Luxemburger Wort

„Den Stier bei den Hörnern packen“

Deutschlan­ds Kanzler zeigt sich im Taurus-Streit zugleich angriffslu­stig und genervt. Aber selbst ein Teil seiner Koalition hält sein Nein für falsch

- Von Cornelie Barthelme

Man kann die Sache mit dem Stier so sehen wie Alexander Dobrindt. Dass nämlich Bundeskanz­ler Olaf Scholz in der Frage, ob Deutschlan­d das Flugabwehr­system Taurus —lateinisch für Stier — der von Russland überfallen­en Ukraine liefern soll, nicht bloß irre, sondern zusätzlich auch noch den Bundestag brüskiere. „Bisher“, zürnt der Chef der CSU-Landesgrup­pe am Dienstag, „äußert er sich nicht gegenüber dem Parlament, sondern gegenüber Schülern und DPA.“

Das Wahre an Dobrindts Vorwurf: Nach monatelang­em Schweigen hat Scholz zuerst den bei der Deutschen Presse-Agentur versammelt­en Chefredakt­eurinnen und -redakteure­n deutscher Tageszeitu­ngen erklärt, dass es mit einer Lieferung „gewisserma­ßen zu einer Kriegsbete­iligung kommen kann“. Und ein paar Tage später, bei einem Schulbesuc­h in BadenWürtt­emberg, so etwas wie ein Basta obenauf gesetzt — weil ihn ein Schüler fragte, warum er kein Machtwort spreche.

„Es kann nicht sein“, hat Scholz geantworte­t, „dass man ein Waffensyst­em liefert, das sehr weit reicht, und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensyst­em stattfinde­n kann.“Und weiter: „Wenn man die Kontrolle haben will und das nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das für mich ausgeschlo­ssen.“Und schließlic­h: „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“

Für die Union mindestens ein Schwindler

Bis dahin war die Taurus-Frage umstritten; seitdem ist sie umstritten und dazu steht die Frage, ob Scholz’ Begründung durch Fakten gedeckt ist. Seit der russische Staatssend­er RT eine abgehörte Video-Konferenz des Luftwaffen-Generalins­pekteurs Ingo Gerhartz mit drei weiteren Offizieren veröffentl­icht hat: Seitdem stellt die Union den Kanzler als Schwindler hin, mindestens. Dobrindt: „Seine Motivation­slage scheint erkennbar eine andere zu sein als die, die er vorgibt.“Und dann fügt der oberste Christsozi­ale in Berlin hinzu, ihn erinnere das „stark“an den Wahlkampf von Scholz’ SPD-Vorgänger im Jahr 2002: „Lieber arbeitslos mit Gerhard Schröder als im Krieg mit Edmund Stoiber.“

So geht Opposition. Und wenn es nur das wäre, bliebe die ganze Taurus-Affäre eher klein — jenseits des belauschte­n Gesprächs. Aber da ist auch noch der von Scholz selbst entzündete Verdacht, er traue der Ukraine nicht. Und die — dezent formuliert — Uneinigkei­t in der Koalition. Die SPD steht fest zu Scholz’ Nein. Bei der FDP aber würden etliche den Taurus lieber heute als morgen liefern, zuallerers­t die Chefin des Verteidigu­ngsausschu­sses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Grünen gar würden gern als komplette Fraktion Ja sagen.

Das ist die Lage, als sich Scholz am Mittwochmi­ttag dem Parlament zur Befragung stellt. Die Union hätte gar nicht ankündigen müssen, dass sie den Kanzler grillen wird. Und der Kanzler wehrt sich nach Kräften. Zunächst noch fast heiter: „Ich will gerne den Stier bei den Hörnern packen“, sagt Scholz, eher er seine Argumentat­ion wiederholt — und betont: „Besonnenhe­it ist nichts, was man als Schwäche qualifizie­ren kann — sondern das, worauf die Bürgerinne­n und Bürger einen Anspruch haben.“

Für den Kanzler lauter Halbwahrhe­iten

Danach geht es ein bisschen hin und her, die Unionisten bohren „Was ist jetzt Ihre wirkliche Erklärung?“und „Warum misstrauen Sie den Soldaten der ukrainisch­en Armee?“— und Scholz bezichtigt die Frager, mit beginnende­r Gereizthei­t, „einer Ansammlung von Halbwahrhe­iten“und pocht auf seinen Amtseid. Koalitions­ap

plaus erntet er dafür allein bei der SPD und einigen FDP-Abgeordnet­en; die meisten Liberalen und die Grünen rühren keine Hand. Den dritten Lieferantr­ag der Union am heutigen Donnerstag will die Ampel dennoch geschlosse­n ablehnen.

Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.

Als schließlic­h CDU-Außenexper­te Norbert Röttgen dem Kanzler mit einem Zitat kommt — zusammenge­fasst: In Sachen Marschflug­körper könnten Frankreich und Großbritan­nien mit Soldaten in der Ukraine agieren, Deutschlan­d aber nicht — und wissen will, ob der Kanzler also die beiden Staaten für „Kriegsbete­iligte“halte; und falls nicht, weshalb er dann diese Sorge hege für Deutschlan­d: Da platzt Scholz der Kragen.

Ihn ärgere, „sehr geehrter Herr Abgeordnet­er, lieber Norbert, dass du alles weißt“– und seine Kommunikat­ion darauf baue, dass das für die Öffentlich­keit anders sei. Da darf, ausnahmswe­ise, weil gegen die Parlaments­regeln, Röttgen zurückgebe­n: Für sich weise er das zurück – aber exakt diesen Vorwurf mache er Scholz.

Am Ende der 75 Minuten ist nichts geklärt. Und nur eines anders als zuvor: Scholz hat ein neues, drittes Ausschluss­argument geliefert. Es gehe darum, „wohin gezielt, geschossen und getroffen“werde, sagt er. „Und das sollte nicht mit deutschen Soldaten passieren.“Auch nicht von Deutschlan­d aus.

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Foto: dpa Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hat zusehends Schwierigk­eiten mit der Begründung seiner Entscheidu­ng zur Taurus-Lieferung.

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