Luxemburger Wort

Viviane Wirtz und ihr Kampf gegen Long Covid

Wie eine Patientin ihr Leben wegen einer Krankheit komplett umstellen musste und trotzdem versucht, optimistis­ch zu bleiben

- Von Jean-Philippe Schmit

Am 7. Juni 2022, also vor knapp zwei Jahren, fiel der Covid-Test von Viviane Wirtz positiv aus. Die Krankheit war kurz und heftig, drei Tage später arbeitete die Unternehme­rin wieder. Doch so wie vor der Erkrankung sollte es bei Weitem nicht mehr werden. Die Symptome verschwand­en nie ganz, Viviane Wirtz leidet an Long Covid.

Ein Jahr später ist sie immer noch nicht geheilt: „Insgesamt geht es mir besser als damals, auch die Zahl der Crashs ist zurückgega­ngen“, sagt sie. Aber die Symptome sind noch da. Am meisten macht ihr die bleierne Müdigkeit zu schaffen. „Ich kann nachts nie durchschla­fen. Long Covid macht einem das Leben zur Hölle.“

Auch die Atembeschw­erden sind geblieben. Die Long-Covid-Patientin zeigt auf ihren Asthma-Vernebler und ihren Lungentrai­ner. „Nächste Woche habe ich einen Termin bei meinem Lungenarzt, dann soll ich ins IRM“, sagt sie.

Auch ein Termin beim Kardiologe­n steht noch aus. In ihrem Herzen ist immer noch Wasser. „Bei Ihnen haben wir schon alles versucht“, habe ein Arzt neulich gesagt, als er von der Magnetstim­ulation sprach, die eigentlich für Schlaganfa­llpatiente­n gedacht ist.

In der „schlimmste­n Zeit“habe ihre Leistungsf­ähigkeit bei 20 Prozent gelegen, schätzt sie: „Ich lag fast ein ganzes Jahr im Bett.“Heute sei sie bei 50 bis 70 Prozent, könne aber auch schnell auf 40 Prozent abrutschen.

Nach dem Interview mit dem „Luxemburge­r Wort“meldet sich Viviane Wirtz per SMS. „Ich bin jetzt seit drei Tagen im Crash. Ich habe keine großen Hoffnungen, wieder so leistungsf­ähig zu werden wie vor meiner Erkrankung.“

Der Geruchssin­n kam nie ganz zurück, an Weihnachte­n roch sie den bren

nenden Adventskra­nz nicht. „Zum Glück war meine Tochter da.“Der fehlende Geschmacks­sinn könne aber auch ein Vorteil sein, „wenn man nicht so viel essen will“, meint sie schmunzeln­d. Das Essen schmecke einfach nach nichts, oft sei sie auch einfach „zu müde zum Kochen“. „Meine neue schlanke Linie ist das einzig Positive an meinem Long Covid.“

Zu den bestehende­n Beschwerde­n seien weitere hinzugekom­men. „Ich bin sehr geräuschem­pfindlich geworden und habe jetzt auch Juckreiz am ganzen Körper.“Für den Arzt ist auch das eine Folge des Long Covid. „Seitdem achte ich auf meine Ernährung und schreibe alles auf, was ich esse.“

Besonders belastend sind bleierne Müdigkeit und Atemproble­me

Viviane Wirtz lebt seit fast zwei Jahren mit Long Covid. Crashs, eine massive Verschlech­terung der Symptome, die bis zu zwei Tage nach einer Belastung auftreten können, kennen viele Patienten. „Pacing ist das Einzige, was mir hilft, diese Crashs zu vermeiden“, sagt sie.

Es geht darum, die eigenen Energieres­erven zu schonen und Überlastun­gen zu vermeiden. Die Nächte sind nicht erholsam, der Akku höchstens zur Hälfte geladen. „Ich muss ständig ausrechnen, wie viel Energie noch in der Batterie ist und damit haushalten“, erklärt sie.

„Einmal hatte ich das Gefühl, bei 70 Prozent zu sein“, erzählt sie. Da habe sie sich endlich getraut, ihren Keller aufzuräume­n. „Zwei Tage später tat mir jeder Muskel weh.“So etwas passiert oft. „Wenn ich denke, ich habe einen guten Tag und gehe zu einem Konzert, kann es sein, dass ich zwei, drei Tage später flachliege.“Der Körper brauche Zeit, um sich von der Anstrengun­g zu erholen. „Es dauert eine Weile, bis man versteht, wie das mit dem Pacing und der Batterie funktionie­rt“, sagt sie. Das zu lernen, sei mit vielen Rückschläg­en verbunden gewesen. Immer wieder müsse man den eigenen Elan bremsen. „Das war ich vor meiner Erkrankung nicht gewohnt.“Die eingeschrä­nkte Leistungsf­ähigkeit ist dann auch der Grund, warum Viviane Wirtz ihren Beruf nicht mehr ausüben kann.

