ONA muss Dublin-Flüchtling aufnehmen
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts könnte die Aufnahme für Geflüchtete vor große Herausforderungen stellen. Accueil-Minister Hahn ist jedoch anderer Meinung
Für neu angekommene Geflüchtete gibt es in Luxemburg aktuell so gut wie keine Plätze in Aufnahmestrukturen. Die Lage wurde im Oktober 2023 so ernst, dass der damalige Minister Jean Asselborn (LSAP) einen Aufnahmestopp für männliche Dublin-Flüchtlinge bekanntgab: Wer als Mann in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt hatte, bevor er nach Luxemburg kam, musste auf eine Warteliste bis ein Platz in einer Unterkunft frei wurde.
So kam es dazu, dass zwischen dem Beginn des Aufnahmestopps und dem 18. Januar 2024 insgesamt 280 Männer auf der Warteliste landeten. Im Januar waren es 80, heute 40. Als im November die Wanteraktioun ihre Türen öffnete, sollte diese Entlastung bringen. Diverse Hilfs- und Flüchtlingswerke kritisierten jedoch die Unterbringung von Geflüchteten in der Wanteraktioun. Diese sei keine Flüchtlingsunterkunft, so das Argument.
Luxemburg breche hier zudem geltendes EU-Recht: Die EU-Aufnahmerichtlinie von 2013 lässt nicht zu, dass Dublin-Flüchtlinge anders behandelt werden als andere Geflüchtete. Ihnen steht zu, in einer designierten staatlichen Unterkunft beherbergt zu werden. Das ist die Winteraktioun nicht. Auf eine Nachfrage des „Luxemburger Wort“, ob sich der damalige Immigrationsminister dessen bewusst sei, EU-Recht zu brechen, antwortete Jean Asselborn (LSAP): „Nur die Europäische Union bricht das Recht, indem sie nicht reagiert und zuschaut, wie das Dublin-System zerfällt.“
Ein Urteil, das die Aufnahmestruktur unter Druck setzen könnte
Zwar existiert noch kein Urteil, dass Luxemburg geltendes EU-Recht bricht, doch eine rezente Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2024 könnte die Aufnahmestrukturen weiter unter Druck setzen. Das Gericht hat geurteilt, dass das Nationale Aufnahmeamt (ONA) einem Asylbewerber sofort einen Platz in einer staatlichen Unterkunft anbieten müsste. Dem ist das ONA laut Angaben der Flüchtlingsberatungsstelle Passerell nachgekommen. Einige Tage nach der Entscheidung wurde ein Platz für ihn in einer Aufnahmestruktur frei – und das, nachdem der Mann einen Monat darauf gewartet hatte.
Grund für die Entscheidung ist laut der behördlichen Anordnung die Sorge darum, dass der Mann ohne fixe Unterkunft psychische und mentale Folgeschäden erleiden könnte. Etwas, was auch andere Flüchtlinge betrifft, wie Anke Vandereet, Verantwortliche für „missions droits humains“bei der Flüchtlingsberatungsstelle Passerell, auf Nachfrage vom „Luxemburger Wort“erklärt: „Es gibt eine generelle Vulnerabilität bei Asylbewerbern, die einen schwierigen Weg bis nach Europa auf sich genommen haben. Wenn sie hier ankommen, fehlt das Sicherheitsgefühl, weil sie auf der Straße schlafen müssen.“Die Wanteraktioun sei hierbei nicht die Lösung, weil dort die Vulnerabilität der Asylbewerber nicht in Betracht gezogen werde. Die Struktur sei für Obdachlose konzipiert.
Mit dem Urteil könnte nun eine Welle losgetreten werden, denkt Vandereet. „Mehrere Prozeduren wurden im Oktober eingeleitet, weil junge Männer nicht in den Strukturen untergekommen sind.“Allerdings sei bisher unklar gewesen, welches Gericht sich für einen solchen Fall zuständig erklären würde. Mit der Entscheidung vom 8. März steht nun fest, dass Dublin-Asylbewerber vor das Verwaltungsgericht ziehen können, wenn sie keinen Platz in einer Unterkunft erhalten haben. „Die Anwälte wissen jetzt, an welches Gericht sie sich wenden können. Es werden also noch mehr Prozeduren folgen, das ist sicher“, so Vandereet.
Würde also heißen, dass Asylbewerber durch eine Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof das ONA unter Druck setzen könnten, ihnen schnellstens einen Platz in einer Unterkunft zu sichern.
Vor allem habe die Entscheidung vom Gericht gezeigt, dass „tatsächlich noch Plätze in den Aufnahmestrukturen frei sind“, auch wenn die Regierung etwas anderes behaupte, schreibt Passerell in einer Pressemitteilung. Wie so schnell ein Platz für den Asylbewerber gefunden werden konnte, der seit einem Monat auf ein Bett in den Strukturen gewartet habe, wüsste Passerell nicht. „Wir stellen nur fest, wissen aber nicht, wie das der Staat regelt“, ergänzt Vandereet.
Max Hahn: „Nicht auf Urteil gewartet, um mehr Plätze zu schaffen“
Einer, der die Antwort darauf weiß, ist kein anderer als der Accueil-Minister selbst. Im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“reagierte Max Hahn auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. „Wir haben nicht erst auf eine Entscheidung gewartet, um mehr Plätze für Asylbewerber zu schaffen. Seitdem ich Minister geworden bin, arbeiten wir permanent daran“, so Max Hahn. Die Warteliste sei als Reaktion auf eine Notlage in der Flüchtlingsauf
nahme entstanden. Eine Entscheidung seines Vorgängers, die auch er und die neue Regierung mittragen, sagt Max Hahn.
Der betont zudem, „dass niemand auf der Straße schlafen muss“. Ob Winteraktioun, Caritas, Rotes Kreuz – Luxemburg würde sich solidarisch mit Geflüchteten zeigen und es gebe mehrere Möglichkeiten für Geflüchtete, provisorisch unterzukommen. Auf die Kritik, die Wanteraktioun sei keine Flüchtlingsunterkunft, meint Hahn, „Luxemburg kann nicht die Probleme auffangen von anderen EU-Ländern, die sich nicht solidarisch zeigen“. Denn schlussendlich handle es sich bei Dublinern um Geflüchtete, denen bereits ein Bett in einem anderen EU-Land versprochen wurde. Luxemburg habe hingegen rund 8.000 Betten und habe seine Aufnahmekapazitäten über die letzten Jahre immer weiter erhöht – das hätten andere EU-Länder wie Belgien nicht gemacht, kritisiert Hahn.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ändere also nichts an der Vorgehensweise seines Ministeriums. Dass der Geflüchtete, zu dessen Gunsten die Entscheidung des Gerichts gefallen ist, einen Platz in einer Unterkunft gefunden habe, überrasche Hahn nicht. „Weil wir ständig versuchen, Betten aufzustocken und immer mehr Plätze in den Gemeinden zu schaffen.“Dass der Mann nun in einer Unterkunft lebe, sei keine Folge der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, merkt Hahn an. Jeden Tag werden Plätze geschaffen und die Warteliste chronologisch und nach Vulnerabilitätsstatus abgearbeitet. Dass ein Platz frei wurde, sei die logische Konsequent daraus.
Auf die Frage, wie es nun mit der Warteliste weitergehe, sagt Hahn, dass er nicht vorhat, diese abzuschaffen. Die Befürchtungen seien jedoch groß, dass die Liste über die nächsten Monate wachsen könnte. Im Normalfall sei die Anzahl der Menschen, die in Luxemburg ankommen, im Winter niedriger und im Sommer höher.