Wie Putin das politische Überleben des syrischen Machthabers sichert
Russland untergräbt die Friedensbemühungen der UN im Syrien-Konflikt. Gleichzeitig kommt es im Land wieder zu Kämpfen
Die Luftattacken begannen um acht Uhr morgens, sie dauerten eine halbe Stunde. Ziel waren der Markt in der Rebellen-Stadt Maarrat al-Numan im Nordwesten Syriens. Die Angreifer töteten 43 Zivilisten, 109 erlitten Verletzungen. Kurz nachdem Rettungskräfte die Opfer bergen wollten, schlugen die Angreifer erneut zu. Weitere Dutzende Menschen starben. UN-Ermittler verfügen über „stichhaltige Beweise“, dass Russlands Luftwaffe an dem Massaker beteiligt war – Moskau bestreitet das.
Der Ort Maarrat al-Numan erlebte an diesem Tag im Juli 2019 nur eine der vielen Tragödien, die der Konflikt in Syrien über die Menschen bringt. Am Freitag jährt sich der Beginn der Gewalt zum 13. Mal. Vom 15. März 2011 bis heute starben Hunderttausende Menschen. Millionen befinden sich auf der Flucht. „Mehr als die Hälfte der Bevölkerung leidet unter Hunger“, sagt UN-Generalsekretär António Guterres über die aktuelle Situation in Syrien. Es sei ein „düsterer Jahrestag“.
Ausgerechnet jetzt verschärfen sich die bewaffneten Auseinandersetzungen und verheeren das Land immer weiter. „Seit Oktober haben die Kämpfe in Syrien die größte Eskalation seit vier Jahren erlebt“, analysiert die zuständige UN-Untersuchungskommission in ihrem neuesten Bericht. Das Regime des Präsidenten Baschar al-Assad und sein Hauptverbündeter Russland attackieren mit aller Härte Milizen und Terrorgruppen wie den Islamischen Staat. Auch die Türkei schaltet sich immer wieder in die Kämpfe ein. „Im gesamten Norden des Landes, in dem Millionen von Zivilisten leben, kam es zu zahlreichen Gefechten”, berichtet der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen über den abgelaufenen Monat Februar.
Ein Waffenstillstand oder sogar eine diplomatische Lösung des Krieges liegen in weiter Ferne. Russland spielt bei der
Fortsetzung des Blutvergießens die zentrale Rolle: sowohl militärisch als auch politisch. Statt auf Verhandlungen setzen Russlands Präsident Wladimir Putin und sein Juniorpartner Assad auf den totalen militärischen Sieg. Dabei bombardieren Putins und Assads Streitkräfte nach UN-Erkenntnissen wahllos zivile Ziele wie Krankenhäuser und Schulen, sie verüben somit mutmaßlich Kriegsverbrechen. Seit Oktober töteten und verletzten sie Hunderte Zivilisten. Solche „Attacken sollen Zivilisten terrorisieren“, warnt der Chef der UN-Untersuchungskommission zu Syrien, Paulo Sérgio Pinheiro, schon seit langem.
Putin begründete den 2015 begonnenen Einsatz seiner Einheiten damit, die „legitime Regierung in Syrien zu stabilisieren“. Putin will nach Einschätzung von Diplomaten zudem seine Einflusssphäre im Mittelmeer und Nahen Osten ausdehnen und gleichzeitig den Spielraum der USA einschränken. Dazu dienen auch ein russischer Marinestützpunkt und ein Militärflughafen in Syrien.
Der 15. März 2011 gilt als der Beginn des Syrien-Konflikts. Es kam zu Protesten gegen das Assad-Regime. Assad reagierte mit grausamer Härte und provozierte einen Bürgerkrieg. Zeitweise fochten mehr als 100 Rebellenmilizen und Terrorgruppen sowie Assad-Truppen und ihre Verbündeten, darunter der Iran. Die Gegner entrissen Assad weite Teile des Territoriums. „Die russische Intervention ermöglichte es dem Assad-Regime, die Initiative wiederzuerlangen“und viele Gebiete zurückzuerobern, erläutert der Direktor für Irak, Syrien und Libanon der International Crisis Group,
Heiko Wimmen. „Dazu gehörten direkte Kampfeinsätze, insbesondere der russischen Luftwaffe, Ausrüstung, Ausbildung und Umstrukturierung der syrischen Armee.“Ohne die massive russische Unterstützung wäre Assad nach Einschätzung Wimmens verloren gewesen. Putin rettete Assad.
Verständigung vorerst gescheitert
Je stärker Assad und Putin auf dem Schlachtfeld reüssieren, desto abschätziger blicken sie auf Verhandlungen. Alle Friedens-Initiativen der UN sind verpufft. Im UN-Sicherheitsrat halten Putins Botschafter ihre schützende Hand über Assad – bis heute gibt es keine UNSanktionen gegen den Gewaltherrscher. Auch untergräbt Moskau die Friedensanstrengungen des UN-Sondergesandten Pedersen. Die Russen „haben nie nennenswerten Druck auf das Assad-Regime ausgeübt, damit es Kompromisse eingeht“, erläutert Experte Wimmen. Nach Beginn ihres Angriffskrieges gegen die Ukraine 2022, hätten die Russen „sogar ihre rhetorischen Bemühungen, diesen Prozess voranzubringen, weitgehend eingestellt“.
Pedersen hatte es 2019 geschafft, ein Verfassungskomitee für Syrien auf die Beine zu stellen. Das Komitee besteht aus Assad-Gesandten, Oppositionellen und der Zivilgesellschaft. Die Emissäre kamen mehrmals in der Schweizer UNStadt Genf zusammen, um einen „politischen Prozess“anzustoßen. Seit 2022 liegt das Format auf Eis – Moskau will es so. „Vor über achtzehn Monaten habe ich zur neunten Sitzung des Verfassungskomitees nach Genf eingeladen“, berichtete der UN-Sondergesandte Ende Februar.
Diese Sitzung fand bis heute nicht statt. Der Grund: Russlands Außenminister Sergej Lawrow betrachtet die Schweiz wegen ihrer Sanktionen gegen Moskau nicht mehr als neutral. Das Assad-Regime folgt seiner Schutzmacht und sperrt sich gegen Genf als Treffpunkt – obwohl die Gespräche auf UNGelände stattfinden sollen.
Je stärker Assad und Putin auf dem Schlachtfeld reüssieren, desto abschätziger blicken sie auf Verhandlungen.