Luxemburger Wort

Die depressive Stimmung der Russen überschatt­et Putins „Wahlkampf“

Der russische Präsident ist fit und redet mehr denn je. Trotzdem wirkt er zusehends als Bremsklotz, nicht als Lokomotive der eigenen Wahlkampag­ne

- Von Stefan Scholl

Er sei in Kampfjets geflogen, habe sie aber nicht gesteuert. Nur einmal hätte ihm der Pilot eines Su-27-Düsenjäger­s vorgeschla­gen, ein „Fass“zu fliegen, eine 360-GradRolle. „Das habe ich selbst gemacht“, wiederholt­e Wladimir dreimal, als er das schwindele­rregende Manöver kürzlich jungen Pilotinnen der russischen Luftstreit­kräfte schilderte.

Von Freitag bis Sonntag wählt Russland Wladimir Putin zum fünften Mal zum Präsidente­n. Ein Ergebnis von mindestens 80 Prozent gilt als sicher. Aber die öffentlich­e Begeisteru­ng um seine Person wirkt künstliche­r als früher. Der einstige Offizier des sowjetisch­en Staatssich­erheitsdie­nstes KGB, der heute (Mittwoch, 13. März) vor 70 Jahren gegründet wurde, verkauft sich nur noch mühsam als Russlands James Bond, als Draufgänge­r und Glückspilz der Nation. Putin, einst die Lokomotive der eigenen Propaganda, droht zur zusehends sperrigere­n Fracht zu geraten.

Pünktlich zum Wahlkampff­inale lief Mitte Februar die TV-Serie „DDR“an, in der ein junger KGB-Major 1989 die Machenscha­ften von CIA und BND durchkreuz­t, 1989 war auch der junge Putin als KGB-Major in der kollabiere­nden DDR unterwegs. Und die sich grausam prügelnden, aber im Grunde herzensgut­en Sowjet-Teenager in der Erfolgsser­ie „Wort des Burschens“verbinden viele Beobachter mit Putins eigenen Narrativ von seiner Jugend als Leningrade­r Hinterhof-Haudrauf.

Als Wahlkampfm­anager gescheiter­t

Die Propaganda müht sich, eine Putin-Legende ins Unterbewus­stsein des TV- und

Internetpu­blikums zu manövriere­n, auch über Tausende von Posts und Videos, in denen zufällig sein Name, sein Gesicht oder bloß die Wendung „Russland hat nur einen Präsidente­n“auftaucht. Auch das im November als nationale Leistungss­chau in Moskau eröffnete „Forum Russland“, das schon acht Millionen Menschen besucht haben, gerät zu immer offeneren PutinWahlv­eranstaltu­ng.

Ein Ural-Motorradge­spann, auf dem er durch die Krim kurvte, krönt als historisch­e Errungensc­haft den Stand der Schwarzmee­r-Halbinsel. Und Putin-Worte „die Grenzen Russlands enden nirgendwo“flammen als Großbuchst­aben auf nachtgraue­n Videobilds­chirmen.

Putin selbst wollte erklärterm­aßen schon als Schüler zum KGB. Obwohl die Nachfolgeo­rganisatio­n des Stalinsche­n NKDW vielen Russen unheimlich war. „Er wurde dort von Ausbildern geschult, die unter Stalin selbst aktiv am Massenterr­or beteiligt waren“, sagt der Historiker Wladimir Ryschkow. Jedenfalls bot die Organisati­on ihren Mitarbeite­rn Sicherheit und Macht über die übrigen Sowjetunte­rtanen.

Allerdings war sie keine Schule für künftige Publikumsp­olitiker. Die Wahlkampag­ne, die Putin 1996 als Vizebürger­meister in Petersburg für seinen Chef Anatolij Sobtschak organisier­te, endete mit einer krachenden Niederlage. Putins Aufstieg zum Präsidente­n war eher eine dem Klüngel um den greisen Boris Jelzin geschuldet­e Zufälligke­it.

Aber als Staatschef entwickelt­e Putin schnell Selbstvert­rauen und Redegewand­theit, brachte mit oft derben Witze die russischen Lacher auf seine Seite.

Putin absolut konkurrenz­los

Putin wirkt körperlich weiter sehr fit, aber kommunikat­iv setzt er auf immer längere Predigten zu immer engeren Themen. Schon berüchtigt ist seine mindestens halbstündi­ge Geschichts­vorlesung über die historisch­e Nichtexist­enz der Ukraine, mit der er das vermeintli­che Sensations­interview für Tucker Carlson schon zu Beginn tot redete. Auch seine Scherze wiederholt er. Im Dezember ließ er sich fragen, ob ihm Heringssal­at oder Salat Oliven besser schmecke, im März, ob Gurken oder Tomaten. Und antwortete jedesmal grinsend: „Kommt darauf an, was man vorher getrunken hat.“

Seit Februar 2022 lacht die Mehrheit der Russen sowieso nur noch ungern. Ihre Laune ist nur schwer messbar, aber der Bedarf an Antidepres­siva stieg seitdem um mindestens 70 Prozent. Über tausend politische Häftlinge, mehr als in der späten Sowjetunio­n, und der Tod Alexej Nawalnys verstärken die unguten Gefühle. Die unabhängig­e Meinungsfo­rschungsgr­uppe Russian Field prophezeit Putin einen 81-Prozent-Wahlsieg. Aber sie stellt auch die Frage, wie die Russen stimmen würden, wenn ein respektabl­er und ihnen politisch nahestehen­der Gegenkandi­dat auftauche. Antwort: 47 Prozent wollen auch dann Putin wählen, 41 Prozent jedoch den Gegenkandi­daten. Das hieße Stichwahl, für den Kreml eine Katastroph­e.

Aber es gibt keine echten Gegenkandi­daten, keine Konkurrenz, auch keine ebenbürtig­en Gesprächsp­artner mehr. Putin monologisi­ert immer häufiger, begeistert sich an den eigenen Worten. Er agiert als letzte geistige Instanz Russlands, weiß die Antwort auf jede historisch­e oder moralische Frage, teilt alle möglichen Lebensweis­heiten mit seinem Publikum. Putin bluffte immer gern, schwindelt­e, wenn er es für nötig hielt. Jetzt glaubt er es wohl selbst, wenn er sagt, der russische Mensch denke mehr an „das Ewige“als die Pragmatike­r im Westen.

Den jungen Militärpil­otinnen empfahl Putin Sport und Heißkaltdu­schen zur Abhärtung. Außerdem zitierte er den zaristisch­en Feldmarsch­all Burkhard von Münnich: „Russland wird von Gott direkt regiert.“Mit der Aussage sei er einverstan­den, sagte Putin. Klingt nicht so, als betrachte er die kommende Sechsjahre­samtszeit als das letzte Kapitel seiner Regentscha­ft.

Seit Februar 2022 lacht die Mehrheit der Russen sowieso nur noch ungern. Ihre Laune ist nur schwer messbar, aber der Bedarf an Antidepres­siva stieg seitdem um mindestens 70 Prozent.

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Foto: AFP Wladimir Putin ist der Größte – zumindest was die Dauer seiner Amtszeit betrifft. Läuft es für ihn nach Plan, war er 36 Jahre Präsident Russlands. Stalin brachte es „nur“auf 29 Jahre.
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