Zorn auf Papst überdeckt einen wunden Punkt
Mit seinen umstrittenen Äußerungen zum Ukrainekrieg hat Papst Franziskus zu Recht viel Kritik auf sich gezogen. „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln“, sagte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in einem Interview an die Adresse Kiews. Vor allem die Formulierung, das angegriffene Land solle den „Mut zur Weißen Fahne“haben, sorgte für Empörung. Postwendend echauffierte sich die ukrainische Regierung darüber, dass Franziskus Russland überhaupt nicht adressiert hatte; der päpstliche Appell solle „an den Angreifer und nicht an das Opfer gehen“, erklärte das ukrainische Außenministerium.
Freilich hat der Vatikan eine lange Tradition der Friedensdiplomatie. Sie darf, soll, ja sie muss mitunter unbequeme Punkte ansprechen. Die Kirche muss anecken, sie muss versuchen, jeden Pfad hin zu einer Friedensund weg von einer Kriegslogik zu bestreiten. Das ist die zentrale Aufgabe einer Institution, deren Kern die pazifistische christliche Botschaft ist – auch in Zeiten, in denen Pazifismus mitunter als naiv, weltfremd und als gestrig bespöttelt wird.
Doch die Art und Weise, wie der Papst hier agiert hat, war in keiner Weise förderlich für den Frieden. Wer Brücken zwischen den verfeindeten Parteien bauen will, dem müssen beide Seiten vertrauen. Zwar versuchten hochrangige Vatikanvertreter in den vergangenen Tagen die Papstäußerungen einzuordnen und dadurch zu entschärfen, doch die Glaubwürdigkeit Roms hat in Kiew beträchtlichen Schaden erlitten. Dass etwa Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin nun in Richtung Russlands betonte, die erste Bedingung für Frieden sei „die Beendigung der Aggression“, ist nicht mehr als hilflose Schadensbegrenzung.
Der päpstliche Appell zu Verhandlungen verkennt, dass das Vertrauen in jegliche Zusagen Moskaus erschüttert ist; auf schmerzhafte und verspätete Weise hat der Westen diese Lektion spätestens am 24. Februar 2022 lernen müssen. Was immer die Ukraine an Zugeständnissen gegenüber dem militärisch überlegenen Nachbarn machen würde – sie hätte keine Garantie für einen tragbaren Frieden.
Doch wenn Akteure wie der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nun in den Chor der Papstkritiker einstimmen, legen sie dabei die eigene Scheinheiligkeit offen. Denn die militärische Unterstützung des Westens für die Ukraine ist stark begrenzt; das angegriffene Land kann seit geraumer Zeit nur noch mit Müh’ und Not die russischen Angriffe abwehren.
Das Mantra westlicher Regierungschefs lautet aber, dass Verhandlungen mit Russland allenfalls dann Sinn ergeben, wenn die Ukraine die militärische Oberhand gewonnen und aus einer Position der Stärke heraus agieren kann. Um dies zu erreichen, müssen Europäer und Amerikaner ihre Hilfen deutlich ausweiten. Tun sie das nicht, führen sie wohl eine Niederlage der Ukrainer herbei. Damit würden sie indirekt dem Papst recht geben. Denn dann wären alle gebrachten Opfer vergebens gewesen, und man hätte besser sofort mit Verhandlungen begonnen.