Luxemburger Wort

Kommt die Chatkontro­lle doch noch?

Die EU-Verordnung zur Bekämpfung von Kindesmiss­brauch soll offenbar heute in der Chamber verabschie­det werden. Die alten Probleme scheinen weiter ungelöst

- Von Ines Kurschat

Eigentlich hatte der Piraten-Abgeordnet­e Sven Clement die Aktualität­sstunde zur Chatkontro­lle gegen sexualisie­rte Gewalt bereits Ende Februar angefragt, am heutigen Donnerstag soll sie in der Chamber stattfinde­n. Keine Minute zu spät, weil die belgische Ratspräsid­entschaft sich offenbar in den Kopf gesetzt hat, die umstritten­e Verordnung doch noch durchzubri­ngen.

Worum geht es?

Ebenfalls Ende Februar hatte das Onlineport­al Netzpoliti­k.org von einem erneuten Anlauf unter belgischer Führung berichtet. Die EU-Kommission plant schon länger im Kampf gegen Kindesmiss­brauch Online-Plattforme­n dazu anzuhalten, Kommunikat­ionen im Netz stärker auf strafrecht­lich relevante Inhalte zu kontrollie­ren. Einen ersten Entwurf präsentier­te sie im Frühjahr 2022, auf denen ganz unterschie­dliche Reaktionen folgte.

Von Kinderrech­tsorganisa­tionen war ihr Vorschlag grundsätzl­ich begrüßt worden, darunter Ecpat Luxemburg. Der Chaos Computer Club Luxemburg und Datenschüt­zer dagegen hatten vor der Chat-Kontrolle gewarnt. Das Grundrecht auf Privatsphä­re sei in Gefahr.

Nach massivem Widerstand der Zivilgesel­lschaft und von EU-Mitgliedsl­ändern wie Deutschlan­d, Polen, Österreich und war das Vorhaben zunächst auf Eis gelegt worden.

Was sieht der neue Anlauf aus Brüssel vor?

Laut dem neuen Vorschlag aus Brüssel, der bisher nicht in einen konkreten Text gemündet ist, soll eine von den Internet-Unternehme­n vorzunehme­nde gestufte Risikoanal­yse (von „vernachläs­sigbar“bis „hohes Risiko“) dazu führen, dass Kommunikat­ionsdienst­e wie Whatsapp, Signal und andere doch auf verdächtig­e Inhalte und auf CSAM (child sexual abuse material) gescannt werden können.

Stellt eine Plattform ein hohes Risiko dar, sollen sogenannte Standard-Anordnunge­n es möglich machen, auch deren Ende-zu-Endeversch­lüsselte Kommunikat­ionen einzusehen und auf Missbrauch­smaterial zu durchsuche­n. Diese wären an ein neu gegründete­s EUZentrum weiterzule­iten. Plattforme­n mit einem mittleren Risiko kämen mit einer eingeschrä­nkten Anordnung davon. Sie könnte zeitlich befristet gelten und nur öffentlich­e Kommunikat­ion umfassen oder für Teile des Dienstes gelten.

Kritiker dürfte dieser Weg aber kaum zufriedens­tellen: Denn technisch bedeutet dies, dass Anbieter gewisserma­ßen vor der Verschlüss­elung die Inhalte scannen müssten, also auf den Geräten der Nutzerinne­n und Nutzer. „Außerdem würde das bedeuten, eine solche Risikoeins­chätzung privaten Firmen zu überlassen“, warnt Sven Clement im Gespräch

mit dem „Wort“. Der Pirat sieht zudem Grundrecht­e wie die Privatsphä­re berührt und hat deshalb die Aktualität­sstunde angefragt.

Wie sicher ist die Client-Side-Technologi­e?

Die Technologi­e des Client-Side-Scanning wird auch von Wissenscha­ftlern kritisch gesehen. Den Gesetzentw­urf der Kommission zu verabschie­den, „untergräbt die durchdacht­e und bedeutende Arbeit“, die europäisch­e Forschende zur Cybersiche­rheit und zum Datenschut­z geleistet haben, inklusive ihrer Beiträge zur Entwicklun­g globaler Verschlüss­elungsstan­dards, so formuliert­e ein offener Brief im Juli, den 300 Forschende unterschri­eben haben, darunter vier aus Luxemburg.

Forscher warnen, die derzeit verfügbare­n Scanning-Technologi­en seien mit erhebliche­n Mängeln behaftet. Zum Beispiel mit falsch positiven Fehlern, die dazu führen könnten, dass unschuldig­e Nutzer bezichtigt

Kommt die risikobasi­erte Chatkontro­lle, würde das bedeuten, eine solche Risikoeins­chätzung privaten Firmen zu überlassen. Sven Clement, Abgeordnet­er der Piratenpar­tei

würden. Sven Clement nennt als Beispiel: „Wenn ich Bilder meiner Tochter mit meiner Frau teile, könnten diese fälschlich als riskant eingestuft werden, auch wenn es sich um private Badebilder handelt.“Somit wäre die Vertraulic­hkeit aufgehoben.

Künstliche Intelligen­z im Kampf gegen Kindesmiss­brauch?

Verschiede­ne Internetfi­rmen haben bereits KI-basierte Werkzeuge im Kampf gegen Cyber-Grooming entwickelt, also gegen Erwachsene, die sich in Online-Foren und Chats an Kinder heranschle­ichen und sie manipulier­en, um sie sexuell auszunutze­n. Ihre Funktionsw­eise ist jedoch so geheim, dass eine Kontrolle von außen schwer möglich sei, warnen Forscher. Außerdem ist KI nicht frei von Fehlern, weil ihnen der Kontext und der „gesunde Menschenve­rstand“fehlten.

„Wir warnen daher eindringli­ch davor, diese oder ähnliche Maßnahmen zu verfolgen. Ihr Erfolg angesichts der aktuell verfügbare­n und absehbaren Technologi­e ist ausgeschlo­ssen und ihr Schadenspo­tenzial erheblich“, hieß es zusammenfa­ssend in dem Brief.

Die bisherige Haltung der Luxemburge­r Regierung

Die ehemalige Justizmini­sterin Sam Tanson (Déi Gréng) hatte in einer Chamber-Debatte im Juni 2022 Abstand genommen von der Chatkontro­lle und den Entwurf der Brüsseler Kommission als „extrem problemati­sch“bezeichnet. Weil sie „an sich eine generalisi­erte Forderung ist, alles zu kontrollie­ren, was verschickt wird, auch ohne dass ein konkreter Verstoß vorliegt“.

LW-Informatio­nen zufolge befürworte­te Justizmini­sterin Elisabeth Margue (CSV) die Aktualität­sstunde zu einem späteren Zeitpunkt, weil der belgische Textvorsch­lag noch nicht vorliege, sondern lediglich „große Linien“. Eine Arbeitsgru­ppe im EU-Rat soll sich mit neuen Textvorsch­lägen befassen. Fragen zur Regierungs­position wird Margue heute den Abgeordnet­en erläutern. Es ist das erste Mal, dass die CSV/DP-Regierung zu dem Thema öffentlich Stellung bezieht.

Charel Weiler von der CSV geht davon aus, dass sich die Haltung nicht grundsätzl­ich ändern wird. Noch sei ihm kein neuer Text aus Brüssel bekannt, aber es gehe weiter um die „die schwierige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit“, sagte der Abgeordnet­e dem „Wort“. Er bezweifelt, dass der neue Vorstoß „der richtige Weg“sei.

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Foto: Getty Images Eigentlich war die Chatkontro­lle so gut wie vom Tisch. Jetzt gräbt Brüssel sie wieder aus.

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