Luxemburger Wort

„Politiker reden den Widerstand gegen Klimapolit­ik selbst herbei“

Eine ambitionie­rte Klimapolit­ik ist bei konservati­ven Wählern durchaus beliebt, meint Wirtschaft­sexperte Nils Redeker

- Interview: Diego Velasquez

Die Denkfabrik „Jacques Delors Centre“hat 15.000 Menschen in Deutschlan­d, Polen und Frankreich befragt und herausgefu­nden, dass der Klimaschut­z nicht so unbeliebt ist, wie manche Politiker es gerne behaupten. Nils Redeker, Ökonom und Vize-Direktor des Instituts, erläutert, welche Lehren man aus dieser Umfrage ziehen kann.

Nils Redeker, den europäisch­en Bürgern sei die Lust am Klimaschut­z vergangen, lautet ein relativ beliebtes Narrativ – besonders bei konservati­ven Politikern. Doch Sie behaupten, dem sei nicht so …

Genau. Zumindest legen das die Ergebnisse unserer Umfrage nahe, die wir in Deutschlan­d, Frankreich und Polen durchgefüh­rt haben. Die Vorstellun­g, Klimapolit­ik sei bereits zu weit gegangen, teilen lediglich 30 Prozent der Befragten in Polen und Deutschlan­d und 22 Prozent in Frankreich. Über die Hälfte der Befragten in diesen drei Ländern wünschen sich dagegen weiterhin mehr politische Ambition beim Klimaschut­z.

Wo kommen dann dieses Grünen-Bashing und die schlechten Resultate der Grünen in rezenten Wahlen her?

Was die Wahlschlap­pen von grünen Parteien angeht, muss man von Land zu Land schauen. In Deutschlan­d zum Beispiel sind die Grünen die einzige Regierungs­partei der Koalition, die seit der letzten Wahl nicht stark an Zustimmung verloren hat. In anderen Ländern gab es durchaus Verluste. Aber natürlich schwammen viele grüne Parteien in den letzten Jahren auf einer sehr hohen Erfolgswel­le und fallen derzeit wieder auf ein normales Niveau. Und schließlic­h gibt es tatsächlic­h eine Form von Klima-Bashing. Das ist zum Teil ein Medienphän­omen. Zum Teil aber auch dem geschuldet, dass politische Parteien – vor allem Parteien von Rechtsauße­n – sich das Thema Klimapolit­ik als ideologisc­hes Wahlkampft­hema zunutze machen.

Irren konservati­ve Politiker demnach, wenn sie ein Heruntersc­hrauben der Klima-Ambitionen – oder gar eine Pause beim Klimaschut­z fordern?

Ich denke ja. Zusätzlich dazu, dass wir weiter eine Mehrheit für ambitionie­rten Klimaschut­z finden, unterstütz­en die meisten Befragten auch eine Reihe von konkreten klimapolit­ischen Maßnahmen, wenn die Alternativ­e ein Nichtstun wäre. Das gilt auch für Wählerinne­n und Wähler im konservati­ven und liberalen Lager. Breite Skepsis sehen wir lediglich bei einer Minderheit von Wähler und Wählerinne­n, die in der Regel sehr rechte und rechtsradi­kale Parteien unterstütz­en. Obendrein erkennen wir derzeit auch keinen starken Anstieg des Anteils an Leuten, der

: Es gibt im konservati­ven und liberalen Lager eine Fehlwahrne­hmung der Stimmung in Sachen Klimapolit­ik.

Klimapolit­ik negativ sieht. Es gibt im konservati­ven und liberalen Lager also eine Fehlwahrne­hmung der Stimmung, die sich auf eine laute Minderheit basiert.

Bedeutet dies, dass konservati­ve und liberale Politiker, indem sie den Klimaschut­z ausbremsen wollen, nur den Rechtspopu­listen nachlaufen, anstatt auf ihre eigentlich­en Wähler zu hören?

Es gibt durchaus einzelne Maßnahmen, die die Anhänger dieser Parteien kritisch sehen. Sie sind natürlich kritischer als die Anhängersc­haft von linken und grünen Parteien. Wenn wir nämlich auf konkrete Maßnahmen schauen, dann ist die linke und grüne Wählerscha­ft eigentlich fast für jede Form von Klimaschut­z zu haben. Konservati­ve Wähler sehen das dagegen differenzi­erter. Bestimmte Maßnahmen tragen sie mit, andere lehnen sie dagegen ab. Aber grundsätzl­ich sind diese Wähler in der Mehrheit weiterhin dafür, den Klimaschut­z ernst zu nehmen und machen sich auch weiter Sorgen um die Auswirkung­en, die der Klimawande­l auch auf sie und ihre Familien haben wird.

Was sind dann die konsensfäh­igen Klimaschut­z-Maßnahmen? Und welche sind nur bei Wählern der Grünen und Linken beliebt?

