Als das Leben Zwangspause machte
Vor vier Jahren erreichte das Coronavirus Luxemburg. Mitte März stand das Land still. Wie haben die Bürger diese Zeit erlebt?
„Erinnern Sie mich nicht daran“, sagt Monique, nachdem sie zu ihren Erfahrungen mit dem Lockdown gefragt wird. Zur Erinnerung: Am 12. März 2020 gab die Regierung eine Pressemitteilung heraus, die mit folgenden Worten begann „Angesichts der Entwicklung des Covid-19-Virus in Luxemburg, die zu einem deutlichen Anstieg der Fälle in den vergangenen 24 Stunden und zu den ersten Fällen einer lokalen Übertragung geführt hat, hat die Regierung eine Reihe neuer Maßnahmen und Empfehlungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ergriffen.“Vom 13. März an war dann auch nichts mehr wie zuvor.
Der damalige Premier Xavier Bettel (DP) rief am 18. März 2020 den Notstand aus. Fast alles wurde verboten. Es war nicht mehr erlaubt, sich in der Öffentlichkeit aufzuhalten, die Geschäfte mussten schließen, die Spielplätze auch. „Aktivitäten kultureller, sozialer, festlicher, sportlicher und erholsamer Art werden ausgesetzt“, lautete der Artikel 2 des Covidreglements.
Catherine (Name von der Redaktion geändert) kann sich noch gut an diese Zeit erinnern. „Ich bin Ärztin“, erklärt sie. Sie habe die Entwicklung aus direkter Nähe verfolgen können. Nachdem es im Norden Italiens schon zu Beginn des Jahres erste positive Fälle gegeben hatte, „wussten wir in Luxemburg nicht richtig, was auf uns zukommen werde“.
Der Lockdown sei keine einfache Entscheidung gewesen, jedoch die richtige. Als Ärztin wisse sie, was passieren kann, wenn sich ein neues Virus in der Bevölkerung ausbreitet. Damals habe es kein Wissen, keine Medikamente und keine Tests gegeben. „Wir waren gar nicht vorbereitet, auf das, was auf uns zukommen sollte.“
Nach dem 13. März 2020 war nichts mehr wie zuvor
Auch die Politikerin Colette Maart (DP) erinnert sich noch genau an jene Zeit. Als Schulschöffin der Stadt Luxemburg sei sie sehr beschäftigt gewesen. „Wir mussten sehr viel umorganisieren und wollten alles richtig machen“, erklärt sie. Was das Private betrifft, so sind ihre Erinnerungen ganz andere.
Der Beruf war mit viel Stress verbunden, während des restlichen Tages sei dies nicht der Fall gewesen. Kino- oder
Konzertbesuche waren ausgefallen, Treffen mit Freunden und Bekannten auch. „Ich war während der Zeit viel spazieren“, erinnert sie sich – oder sie las ein Buch im eigenen Garten. Während des Lockdowns habe sie wieder zu sich zurückgefunden, „so wie ich früher einmal war“.
Auch ihre Enkelkinder hätten während dieser Zeit viel erlebt. „Beide Eltern blieben zu Hause, sie konnten einiges unternehmen.“So hätten die Familie öfter im eigenen Garten gezeltet oder sei in den Wald zum Picknicken gegangen. „Meine Erinnerungen sind also nicht nur negativ“, sagt sie rückblickend. Den Lockdown wünsche sie sich jedoch nicht zurück.
„Ich habe bis heute offiziell nie Corona gehabt“, sagt Ben. Auch er kann sich an positive Momente aus jener Zeit erinnern. Die direkten Auswirkungen des Lockdowns bedeuteten für ihn hauptsächlich „weniger Stress auf der Arbeit“. Er habe die Massen gemieden – sich komplett zurückgezogen, habe er sich dennoch nicht.
