besatzer hatten den rechtlichen Rahmen für Holdinggesellschaften aber im Wesentlichen unangetastet gelassen, sodass er unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in der luxemburgischen Gesetzgebung noch in Kraft war“, erklärt Calabrese. Einige Zeit nach Ende des Krieges zeigte der Sektor so auch Zeichen der Erholung. So wuchs das Gesamtkapital luxemburgischer Holdings von 4,7 Milliarden Franken zum Kriegsende bis 1955 auf sieben Milliarden.
In der Folgezeit sorgte unter anderem der vergleichsweise leichte Regulierungsansatz dafür, dass mehr Finanzfirmen mit neuen Ideen zuerst nach Luxemburg kamen. Ein Beispiel ist die belgische Banque Lambert, die einige der ersten modernen Investmentfonds ins Leben rief und diese nach Luxemburg verlagerte. Ein Grund dafür war die Tatsache, dass ausländische Investoren in Belgien im Gegensatz zu Luxemburg doppelt besteuert wurden – sowohl nach belgischem als auch nach dem Recht ihrer Wohnsitzländer.
In dieser Zeit schloss Luxemburg hingegen Doppelbesteuerungsabkommen mit den wichtigsten Handelspartnern. Die Zahl der Fonds wuchs in den 1960er Jahren und sie trieben konsequent ihre Internationalisierung voran – bald waren nicht nur Anleger aus der EU vertreten, sondern aus allen Teilen der Welt.
Zwei Finanzskandale
Zwei internationale Finanzskandale, in denen Luxemburg eine wichtige Rolle spielte, trugen dazu bei, dass sowohl national als auch auf EU-Ebene die Rufe nach einer stärkeren Regulierung der Fondsbranche stärker wurden. Im Mittelpunkt des ersten stand der Amerikaner Bernard Cornfeld, dessen Fonds sich als Schneeballsysteme herausstellten. Als der Schwindel aufflog, verloren Tausende Anleger ihr Erspartes.
Der größte Fonds Cornfelds, der IIT Mutual Fund, war im Großherzogtum niedergelassen und hatte 1970 ein Volumen 700 Millionen US-Dollar. Der Skandal erschütterte das Vertrauen in den Finanzplatz Luxemburg und in die Fondsindustrie insgesamt, das Anlagevermögen sank deutlich. Die Gesetzgeber sahen sich zum Handeln gezwungen und verabschiedeten im Dezember 1972 ein „Arrêté grand-ducal“, das
Die besten Finanzexperten des Landes waren involviert in die Gestaltung der Gesetze. Sie haben über Jahre zusammengearbeitet, um das Für und Wider aller Aspekte der Gesetzgebung abzuwägen. Matteo Calabrese, Historiker
erstmals umfassend die Aufsicht über die moderne Form von Fonds regelte.
Zehn Jahre später sorgte der Banco-Ambrosiano-Skandal dafür, dass Luxemburg international wieder auf der Anklagebank landete. Im Juni 1982 wurde Roberto Calvi erhängt unter der Black Friar Bridge in London aufgefunden. In der Folge wurde bekannt, dass er mit seinen Finanzgeschäften Geld aus kriminellen Aktivitäten gewaschen hatte.
Zu den wichtigeren Briefkastenfirmen der von ihm geleiteten Banco Ambrosiano gehörte auch eine in Luxemburg ansässige Holdinggesellschaft, die Banco Ambrosiano Holding. In Luxemburg war die Folge ein neues Gesetz zu Investmentfonds, das im Jahr 1983 von der damaligen CSV-DPRegierung beschlossen wurde.
Gesetz von 1983
Laut dem damaligen Finanzminister Jacques Santer, den Calabrese für seine Dissertation interviewte, war es das erklärte Ziel des Fondsgesetzes von 1983, in der Stahlkrise alternative Einnahmequellen für den Staat zu erschließen. Die zentrale Bedeutung der Fondsindustrie für die zukünftige Wirtschaft Luxemburgs war zu diesem Zeitpunkt längst erkannt worden. Mit einer auf den Sektor zugeschnittenen Gesetzgebung wollte man zum einen den durch Cornfeld-Skandal verursachten Reputationsschaden überwinden und zum anderen den Managern der Fonds mehr Rechtssicherheit bieten.
Die Diskussionen zu einem neuen rechtliche Rahmen für den Sektor hatten bereits im Verlauf des vorangegangenen Jahrzehnts stattgefunden. Calabrese beschreibt, wie in zahlreichen Rundtisch-Gesprächen Vertreter der Ministerien und der Regulierungsbehörden mit Finanzanwälten, Wirtschaftsprüfern, Banken oder Notaren zusammentrafen, um die Gesetzgebung für diesen Bereich zu diskutieren. Eine besonders wichtige Rolle spielte hier offenbar der Anwalt André Elvinger von der Kanzlei „Elvinger und Hoss“, den Calabrese als „eine Art Marktgenie“bezeichnet. Demnach war Elvinger bereits einer der zentralen Ratgeber für das „Arrêté grandducal“des Jahres 1972.
Interessenskonflikte und Fachkompetenz
Dass Branchenvertreter oder deren Verwandte, die einen offensichtlichen Interessenskonflikt haben, aktiv in die Gesetzgebung eingebunden werden, zieht sich dabei quer durch die Geschichte des Finanzplatzes. So sagt Calabrese, dass es Anzeichen gebe, das Leon Metzler, der Unternehmensanwalt der Arbed, 1929 an dem Holdinggesetz mitgeschrieben habe. Die Anwaltskanzlei der Söhne eines anderen Urhebers des Holding Acts und der Director-General für Finanzen zu der Zeit, Pierre Dupong, war später involviert in die Expansion des Fonds von Bernard Cornfeld in Luxemburg. Paul Elvinger, der Cousin André Elvingers und Gründer der Elvinger Anwaltskanzlei, war in den 1960er Jahren Justizminister. Diese personelle Nähe lässt sich in einem kleinen Land wie Luxemburg wohl nicht vermeiden; viele der Entscheidungsträger wechseln zwischen Wirtschaft und Politik und kennen sich fast zwangsläufig seit frühester Jugend. Calabrese zitiert in diesem Zusammenhang den ehemaligen Premierminister Gaston Thorn, der sagte, dass Luxemburg im Wesentlichen „von einer Fußballmannschaft regiert“werde.
Aber die Nähe der Beteiligten und die aktive Einbindung von Branchenvertretern in die Gesetzgebung birgt nicht nur potenzielle Interessenkonflikte, sie sorgt auch für die notwendige Fachkenntnis. „Die besten Finanzexperten des Landes waren involviert in die Gestaltung der Gesetze und sie brachten eine enorme Kompetenz mit. Sie haben über Jahre zusammengearbeitet, um das Für und Wider aller Aspekte der Gesetzgebung abzuwägen“, erklärt der Historiker. Letztlich sei daher auch die hohe Qualität des rechtlichen Rahmens für den Erfolg des Landes verantwortlich.
Der andere entscheidende Faktor war die Tatsache, dass das rechtliche Umfeld über viele Jahre stabil blieb. Abgesehen von anfänglicher Kritik sozialistischer Politiker an der Holding-Gesetzgebung stand die politische Unterstützung für den Finanzsektor nie ernsthaft infrage. Das galt umso deutlicher, je größer der Anteil der Staatseinnahmen war, die auf die Fondsbranche entfielen, die heute in Luxemburg alleine rund 15.000 Menschen beschäftigt.