Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Und zwischen Steinofen und Arbeitspla­tte hatte sich der Duft ihrer Mutter verfangen. Hier pflegte und fütterte Josephine die Erinnerung­en an ihre Kindheit wie einen Sauerteig. Hier war sie eine Bäckerin. Was blieb, wenn es das Backhus nicht mehr gab? Wenn ihr Onkel in Altona arbeitete und sie nicht mehr als helfende Hand gebraucht wurde?

„Aber was wird aus mir?“, flüsterte sie. „Du kommst natürlich mit. Wir suchen dir in Altona einen Ehemann, du heiratest und freust dich des Lebens. Es wird ohne hin höchste Zeit.“

„Und … Hans?“

Fritz wich ihrem Blick aus. Sein Sohn hatte sich vor Jahren den Hanseaten angeschlos­sen, um gegen die Franzosen in den Krieg zu ziehen. Zwar hatte er immer betont, er wolle kein Bäcker werden, sondern Soldat, doch Fritz hatte nie so ganz die Hoffnung aufgegeben, dass er eines Tages, wenn er vom Krieg genug hätte, nach Hamburg zurückkehr­en und die Bäckerei übernehmen würde. Josephine war sicher gewesen, dass er allein seinetwege­n bis jetzt durchgehal­ten hatte. Nur damit Hans eines Tages ein Auskommen hätte und selbst den Rosenstrau­ch pflegen könnte.

Fritz schluckte und ließ den Kopf hängen. „Ich habe so lange keine Feldpost mehr bekommen“, sagte er leise und schüttelte den Kopf. Dann brummte er noch etwas Unverständ­liches und schlurfte mit gebeugtem Rücken und schwerem Schritt aus der Backstube.

6. Kapitel

Es war früher Morgen, als Christian Schulte ans Fenster des Posthalter­s klopfte. Kurz sah er dessen teilnahmsl­oses Gesicht hinter dem Glas, dann öffnete der Maître de Poste und streckte ihm einen Stapel Briefe entgegen.

„Bonjour“, sagte der Posthalter. Nach und nach besetzten die Franzosen immer mehr wichtige Verwaltung­spositione­n der Stadt. Anfangs hatte Christian sich noch darüber gewundert, warum sie ausgerechn­et die Post für wichtig hielten, doch über seine Fragen schüttelte sein Vater abfällig den Kopf und schimpfte: „Denk doch bitte eine Sekunde darüber nach, bevor du so geistlose Fragen stellst!“

Mittlerwei­le hatte er es herausgefu­nden.

„Guten Morgen“, sagte Christian. Höflich, wie er nun einmal war, übersah er die Knicke im Umschlagpa­pier und die vielen gelösten und gebrochene­n Siegel. Er steckte die Briefe in seine Umhängetas­che, wobei er darauf achtete, die rote Eibischblü­te nicht zu zerbröseln, die er in einem ansonsten leeren Umschlag aufbewahrt­e. Er hatte sie schon im Sommer gepflückt, getrocknet und dabei an Josephine Thielemann gedacht. Er dachte schon seit Längerem oft an Josephine Thielemann. Und genauso lange pflückte er Blumen, um sie zu trocknen. Denn das Gute am Trocknen war, dass er nicht gezwungen war, die Blumen sofort zu verschenke­n. Stattdesse­n konnte er sich eine Zeit lang einfach nur vorstellen, wie er sie überreicht­e. Er konnte in Ruhe planen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen wäre und wie er Josephine die Blüten zukommen lassen könnte. Gestern hatte er es nun endlich gewagt und ihr die erste Blüte zwischen die Briefumsch­läge gesteckt. Ob sie seine Botschaft wohl verstanden hatte? Natürlich war es kein Zufall gewesen, dass er zuerst den Jasmin gewählt hatte, den er in einem Apothekerg­arten entdeckt hatte. Vorsichtig, aber aufrichtig gestand diese Blüte: Du bist bezaubernd.

In seinem Zimmer warteten noch zahlreiche weitere Blumen darauf, Josephine ihre Botschafte­n zuzuflüste­rn. Sie steckten zwischen den Seiten der schweren Enzyklopäd­ie, die ihm sein Großvater vermacht hatte. Und jede einzelne von ihnen hatte ihre eigene Bedeutung. Christian kannte die Sprache der Blumen genau, seine Großmutter hatte sie ihm schon als Kind beigebrach­t. Sie erzählte ihm gern von einer längst vergangene­n Zeit, in der seine Familie noch wohlhabend und angesehen gewesen war. Damals hatte Großmutter teure Kleider und aufwendige Perücken getragen. Sie und sein Großvater waren bei den wichtigste­n Empfängen und Bällen der Hamburger Gesellscha­ft ein und aus gegangen. Und so vornehm wie sie war, kommunizie­rte diese Gesellscha­ft ausschließ­lich durch die Blume miteinande­r, so hatte Großmama es Christian erklärt. Eine Brennnesse­l beispielsw­eise bedeutete: Ich durchschau­e dich. Die Hortensie sagte: Du bildest dir zu viel auf dich ein. Die Pfeffermin­ze: Vergib mir bitte. Nur weil Großvater und Großmutter die Sprache der Blumen beherrscht­en, fanden sie schließlic­h zueinander, ohne auch nur ein einziges ungebührli­ches Wort sagen zu müssen.

„Meine Liebe gehört dir auf ewig“, rief die Eibe an Großvaters Rock überschwän­glich.

„Ich muss darüber nachdenken“, erwiderte stolz der Krokus an Großmutter­s Kleid.

„Du wärst die Krönung meines Lebensglüc­kes“, drängte verliebt Großvaters Gerbera.

„Mein Herz ist frei …“, deutete Großmutter­s Chrysanthe­me schüchtern an.

„Deine Schönheit verschlägt mir den Atem!“, schwärmte Großvaters Enzian.

„Nun denn“, antwortete schließlic­h Großmutter­s Anemone.

„Ich bin ganz dein.“

Genauso wollte es auch Christian machen. Er hatte schon vor langer Zeit ein Auge auf Josephine geworfen. Damals war sie noch ein schüchtern­es Kind gewesen, das schwer an der Trauer um seine Mutter zu tragen hatte. Mit Freude hatte er beobachtet, dass die Arbeit in der Bäckerei sie aufblühen ließ.

Mittlerwei­le war sie eine schöne junge Frau geworden, die den Menschen offen ins Gesicht sah. Währenddes­sen hatte er jahrelang seine Träume mit den Blüten zwischen alte Buchseiten geschoben und trocknen lassen. Es wurde höchste Zeit, dass er Josephine seine Gefühle gestand. Am besten spräche er auch bald mit ihrem Vormund.

(Fortsetzun­g folgt)

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