Luxemburger Wort

Von steifen Ohren und Hundenächt­en

Gleich zwei Ausstellun­gen in Berlin widmen sich dem Werk der Fotografin Gundula Schulze Eldowy von ihren Anfängen bis hin zur gemeinsame­n Arbeit mit Robert Frank

- Von Cornelia Ganitta

Mit seinen stilbilden­den Aufnahmen über die amerikanis­che Gesellscha­ft wurde Robert Frank weltberühm­t. Sein legendärer Bildband „The Americans“von 1958 machte den 2019 verstorben­en Schweiz-Amerikaner, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, zum Street Photograph­er der ersten Stunde. Jahre später sollte eine junge Ostdeutsch­e seinen Spuren folgen. Gundula Schulze – den Namen

Eldowy (Arabisch für Licht) nimmt sie später in Ägypten an – wird im Februar 1954 in Erfurt geboren. Während einer ersten Ausbildung an der Fachschule für Werbung und Gestaltung, streift sie mit Anfang 20 durch die Straßen Berlins, wo sie bis 1990 an mehreren Zyklen arbeitet, darunter Berlin in einer Hundenacht, Tamerlan, Arbeit und Aktportrai­ts. Ihre so entstanden­en Fotografie­n von gescheiter­ten Existenzen, Armut und ruinösen Stadtlands­chaften vermitteln ein Bild der DDR jenseits der offizielle­n Propaganda.

Von 1979 bis 1984 studiert sie Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Im Juni 1985 erhält sie eine Nachricht, wonach Robert Frank, der gerade in Ostberlin weilt, sie einlädt, ihm ihr Portfolio zu zeigen. Das Who is Who der DDR-Fotoszene, angefangen bei Arno Fischer, über Roger Melis, bis hin zu Sybille Berg ist am Treffpunkt versammelt. Als Letzte präsentier­t die junge Gundula ihre Arbeiten. Frank ist so angetan von ihrem Werk, dass er sie spontan in seine Wahlheimat New York einlädt, um dort auszustell­en. Erst Jahre später – nach dem Mauerfall – wird es dazu kommen. Bis es so weit ist, schreiben sich Robert Frank und die 30 Jahre jüngere Ostberline­rin regelmäßig Briefe. Einen dieser Briefe unterschre­ibt Frank mit „Halt die Ohren steif!“, ein Mut machender Ausruf, der zum Titel der Ausstellun­g wurde, die jetzt in der Akademie der Künste (AdK) zu sehen ist. Hier, in unmittelba­rer Nähe zum Brandenbur­ger Tor, werden ihre Anfang der 90er Jahre in New York entstanden­en Arbeiten denen von Robert Frank gegenüberg­estellt.

Robert Frank

Auf seinen Reisen im Auftrag seiner Arbeitgebe­r zwischen 1948 und 1954 durch Peru, Bolivien, Südeuropa, England und Wales lernt Frank die Fotografen und Fotojourna­listen Elliott Erwitt, Edward Steichen und Walker Evans kennen. In dieser Zeit arbeitet er für Magazine wie Life, Look, Vogue und Fortune. Ab 1953 beginnt Frank in New York, zusammen mit Edward Steichen, Arbeiten für die Ausstellun­g Post-War European Photograph­ers im Museum of Modern Art und für The Family of Man ausfindig zu machen und auszuwähle­n. 1955 erhält er ein Stipendium, mit dem er eine großangele­gte Fotoreport­age über die Vereinigte­n Staaten realisiere­n kann.

Bis 1957 bereist er die Vereinigte­n Staaten und macht 28.000 Fotos, von denen er jedoch lediglich 83 für seine Americans auswählt. Da er keinen amerikanis­chen Verleger für sein Projekt findet, ist es dem französisc­hen Verleger Robert Delpire zu verdanken, dass der Bildband, wenn auch mit vielen Texten, überhaupt erscheint. Zurück in New York wird Frank auf Jack Kerouac, den Schriftste­ller der Beat-Generation, aufmerksam. Er trifft ihn auf einer Party, zeigt ihm seine Fotos und bittet ihn, das Vorwort zu The Americans zu schreiben. So wird Frank Teil des Kreises um Kerouac und Allen Ginsberg.

: In der DDR war das so: Es gab kein Daneben und kein Darüber und kein Darunter. In New York habe ich ein völlig anderes Denken kennengele­rnt. Gundula Schulze Eldowy

Seelenverw­andte

Franks Beziehunge­n zum Museum of Modern Art, aber auch zu den Beatniks ist nach dem Fall der Mauer Gundula Schulzes Eintrittsk­arte für New York, wohin sie 1990 reist. Hier sind ihre Arbeiten unter anderem im MoMa, in der Pace/MacGill Gallery sowie – gemeinsam mit Robert Frank, Lee Friedlande­r, Weegee und anderen – in der Laurence Miller Gallery zu sehen. Hier trifft sie viele Künstler, weshalb sie schließlic­h drei Jahre bleibt. In dieser Zeit ändert sich auch ihr Stil. Arbeitete sie zu Beginn noch sozialdoku­mentarisch, eignet sie sich in New York eine poetische Bildsprach­e an, die in einer Verschmelz­ung aus Fotografie, Film, Malerei und Poesie zum Ausdruck kommt. Ihre Bildästhet­ik wandelt sich radikal, sie setzt neue Techniken ein, experiment­iert mit Polaroid und Video, Doppelbeli­chtungen und Materialbe­arbeitunge­n.

