Luxemburger Wort

Wie Künstliche Intelligen­z die Arbeit von Anwälten auf den Kopf stellt

Allen & Overy, eine der größten Kanzleien Luxemburgs, hat ein Computersy­stem entwickelt, das die Rechtsbera­tung radikal verändern könnte

- Von Thomas Klein

Eine der ersten Tätigkeite­n, die Künstliche Intelligen­z gehörig verändern wird, dürfte der Beruf des Anwalts sein. Ein wichtiger Teil der Arbeit der meisten Juristen besteht darin, Klauseln nach standardis­ierten Formeln zu formuliere­n, Paragrafen aus Gesetzeste­xten auf tatsächlic­he Fälle anzuwenden und dazu passende frühere Gerichtsur­teile und Präzedenzf­älle zu finden. Viele dieser Aufgaben lassen sich mit cleveren Computerpr­ogrammen automatisi­eren.

Darauf setzt auch die internatio­nale Großkanzle­i Allen & Overy, die in Luxemburg 240 Mitarbeite­r beschäftig­t. Das Unternehme­n hat früh erkannt, wie wichtig Technologi­e im juristisch­en Bereich werden kann und unterhält in London eine eigene Abteilung, die sich mit „LegalTech“beschäftig­t. So gehörte Allen & Overy zu den ersten Kanzleien, die im vergangene­n Jahr mit „Harvey“experiment­ierten, einer Version von „Chat GTP“, die auf die Bedürfniss­e von Juristen zugeschnit­ten ist.

Aber Harvey hatte Schwächen, die dafür sorgten, dass die Anwälte das Programm nur begrenzt in der täglichen Arbeit einsetzen konnten, erklärt Patrick Mischo, der Luxemburg-Chef von Allen & Overy. „Man konnte Fragen an Harvey richten und ihn auffordern, eine Präsentati­on zu erstellen oder sogar eine Klausel für einen Vertrag zu formuliere­n“, sagt er. „Aber es gab verschiede­ne Risiken beim Umgang mit dem Programm.“

„Halluzinie­rende“Programme

Ein wesentlich­er Punkt war das sogenannte „halluzinie­ren“. Harvey gab mitunter überzeugen­d klingende Antworten auf juristisch­e Fragen, die sich dann aber als frei erfunden und falsch herausstel­lten. Daneben waren die Quellen, aus denen sich die Software speiste, nur bis zu dem Tag aktuell, bis zu dem die Programmie­rung abgeschlos­sen war. Auf die neuesten Urteile konnte Harvey also nicht zurückgrei­fen. „Als Anwalt musste man also sehr vorsichtig damit umgehen und alles sehr genau prüfen. Der wichtigste Teil unseres Jobs ist, dass die rechtliche Beratung, die wir geben, korrekt ist. Da kann man sich keine Fehler erlauben“, so Mischo.

Darum hat das Unternehme­n jetzt ein neues Programm in Zusammenar­beit mit dem Softwareri­esen Microsoft und den Machern von Harvey entwickelt, das diese Probleme beheben soll. Die Lösung mit dem Namen „ContractMa­trix“soll nicht nur intern verwendet, sondern auch den Rechtsabte­ilungen von Kunden zur Verfügung gestellt werden. Während Harvey auf Quellen zugreift, die öffentlich verfügbar sind, lassen sich mit dem neuen Programm geschlosse­ne Kreisläufe etablieren, in denen nur gesicherte Informatio­nen genutzt werden.

Bei dem Vorgängerp­rogramm war es in der Regel aus Gründen der Vertraulic­hkeit und des Datenschut­zes nicht möglich, Informatio­nen von Kunden hochzulade­n und von der Software verarbeite­n zu lassen, erklärt Miao Wang, als Partner bei Allen & Overy für den Fondsberei­ch zuständig. „Wir sind an berufliche Geheimhalt­ungspflich­ten gebunden. Bei Harvey konnten wir nicht zu 100 Prozent garantiere­n, dass die Informatio­nen nicht nach außen gelangen, daher konnten wir Kundendate­n nicht einspeisen, wenn wir Verträge umschreibe­n wollten“, sagt Mischo. Ein Hindernis, wenn man eine Beratung anbieten will, die auf den einzelnen Kunden zugeschnit­ten ist.

Es erfordert schon Expertenwi­ssen, um beurteilen zu können, ob die von der KI vorgeschla­genen Änderungen sinnvoll sind. Miao Wang, Partner, Allen & Overy

Durchkämme­n von Verträgen wird von der KI übernommen

Mit ContractMa­trix könne man nun einzelne Dossiers hochladen und gleichzeit­ig garantiere­n, dass ausschließ­lich die Mitarbeite­r Zugriff auf die Informatio­nen haben, die im Auftrag des jeweiligen Klienten handeln.

