Die depressive Stimmung der Russen überschattet Putins „Wahlkampf“
Der russische Präsident ist fit und redet mehr denn je. Trotzdem wirkt er zusehends als Bremsklotz, nicht als Lokomotive der eigenen Wahlkampagne
Er sei in Kampfjets geflogen, habe sie aber nicht gesteuert. Nur einmal hätte ihm der Pilot eines Su-27-Düsenjägers vorgeschlagen, ein „Fass“zu fliegen, eine 360-GradRolle. „Das habe ich selbst gemacht“, wiederholte Wladimir dreimal, als er das schwindelerregende Manöver kürzlich jungen Pilotinnen der russischen Luftstreitkräfte schilderte.
Von Freitag bis Sonntag wählt Russland Wladimir Putin zum fünften Mal zum Präsidenten. Ein Ergebnis von mindestens 80 Prozent gilt als sicher. Aber die öffentliche Begeisterung um seine Person wirkt künstlicher als früher. Der einstige Offizier des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes KGB, der heute (Mittwoch, 13. März) vor 70 Jahren gegründet wurde, verkauft sich nur noch mühsam als Russlands James Bond, als Draufgänger und Glückspilz der Nation. Putin, einst die Lokomotive der eigenen Propaganda, droht zur zusehends sperrigeren Fracht zu geraten.
Pünktlich zum Wahlkampffinale lief Mitte Februar die TV-Serie „DDR“an, in der ein junger KGB-Major 1989 die Machenschaften von CIA und BND durchkreuzt, 1989 war auch der junge Putin als KGB-Major in der kollabierenden DDR unterwegs. Und die sich grausam prügelnden, aber im Grunde herzensguten Sowjet-Teenager in der Erfolgsserie „Wort des Burschens“verbinden viele Beobachter mit Putins eigenen Narrativ von seiner Jugend als Leningrader Hinterhof-Haudrauf.
Als Wahlkampfmanager gescheitert
Die Propaganda müht sich, eine Putin-Legende ins Unterbewusstsein des TV- und
Internetpublikums zu manövrieren, auch über Tausende von Posts und Videos, in denen zufällig sein Name, sein Gesicht oder bloß die Wendung „Russland hat nur einen Präsidenten“auftaucht. Auch das im November als nationale Leistungsschau in Moskau eröffnete „Forum Russland“, das schon acht Millionen Menschen besucht haben, gerät zu immer offeneren PutinWahlveranstaltung.
Ein Ural-Motorradgespann, auf dem er durch die Krim kurvte, krönt als historische Errungenschaft den Stand der Schwarzmeer-Halbinsel. Und Putin-Worte „die Grenzen Russlands enden nirgendwo“flammen als Großbuchstaben auf nachtgrauen Videobildschirmen.
Putin selbst wollte erklärtermaßen schon als Schüler zum KGB. Obwohl die Nachfolgeorganisation des Stalinschen NKDW vielen Russen unheimlich war. „Er wurde dort von Ausbildern geschult, die unter Stalin selbst aktiv am Massenterror beteiligt waren“, sagt der Historiker Wladimir Ryschkow. Jedenfalls bot die Organisation ihren Mitarbeitern Sicherheit und Macht über die übrigen Sowjetuntertanen.
Allerdings war sie keine Schule für künftige Publikumspolitiker. Die Wahlkampagne, die Putin 1996 als Vizebürgermeister in Petersburg für seinen Chef Anatolij Sobtschak organisierte, endete mit einer krachenden Niederlage. Putins Aufstieg zum Präsidenten war eher eine dem Klüngel um den greisen Boris Jelzin geschuldete Zufälligkeit.
Aber als Staatschef entwickelte Putin schnell Selbstvertrauen und Redegewandtheit, brachte mit oft derben Witze die russischen Lacher auf seine Seite.
Putin absolut konkurrenzlos
Putin wirkt körperlich weiter sehr fit, aber kommunikativ setzt er auf immer längere Predigten zu immer engeren Themen. Schon berüchtigt ist seine mindestens halbstündige Geschichtsvorlesung über die historische Nichtexistenz der Ukraine, mit der er das vermeintliche Sensationsinterview für Tucker Carlson schon zu Beginn tot redete. Auch seine Scherze wiederholt er. Im Dezember ließ er sich fragen, ob ihm Heringssalat oder Salat Oliven besser schmecke, im März, ob Gurken oder Tomaten. Und antwortete jedesmal grinsend: „Kommt darauf an, was man vorher getrunken hat.“
Seit Februar 2022 lacht die Mehrheit der Russen sowieso nur noch ungern. Ihre Laune ist nur schwer messbar, aber der Bedarf an Antidepressiva stieg seitdem um mindestens 70 Prozent. Über tausend politische Häftlinge, mehr als in der späten Sowjetunion, und der Tod Alexej Nawalnys verstärken die unguten Gefühle. Die unabhängige Meinungsforschungsgruppe Russian Field prophezeit Putin einen 81-Prozent-Wahlsieg. Aber sie stellt auch die Frage, wie die Russen stimmen würden, wenn ein respektabler und ihnen politisch nahestehender Gegenkandidat auftauche. Antwort: 47 Prozent wollen auch dann Putin wählen, 41 Prozent jedoch den Gegenkandidaten. Das hieße Stichwahl, für den Kreml eine Katastrophe.
Aber es gibt keine echten Gegenkandidaten, keine Konkurrenz, auch keine ebenbürtigen Gesprächspartner mehr. Putin monologisiert immer häufiger, begeistert sich an den eigenen Worten. Er agiert als letzte geistige Instanz Russlands, weiß die Antwort auf jede historische oder moralische Frage, teilt alle möglichen Lebensweisheiten mit seinem Publikum. Putin bluffte immer gern, schwindelte, wenn er es für nötig hielt. Jetzt glaubt er es wohl selbst, wenn er sagt, der russische Mensch denke mehr an „das Ewige“als die Pragmatiker im Westen.
Den jungen Militärpilotinnen empfahl Putin Sport und Heißkaltduschen zur Abhärtung. Außerdem zitierte er den zaristischen Feldmarschall Burkhard von Münnich: „Russland wird von Gott direkt regiert.“Mit der Aussage sei er einverstanden, sagte Putin. Klingt nicht so, als betrachte er die kommende Sechsjahresamtszeit als das letzte Kapitel seiner Regentschaft.
Seit Februar 2022 lacht die Mehrheit der Russen sowieso nur noch ungern. Ihre Laune ist nur schwer messbar, aber der Bedarf an Antidepressiva stieg seitdem um mindestens 70 Prozent.