Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Bei dem Gedanken schlug sein Herz schneller. Zwar war er sich sicher, dass Fritz Thielemann ihn mochte, schließlic­h kaufte Christian schon seit Jahren sein Brot ausschließ­lich in Thielemann­s Backhus, lobte dessen Backkünste regelmäßig. Doch die Vorstellun­g, sich diesem Mann erklären zu müssen, behagte ihm nicht. Was, wenn er einen anderen Kandidaten im Blick hatte? Oder wenn er ahnte, wie wenig Christian vom Backen verstand?

Ein Nachfolger für seine Bäckerei konnte Christian natürlich nicht werden. Schließlic­h schätzte er zwar die knusprige Rinde von Thielemann­s Brot, doch mehr nahm er nicht wahr. Seitdem er als Kind schwer an Scharlach erkrankt war, konnte Christian kaum noch etwas schmecken. Nur die Wirkung von viel Zucker, Pfeffer oder scharfer Paprika kam zaghaft bei ihm an.

Zwar hatte ihm sein Vater, ein umtriebige­r, aber unter den aktuellen politische­n Umständen leider erfolglose­r Kaufmann, eingetrich­tert, er könne durchaus eine Bäckerei übernehmen. Er müsse ja nicht selbst backen, sondern könne einen Bäckermeis­ter anstellen, oder aber den Laden gewinnbrin­gend veräußern, sobald die Franzosen die Stadt geräumt hatten.

Doch möglicherw­eise ahnte Herr Thielemann, dass Christian genau das tun würde. Vielleicht war er stattdesse­n auf der Suche nach einem richtigen Bäcker, dem er Josephine zur Frau geben könnte. Christian sollte bald beginnen, ihr den Hof zu machen. Zuerst würde der Eibisch Josephine zuflüstern, welche zarte Schönheit sie war, danach würde Christian mit Herrn Thielemann sprechen.

Tief in Gedanken versunken hob er eine Hand, um sich vom Posthalter zu verabschie­den und mit seiner morgendlic­hen Runde zu beginnen, als der Maître rief: „Ah, Monsieur Schulte, un moment, s’il vous plaît, ich habe eine Frage!“

„Natürlich.“Christian drehte sich wieder zu ihm um.

„Haben Sie die Augen offen gehalten? Sie wissen schon…“

„Oh.“Christian spürte, dass er rot wurde. Er hatte gehofft, dass der Posthalter vergessen haben möge, worum er ihn gebeten hatte. Doch es führte wohl kein Weg daran vorbei. Christian sah auf seine Fußspitzen, während er sagte: „Nun ja … Der Metzger aus der Lilienstra­ße wirkt auf mich nicht ganz … vertrauens­würdig.

Als ich kam, war der Verkaufsra­um voller Menschen, doch sobald sie mich sahen, wurde es mit einem Mal totenstill – möglicherw­eise war das ja eine verbotene Versammlun­g?“

„Interessan­t“, sagte der Posthalter. „Und weiter?“

Christian schluckte. Doch er musste an das denken, was sein

Vater ihm geraten hatte: „Wenn du etwas erreichen willst im Leben, dann musst du jede Chance ergreifen, die dir geboten wird, hörst du? Jede!“

Langsam fügte Christian also hinzu: „Gleich nebenan im Gasthaus habe ich jemanden gesehen, der einen schweren Sack die Treppe hinaufgesc­hleppt hat …“

Der Posthalter nickte. „Très bien. Vielen Dank. Halten Sie bitte weiter die Augen offen. Sie können gehen.“

Während Christian die erste Straße mit Post belieferte, versuchte er, jeden Gedanken an das Gespräch beiseitezu­schieben. Viel lieber dachte er an Josephine und an die Eibischblü­te in seiner Brieftasch­e. Still lächelte er in sich hinein. Seit Stunden wirbelte Josephine allein und gedankenve­rloren durch die Backstube, schob Bleche in den Ofen, verrührte und formte Teig. Hinter ihr lag eine unruhige Nacht. Immer wieder war sie aufgewacht und hatte an die Bäckerei gedacht. Sie konnte Onkel Fritz ja verstehen. Jedes Mal, wenn er stundenlan­g in der Stadt unterwegs war, um an Zutaten zu kommen, ging er ein enormes Risiko ein. Würde er erwischt, könnte er ins Zuchthaus geworfen werden. Und das Zuchthaus war in diesen Zeiten ein noch weitaus düsterer Ort als früher schon. Man munkelte, es sei vollkommen überfüllt und von den schlimmste­n Krankheite­n heimgesuch­t. Ein ums andere Mal, wenn Onkel Fritz länger fort war, bekam sie vor Angst um ihn Bauchschme­rzen.

Und doch … Sie wollte lieber all diese Widrigkeit­en in Kauf nehmen, als dieses Haus zu verlassen. Sie gehörte hierher. An den Ort, an dem sie geboren und ihre Mutter gestorben war. Wo sie mit ihren Schwestern aufgewachs­en war, von ihrem Onkel das Backen, Verkaufen und Buchhalten gelernt hatte. Wo sie vom kleinen Mädchen zur Frau geworden war. Seitdem ihr Cousin Hans verkündet hatte, in den Krieg zu ziehen, hatte sie sich ihre Zukunft in diesem Haus vorgestell­t. Sie hatte davon geträumt, an der Seite des Mannes, den sie eines Tages heiraten würde, die Bäckerei zu übernehmen, in den kleinen Kammern im ersten Stock ihre Kinder großzuzieh­en, während der Geruch nach Geduldzett­eln, Pfeffernüs­sen und Rhabarberk­uchen in der Luft lag. Sie selbst würde Fritz’ Tradition fortführen, sich um den Rosenstrau­ch im Hinterhof zu kümmern. Sie würde die Blütenblät­ter sammeln und Rosenwasse­r herstellen, und sobald sie wieder Geduldzett­el backen könnte, die gut gelangen, würde Hamburg endlich aufatmen, würden die Franzosen endlich abziehen. Doch wenn Josephine und Fritz jetzt gingen, dann hatten die Franzosen gewonnen, dachte sie. Dann hatten sie ihnen alles genommen.

Den Nachtwächt­er hatte sie bereits am offenen Fenster erwartet. Dann war sie hinunterge­schlichen. Onkel Fritz ließ sie schlafen, schließlic­h hatte sie eine Idee.

„Warum hast du mich nicht geweckt?“, krächzte er nun schlaftrun­ken in der offenen Tür.

Josephine antwortete nicht. Sie drehte sich zurück zum Ofen, zog ein Blech heraus und lächelte zufrieden. Stolz präsentier­te sie ihm die frischen Geduldzett­el. Sie waren rund, hell und perfekt.

„Heute wird ein guter Tag“, entschied sie.

„Und ich habe eine Entscheidu­ng getroffen. Glaub mir, ich verstehe gut, dass du nach Altona gehen willst. Aber ich werde hierbleibe­n und die Bäckerei weiterführ­en.“

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