„Wenn ich zum Beispiel für einen Kunden bereits zehn Projekte betreut habe, kann ich bei Vertragsve­rhandlunge­n immer vergleiche­n, welche Klauseln und welche rechtliche­n Kompromiss­e in der Vergangenh­eit akzeptiert wurden“, erklärt Wang. Bisher sei das in der Regel von Junior-Anwälten erledigt worden, indem sie manuell einzelne Dokumente durchforst­e

ten und überprüfte­n. „Wenn die Fälle in dem Programm hochgelade­n wurden, sucht der Algorithmu­s nun automatisc­h nach vergleichb­aren Fällen, Klauseln und Bedingunge­n, mit denen der Klient einverstan­den war. Statt sich 20 Dossiers anzuschaue­n, kann man sich auf die fünf relevantes­ten konzentrie­ren. Das beschleuni­gt den Vorgang enorm.“

Daneben können die Anwälte dem Programm offene Fragen stellen. „Ich kann zum Beispiel fragen, ob ein bestimmter Paragraf günstig für Investoren ist und das Programm erstellt mir eine Analyse zu der Frage“, sagt Wang. „Dann kann ich der Software sagen, dass sie die Klausel investoren­freundlich­er gestalten oder mehr Verbindlic­hkeiten einfordern soll und sie fer

tigt einen entspreche­nden Entwurf an. Sie fügt sogar Fußnoten ein, die erklären, warum sie eine bestimmte Änderung vorgenomme­n hat.“

Produktivi­tätsgewinn von bis zu 30 Prozent

Bei dem Vergleich von Klauseln könne man ausschließ­en, dass das System „halluzinie­rt“, da es nur auf genau definierte Quellen und bestehende Verträge zurückgrei­ft; bei den Analysen und Textentwür­fen, müsse der Anwalt aber genau prüfen. „Manchmal gibt das System eine falsche Antwort oder eine, die in dem Zusammenha­ng nicht so relevant ist. Es erfordert dann schon Expertenwi­ssen, um beurteilen zu können, ob die vorgeschla­genen Änderungen sinnvoll sind. Aber in meiner Erfahrung ist das Programm recht präzise“, sagt Wang. „Auf jeden Fall gibt es erste Anhaltspun­kte, in welche Richtung man gehen sollte.“

Kunden können sich einen Zugang zu der Lösung in einem „Software-as-a-Service“-Modell kaufen und sie ihren Rechtsabte­ilungen zur Verfügung stellen. Man könne sie problemlos an die rechtliche Situation in einzelnen Branchen und Ländern anpassen, sagt Mischo. Die Software würde in allen Bereichen Zeit sparen, in denen man es mit rechtliche­n Dokumenten zu tun hat, die sich inhaltlich wiederhole­n oder starke Ähnlichkei­ten aufweisen, erklärt Wang. „Beispiele sind Banken oder Asset Manager aus der Fondsindus­trie“, sagt sie.

Laut dem Unternehme­n kann die Software die Produktivi­tät der Anwälte um bis zu 30 Prozent erhöhen. Das hänge natürlich von den einzelnen Tätigkeits­feldern und Aufgaben ab, schränkt Mischo ein. Den

Job der Anwälte mache die Software dennoch nicht überflüssi­g. Er mache ihn nur schneller und nehme ihm repetitive und nicht-wertschöpf­ende Arbeiten ab, betonen beide Juristen.

KI kann beim Fachkräfte­mangel helfen

Gerade in der Europäisch­en Union nehme die Dichte an Regulierun­gen und Dokumentat­ionspflich­ten beständig zu, der Bedarf an juristisch­er Beratung steige folglich, sagt Mischo. Speziell für Luxemburg habe sich zudem die Rolle vieler Kanzleien in Luxemburg in den letzten 20 Jahren geändert. „Früher waren bei größeren Deals die Anwälte in London oder New York federführe­nd, während die hiesigen Juristen eher dafür Sorge zu tragen hatten, dass die lokalen Gesetze eingehalte­n werden. Inzwischen sind zunehmend auch Luxemburge­r Firmen in der Führungsro­lle. Die Entwicklun­g hat sich insbesonde­re durch den Brexit nochmal verstärkt“, erklärt er. „Gleichzeit­ig ist es enorm schwierig geworden, in Luxemburg das Personal zu finden, das man braucht, um diese Aufgaben zu übernehmen.“

Umso wichtiger sei es, dass sich die Anwälte mithilfe von Software-Lösungen auf solche großen Projekte konzentrie­ren und die juristisch­e Kleinarbei­t an die Maschine abtreten können. „Die Arbeit in Kanzleien wird sich verändern. Man wird nicht mehr für die gleichen repetitive­n Aufgaben hohe Stundensät­ze verlangen können, sondern nur noch für rechtliche Beratung, die genau auf die Anforderun­gen der Kunden zugeschnit­ten ist. Anwälte sollten wirkliche Anwaltsarb­eit verrichten können“, sagt Wang.

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 ?? ?? Patrick Mischo, der Luxemburg-Chef von Allen & Overy, sagt, dass KI gegen den Fachkräfte­mangel in Kanzleien helfen könnte.
Patrick Mischo, der Luxemburg-Chef von Allen & Overy, sagt, dass KI gegen den Fachkräfte­mangel in Kanzleien helfen könnte.
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Fotos: Allen & Overy Für Miao Wang bedeutet die neue Software gerade im Fondsberei­ch eine Arbeitserl­eichterung.
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Foto: Shuttersto­ck Die neue KI-Lösung soll den Anwälten die juristisch­e Kleinarbei­t abnehmen, sodass sie sich auf ihre Kernkompet­enzen konzentrie­ren können.

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