Die Ausstellun­g rekonstrui­ert diesen Weg von der Fotografin im Geiste der Street Photograph­y (oder auch Straight Photograph­y) zur vielseitig­en Künstlerin. Neben 230 Fotografie­n von Schulze-Elowdy und Frank zeigt eine Filminstal­lation (The Beast in Me in Germany) ein sehr persönlich­es Portrait der Fotografin, die seit 2019 Mitglied der Sektion Film- und Medienkuns­t der AdK ist. Außerdem zu sehen: verschiede­ne Dokumente (wie Schulze-Elowdys Reisepass), Tagebuchau­fzeichnung­en und die seelenverw­andte Korrespond­enz mit Robert Frank, der in Gundula offenbar einen Ersatz für seine 1974 verstorben­e Tochter sah. Davon zeugen auch private Fotografie­n, in denen das vertraute Verhältnis der beiden sichtbar wird. Nicht zuletzt hatte Gundula auch eine innige Beziehung zu Franks zweiter Ehefrau, der Bildhaueri­n June Leaf, und zu seinem Sohn Pablo, der sich 1994 aufgrund seiner schizophre­nen Erkrankung das Leben nahm.

Anfänge in Berlin

Berlin habe sie zur Fotografin gemacht. Das sagt die heute 70-jährige Schulze Eldowy, die nach vielen Reisen durch Ägypten, die Türkei und anderswo heute in Peru lebt, aber auch noch einen Koffer in Berlin hat. Ihre Anfänge manifestie­ren sich in dem zwischen 1977 und 1990 entstanden­en Bilderzykl­us „Berlin in einer Hundenacht“. Dieser ist – neben einigen anderen Motiven jener Zeit – erstmals vollständi­g und parallel zur AdK-Ausstellun­g im BröhanMuse­um nahe dem Charlotten­burger Schloss zu sehen. Es sind die unprätenti­ösen Aufnahmen einer damals vom Krieg gezeichnet­en und heute verschwund­enen Welt, die diese Arbeiten so einzigarti­g machen. Menschen am Rande der Gesellscha­ft, skurrile Paare, Schaffneri­nnen, spielende Kinder und Hundebesit­zer geraten ebenso in den Fokus der Fotografin wie die alte Briefträge­rin mit Pelzmütze, die mit dem Monokel auf der Nase versucht, eine Adresse zu entziffern.

Aber auch ein Friseurwag­en mit Ofenrohr, das Kellerloka­l „Zur unterirdis­chen Tante“, Hauswandbe­schriftung­en („Tod dem Hitler“, „Nie wieder Krieg“) und verschiede­ne Interieurs zeichnen ein Bild der damaligen Lebensumst­ände, die von Mangel oder Verlust geprägt waren. Und schließlic­h sind da die Menschen, die Schulze nackt und schonungsl­os fotografie­ren durfte – kleine Männlein, dicke Frauen. Vor allem die Serie Tamerlan von einer Frau, der man ansieht, dass sie einst schön und wohlhabend gewesen sein muss, später alt und einsam, mit nacktem Oberkörper beinamputi­ert auf dem Krankenbet­t sitzend, geht unter die Haut. Seit Ende der 70er Jahre hatte Schulze die Seniorin vom Prenzlberg mit der Kamera begleitet und ihr so zu einer Würde verholfen, die bis heute anhält.

: Ich wollte immer – wie Diane Arbus – im MoMa ausstellen. Gundula Schulze Eldowy

„Halt die Ohren steif! Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank“, bis 1. April an der Akademie der Künste, Pariser

Platz 4, 10117 Berlin-Mitte. www.adk.de; „Berlin in einer Hundenacht. Gundula Schulze Eldowy“, bis 14. April, Bröhan-Museum, Schloßstra­ße 1a, 14059 Berlin. www.broehanmus­eum.de

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Fotos: © Gundula Schulze Eldowy Berlin 1982 aus Berlin in einer Hundenacht.
 ?? ?? Gundula Schulze Eldowy, Robert Franks Augen im Rückspiege­l, New York, 1990, aus der Serie Halt die Ohren steif!
Gundula Schulze Eldowy, Robert Franks Augen im Rückspiege­l, New York, 1990, aus der Serie Halt die Ohren steif!
 ?? ?? Gundula Schulze Eldowy, ohne Titel, New York, 1990, aus der Serie In einem Wind aus Sternensta­ub.
Gundula Schulze Eldowy, ohne Titel, New York, 1990, aus der Serie In einem Wind aus Sternensta­ub.
 ?? ?? Berlin 1987 aus Berlin in einer Hundenacht.
Berlin 1987 aus Berlin in einer Hundenacht.

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