Warum er bis heute vom Virus verschont blieb, kann er sich nicht erklären. Dennoch ist er vorsichtig geblieben. Das Desinfizieren der Hände sei etwas, das aus der Zeit übrig geblieben ist, genauso wie das Spazierengehen. „Manchmal denke ich an die Zeit zurück und sage mir, es hätte auch ganz anders ausgehen können.“
„An den ganzen Covid-Bimbam habe ich nie geglaubt“, sagt Raymond. Dennoch musste auch er sich an die neuen Covidregeln halten. „Ich habe mich viel in der Natur aufgehalten, im Wald bin ich nie einer Menschenseele begegnet.“
Trotzdem hatte das Virus Raymond erwischt. „Es war nicht schlimm“, sagt er und meint, dass ein Bekannter von ihm mit der Covid-Infektion deutlich schwerer zu kämpfen hatte. Während des Lockdowns hatte Raymond viel Zeit zum Arbeiten; er hatte Glück, dass sein Beruf ihm dies erlaubte. Wegen der Covidrestriktionen habe er sich schließlich doch impfen lassen. Dennoch meint er: „Heute bin ich der Meinung, dass der Lockdown übertrieben war.“
An den ganzen CovidBimbam habe ich nie geglaubt. Heute bin ich der Meinung, dass der Lockdown übertrieben war. Raymond
Als Ärztin in der Gesundheitsreserve
Die Ärztin Catherine sieht dies anders. „Ich wurde der Gesundheitsreserve zugeteilt und arbeitete in einem Impfzentrum“, sagt sie. Die Entscheidung für den Lockdown sei grundsätzlich die richtige gewesen. Dennoch habe es Entscheidungen gegeben, die man hätte anders machen sollen – hauptsächlich die Regeln in den Altersheimen. „Es darf nicht sein, dass Menschen alleine sterben gelassen werden“, betont sie.
In dem Punkt hätten die Behörden „über das Ziel hinausgeschossen“. Für Menschen mit Haus und Garten mag der Lockdown eine schöne Zeit gewesen sein, das gelte jedoch nicht „für Familien, die in einem kleinen Appartement leben“.
Julien Becker und Tommy Schlesser arbeiten in der Filmbranche. Der ganze
Kultursektor wurde nach dem Lockdown heruntergefahren, Arbeit gab es am Anfang keine. „Wenn niemand aus dem Freundeskreis oder der Familie schwer erkrankte, war der Lockdown eine schöne Zeit“, sagt Tommy vorsichtig. Er und seine Familie hätten jene Zeit genossen. Der Nachwuchs war damals erst zwei Jahre alt und brauchte nicht in die Kindertagesstätte. „Beide Eltern waren ohne Unterbrechung mit ihm beschäftigt“, sagt er.
Zu Kochen brauchten sie auch nicht. „Um die Restaurants zu unterstützen, haben wir uns oft Essen nach Hause liefern lassen.“Nur das Osterfest ist ihm in weniger guter Erinnerung geblieben. Normalerweise trifft sich an diesem Tag die ganze Familie, nicht so im Jahr 2020. „Wir konnten nur in kleinen Gruppen zur Oma.“
„Das war der schöne Teil. Weniger schön war, dass viele Projekte abgesagt wurden“, betont er. Julien hatte die Ehre, „den ersten Film nach dem Lockdown zu drehen“. Es war kompliziert. Jeder am Filmset musste geimpft sein, jeden Morgen wurde getestet und jeder trug Maske. Zusätzlich wurde ein Hygieneteam eingestellt, das nach dem Dreh alles desinfizierte. Sie glauben nicht, dass es in Zukunft zu einem weiteren Lockdown kommen wird. „Wir haben mittlerweile gelernt, wie man damit umgeht.“
Nathalies Erinnerungen unterscheiden sich ganz deutlich von allen anderen. „Ich lebte damals schon auf der Straße. Wir Obdachlosen wurden ganz einfach vergessen“. Vor allem die ersten Tage des Lockdowns seien eine „schwierige Zeit“gewesen. „Alle anderen durften nicht raus, wir durften nirgends rein“. Es gäbe keinen Zusammenhalt unter den Menschen, die auf der Straße leben. „Damals hat es Schlägereien um ein belegtes Brötchen gegeben.“
Erst allmählich hätten die Hilfsangebote wieder ihre Arbeit aufgenommen. „Nein, den Lockdown möchte ich nicht ein zweites Mal erleben, ganz sicher nicht“, sagt sie.
Es darf nicht sein, dass Menschen alleine sterben gelassen werden. Catherine