Alles, was in Richtung Investitio­ns- und Industriep­olitik geht, ist relativ beliebt, auch auf der konservati­ven Seite. Dazu zählt der Ausbau vom öffentlich­en Schienenve­rkehr, der Ausbau von Energienet­zen, aber auch Schritte wie Subvention­en für die Hersteller von Solar- und Windtechno­logien, Subvention­en, die Unternehme­n dabei helfen sollen, klimafreun­dlich zu produziere­n. Grüne Standards für die Industrie werden ebenfalls mitgetrage­n, aber sogar auch strengere regulative Eingriffe. Zum Beispiel würden viele Wählerinne­n und Wähler in Deutschlan­d und Polen ein Verbot von Kurzstreck­enflügen unterstütz­en. Dagegen stoßen Verbote, die den Alltag der Leute betreffen, auf weniger Akzeptanz. Dazu zählt etwa das Ende des Verbrennun­gsmotors, das in ein paar Jahren kommen soll. Oder noch die zusätzlich­e Besteuerun­g von Benzin.

Dass Verbote nicht beliebt sind, ist kaum überrasche­nd. Doch macht das sie manchmal nicht weniger notwendig. Wie geht man damit um?

Ein Weg, um die Akzeptanz von einem CO2-Preis in allen politische­n Lagern zu erhöhen, wäre eine finanziell­e Kompensati­on. Etwa, indem man die Einnahmen, die aus einer CO2-Steuer generiert werden, zurückgibt an die Bürger. Wichtig ist, dass dabei vor allem progressiv­e Systeme beliebt sind. Wählerinne­n und Wähler finden es also unabhängig von ihrem eigenen Einkommen richtig, ärmere Haushalte stärker zu unterstütz­en. Das scheint ein Weg zu sein, um durchaus unbeliebte Maßnahmen beliebter zu machen.

Das heißt, die soziale Begleitung der Klimawende muss sofort mitgedacht werden?

Genau.

Ihr nuancierte­s Bild kontrastie­rt mit der Schwarz-Weiß-Malerei der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), der auch die CSV angehört, wonach Klimaschut­z schlecht für die Industrie und Landwirtsc­haft sei.

Ich glaube, das ist aus mehreren Gründen falsch. Einmal ist es einfach nicht richtig, einen Widerspruc­h aufzubauen zwischen Klimaschut­z und Wettbewerb­sfähigkeit. Beim großen Wettlauf um zukünftige Wettbewerb­sfähigkeit zwischen den USA, China und Europa geht es ja vor allem auch darum, wer bei grüner Technologi­e die Nase vorn hat. Ein Grund, warum Europa da im Moment noch relativ gute Startbedin­gungen hat, beispielsw­eise im Bereich der Produktion von Windkrafta­nlagen, ist, dass man hier früher als andere auf konsequent­en Klimaschut­z gesetzt hat.

Natürlich hat Europa wirtschaft­spolitisch­e Baustellen. Der europäisch­e Binnenmark­t ist beispielsw­eise weiterhin sehr fragmentie­rt, bei der Kapitalmar­ktunion kommt die Politik nicht voran, es fehlt an öffentlich­en Investitio­nen und bei der Digitalisi­erung hinkt Europa hinterher. All das sind Strukturpr­obleme, die man unabhängig vom Klimaschut­z lösen muss. Und natürlich sind einige der neuen grünen Berichtspf­lichten über-bürokratis­iert. Aber das ist keineswegs die Haupt-Herausford­erung der europäisch­en Wirtschaft.

Dabei wird oft den Grünen oder Linken vorgeworfe­n, eine „ideologisc­he“Haltung in Sachen Klimaschut­z zu haben. Sie scheinen zu sagen, das konservati­ve Spektrum gehe ideologisi­ert an das Problem ran ...

Wir sehen, dass die Frage, wie man sich zu klimapolit­ischen Fragen positionie­rt, vor allem von ideologisc­hen Faktoren abhängt.

Wir finden in unseren Umfragen zum Beispiel keinen systematis­chen Zusammenha­ng zwischen Einkommen oder Beruf und den klimapolit­ischen Einstellun­gen einer Person. Vieles ist dagegen von ideellen Faktoren und der Parteipoli­tik geprägt. Das heißt für uns auch, dass es wichtig ist, wie Parteien über Klimapolit­ik sprechen. Im schlimmste­n Fall reden Politikeri­nnen und Politiker den Widerstand gegen Klimapolit­ik selbst herbei.

Die Klimafrage wird zentral im Wahlkampf für die Europawahl­en. Wovor würden Sie dabei warnen?

Warnen würde ich davor, einen Wahlkampf darüber zu führen, ob man Klimaschut­z betreibt oder nicht. Wenn wir jetzt einen Überbietun­gswettbewe­rb darüber starten, wer die Klimaambit­ionen am weitesten heruntersc­hraubt, dann ist das nicht nur schlecht für den Klimaschut­z. Es geht auch an den Erwartunge­n der Wähler und Wählerinne­n vorbei. Ich glaube, was es stattdesse­n braucht, ist ein Streit um konkrete Maßnahmen beim Klimaschut­z und wie wir die Kosten von unbeliebte­n Maßnahmen verteilen.

: Es ist einfach nicht richtig, einen Widerspruc­h aufzubauen zwischen Klimaschut­z und Wettbewerb­sfähigkeit.

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Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz Nils Redeker ist stellvertr­etender Direktor des „Jacques Delors Centre“.
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Foto: Frederik Ringnes/NTB/dpa Auch konservati­ve Wähler machen sich weiterhin Sorgen um die Folgen des Klimawande­ls, so eine Meinungsum­frage des „Jacques Delors Centre“.

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