Der „Banditengruß Putins“trifft die russische Opposition
Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow wurde in Vilnius brutal attackiert. Jetzt fürchten Kreml-Gegner systematischen Terror der Geheimdienste
Auch mit verschwollenem Gesicht und zerschrammter Stirn bemühte sich Leonid Wolkow um ein grimmiges Lächeln. „Man hat versucht, aus mir ein Steak zu machen. Ein Mann ist buchstäblich mit einem Klopfhammer für Steaks über mich hergefallen“, erklärte er gestern Nacht auf seinem Telegramkanal. Am Vorabend überlebte Leonid Wolkow, früher Stabschefs Alexej Nawalnys, vor seinem Haus in einem Vorort der litauischen Vorstadt Vilnius eine brutale Prügelattacke.
Der unbekannte Angreifer zertrümmerte die Fensterscheibe des PKW, in dem Wolkow saß, spritzte ihm Pfefferspray ins Gesicht und schlug mit dem Hammer auf ihn ein. Wolkow, 43, zog sich bei dem Kampf zahlreiche Blutergüsse und Fleischwunden zu und brach sich den rechten Arm. „Das war ein typischer Banditengruß von Putin“, kommentierte er. „Wladimir, dir auch schöne Grüße!“
Noch ist unklar, ob tatsächlich der Kreml hinter dem Überfall steht. Die litauische Polizei ermittelt. Der russische Z-Blogger Wladislaw Posdnjakow behauptete auf Telegram, die Abonnenten seines antiliberalen Kanals hätten Wolkow ausgespäht und dann angegriffen. Jedenfalls besaßen der oder die Täter viel kriminelle Energie, außerdem das nötige Know-how, das Geld und die Zeit, um Wolkow Wohnort ausfindig zu machen und ihm dort aufzulauern.
Viele Exilaktivisten beschuldigen jetzt die russischen Geheimdienste. „Wir haben es mit einem Krieg Putins gegen das gesamte politische System des Westens zu tun“, sagt der oppositionelle Historiker Andrej Subow, der seit 2022 an der Masaryk-Universität im tschetschenischen Brünn lehrt. „Ein Aspekt dieses Krieges ist das Bemühen, die russische Emigration zum Schweigen zu bringen.“
Bis zu einer Million Russen sollen nach dem 24. Februar 2022 ausgereist sein, darunter Tausende oppositionelle Aktivisten, Geisteswissenschaftler und Journalisten. Expräsident Dmitrij Medwedew forderte schon im Januar 2023 auf Telegram, gegen „die Verräter, die zum Feind übergelaufen sind“, außer dem Gesetz auch die „besonderen Regeln der Kriegszeit“anzuwenden. Die Menschenrechtlerin Natalja Arno bemerkte bei einem Pragaufenthalt im Mai 2023 in ihrem Hotelzimmer einen sonderbaren Geruch, danach Vergiftungssymptome, später attestierten ihr amerikanische Ärzte, sie sei mit neurotoxischen Mittel vergiftet worden.
Schon im Vorjahr hatten die Exiljournalistinnen Irina Bablojan in Tiflis und Jelena Kost
Das zentrale Risiko ist, dass sie uns alle umbringen. Leonid Wolkow, russischer Oppositioneller im lettischen Exil
jutschenko in München über Vergiftungserscheinungen geklagt, ohne dass hinterher etwas nachgewiesen werden konnte. Der in Georgien lebende Aktivist Rafael Schepelew wurde im Oktober 2023 entführt und tauchte als mutmaßlicher Terrorist in russischer Untersuchungshaft wieder auf.
Tödliche Attentate
Noch sind das Einzelfälle. Aber sie haben durchaus Tradition. Die sowjetischen Geheimdienste machten schon in den Zwanzigerjahre Jagd auf zarentreue Emigranten. „Verräter“und „Volksfeinde“wurden auch später verschleppt oder ermordet. Von dem 1940 in Mexiko erschlagenen Lew Trotzki, über den 2006 in London vergifteten FSB-Überläufer Alexander Litwinenko bis zum 2019 in Berlin erschossenen tschetschenischen Exguerillero Selimchan Changoschwili.
Prügelattacken aber veranstaltete man fast immer nur im Inland, als Alternative zu Strafverfahren oder psychiatrischen Zwangsbehandlungen. 1980 wurde der sibirische ÖkoSchriftsteller Valentin Rasputin ebenso vor seiner Haustür mit einer Eisenstange zusammengeschlagen wie 2018 der kritische Jekaterinburger Journalist Dmitrij Poljanin.
„In Russland können sie sich wie zu Sowjetzeiten alles erlauben“, sagt Subow über die Staatsicherheitler. „Im Westen aber droht ihnen, selbst verhaftet zu werden.“Deshalb hätte man dort immer „todsichere“Mittel angewandt, um kein Risiko umsonst einzugehen. „Jetzt aber hat die Methode der brutalen Einschüchterung zumindest Litauen erreicht.“
Wolkow befürchtet, es könne noch schlimmer kommen. Laut dem Exilportal meduza.io sprach er nur wenige Stunden vor dem Überfall in einem Interview über mögliche Attentate gegen die geflohenen Mitstreiter des Ende Februar in einem nordsibirischen Straflager umgekommenen Nawalny. „Das zentrale Risiko ist, dass sie uns alle umbringen.“LW