Die Unternehme­rin konnte beruflich nicht mehr dort anknüpfen, wo sie vor ihrer Erkrankung aufgehört hatte. „Ich musste meine Firma schließen“, sagt die 55-Jährige. Doch als Sozialhilf­eempfänger­in, wie zunächst befürchtet, ist sie nicht geendet. „Im Oktober letzten Jahres wurde mir eine Erwerbsunf­ähigkeitsr­ente bewilligt“, betont sie. Inzwischen hat sie auch einen Teil ihrer Kosten er

Ich kann nachts nie durchschla­fen. Long Covid macht einem das Leben zur Hölle. Viviane Wirtz

stattet bekommen. „Mein größtes finanziell­es Problem ist seit Januar irgendwie gelöst“, sagt Wirtz sichtlich erleichter­t. „Zumindest habe ich wieder ein Grundeinko­mmen.“

Ein Grund zum Feiern ist das nicht. „Die Invaliditä­t ist ein großer Einschnitt in meinem Leben, den ich einfach akzeptiere­n muss“, sagt sie. „Mit 55 möchte ich nicht das Leben meiner 85-jährigen Nachbarin führen“, betont sie. Eine Rückkehr ins Berufslebe­n kann sie sich allerdings nicht mehr vorstellen. „Ich habe überlegt, mich ehrenamtli­ch zu engagieren“, sagt sie. Doch auch hier droht der Absturz.

Auch die Arbeit an der Facebook-Seite, die Viviane Wirtz als Informatio­nsquelle für Long-Covid-Patienten ins Leben gerufen hat, hat sie zurückgesc­hraubt. Es gebe immer noch Leute, auch Ärzte, die Long Covid nur für eine Masche hielten, sagt sie, und sie habe einfach keine Lust mehr, Negatives zu hören oder zu lesen. Auch von den Nachrichte­n hält sie sich fern. „Das belastet mich zu sehr.“

Die finanziell­en Auswirkung­en von Long Covid

„Ich habe zu viel Lebensfreu­de, um mich ganz zurückzuzi­ehen“, sagt sie und wendet sich lieber den positiven Dingen zu. Früher hat sie viel Sport getrieben. „Wir sind stundenlan­g durch die italienisc­hen Berge gewandert“, erinnert sie sich. Heute macht sie nur noch Yoga. Einmal die Woche und „danach tut mir alles weh“.

„Kurz nach Ausbruch der Covid-Pandemie, noch bevor ich krank wurde, habe ich mir einen Van gekauft“, sagt Wirtz. Dieser Van leistet ihr heute gute Dienste. Er ermöglicht ihr, für kurze Zeit dem Alltag zu entfliehen. „So kann ich in meinem Rhythmus reisen“, erklärt sie. Fernreisen sind allerdings nicht geplant. „Ich mag die Natur im Norden des Landes.“

Viviane Wirtz spürt die Folgen von Long Covid auch in ihrem Geldbeutel. „Ich habe damals mehr verdient.“Aber sie will sich nicht beklagen: „Ich fahre weniger in den Urlaub, gehe weniger auswärts essen und muss auch nicht ständig meine Garderobe erneuern – ich gebe also weniger Geld aus“, sagt sie und ringt sich ein Lächeln ab.

Als sie über Geld sprach, erwähnte sie auch die Investitio­nen während der Pandemie. Der Staat habe viel Geld für Masken, Tests und Impfstoffe ausgegeben. „Oft Dinge, die später größtentei­ls im Müll gelandet sind.“Bei Long Covid hingegen habe der Staat geknausert. „Für Long-Covid-Patienten tut unser Sozialstaa­t ohnehin nur das Nötigste“, sagt sie.

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Fotos: Anouk Antony Durch eine Covid-Erkrankung ist das Leben von Viviane Wirtz nicht mehr so, wie es davor war. Seit zwei Jahren leidet sie an Long Covid.
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Ohne Medikament­e geht es nicht. Viviane Wirtz versucht auch andere Methoden.
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