„Mit unserem Gerät konnte man sehen, was E171 im Körper anrichtet“
Wie eine Erfindung von LIST-Forschern um Tom Wirtz half, dass der Lebensmittelfarbstoff Titandioxid in der EU verboten wurde
Es ist ein bahnbrechendes Instrument, das Forscher des List in Belval entwickelten. In ein Mikroskop eingebaut, können damit nicht nur Oberflächen angesehen werden, sondern auch dahinter der chemische Aufbau eines Objekts. In der Photovoltaik hilft das, die Zusammensetzung dünner Schichten zu verstehen, die für die Leistung und Langlebigkeit von Solarzellen entscheidend sind. In den Biowissenschaften ermöglicht es hochauflösende chemische Analysen biologischer Proben.
Tom Wirtz, Sie haben ein Gerät erfunden, mit dem Mikroskope angeschaute Objekte auch chemisch analysieren können?
Ja. Wobei man mit einem normalen Mikroskop, wie wir es aus der Schule kennen, Gegenstände im Mikrometerbereich erkennt. Wir hingegen nutzen Ionen-Mikroskope.
Statt dass wir auf die Probe, die wir uns anschauen wollen, Licht schicken und transmittiertes Licht messen, schicken wir Ionen auf die Probe und messen dann Elektronen und Ionen, die daraus entweichen. Die verschiedenen Pixel – mal mehr Elektronen, mal weniger – ergeben so ein Bild. Das geht bis zu einer Auflösung von einem Nanometer, also einem Milliardstel Meter. Um sich das besser vorstellen zu können: Ein Nanometer ist hunderttausendmal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars. Das ist nah an der atomaren Ebene.
Was genau haben Sie entwickelt und wie kam es dazu?
Chemische Analysen laufen im Prinzip immer so ab, dass man misst, welche Elemente aus dem Periodensystem in einer Probe enthalten sind. Wir wollten aber, dass man nicht nur sagen kann, welche Elemente in einer Probe enthalten sind, sondern dass man auch sieht, wie diese Elemente in einem Objekt verteilt sind. Ich sehe also nicht nur die Oberfläche, sondern kann mir ansehen, wie in einer Batterie das Lithium verteilt ist. Wenn ich weiß, wie das Lithium verteilt ist, weiß ich etwa, wie die Batterie funktioniert oder warum sie weniger gut funktioniert als sie sollte, und wie man vielleicht die Funktionsweise der Batterie verbessern kann.
Wie geht das?
Man stelle sich die Atome wie Billardkugeln vor: schießt man mit Ionen auf eine Probe, dann fliegen ein paar aus der Probe raus. Da sämtliche Elemente eine unterschiedliche Masse haben, kann ich mit einem Massenspektrometer bestimmen, um welche Elemente es sich handelt, und für jedes Pixel der Probe, auf welches ich mit dem Ionenstrahl schieße, die Anzahl an Atomen jedes Elements mit einem Detektor zählen. Das alles zusammen ergibt ein Bild, das zeigt, wie ein Objekt chemisch aufgebaut ist.
Wie kamen Sie auf die Idee?
Massenspektrometrie gibt es schon lange und wird in verschiedenen Gebieten eingesetzt. Da wir überlegten, wie man die ganz kleinen Sachen sehr gut darstellen kann, kamen wir auf den Gedanken, ob man dazu nicht das Prinzip der Massenspektrometrie nutzen kann. Also mussten wir dazu ein Gerät entwickeln. Zuerst bauten wir dazu im Labor verschiedene kritische Komponenten und stellten dabei nach und nach fest, dass es funktionierte. Schließlich traten wir mit Zeiss in Kontakt, die Ionen-Mikroskope herstellen, um unser Gerät testen zu können. Und die berichteten uns, dass genau das, was wir entwickelt haben, auf dem Markt nachgefragt werde, aber bislang fehle.
Und jetzt lagern sie die Produktion ihrer Erfindung aus?
Ja, irgendwann wurde die Nachfrage zu groß, denn unsere Mission ist die Forschung und nicht die Serienfertigung dieses Instruments. Eine der Firmen, mit der wir bei der Entwicklung zusammenarbeiteten, die Firma Raith, baut deswegen nun auf Lizenzbasis die Geräte und kann zum einen ihre eigenen Mikroskope mit diesem Massenspektrometer ausstatten, oder sie verkaufen es als Original Equipment Manufacturer (OEM), wie es in der Fachsprache heißt, an andere wie Zeiss oder Thermo Fisher, damit sie es dann auch deren Kunden anbieten können.
Wie lange hat es von der Idee bis jetzt zur Marktreife gedauert?
Rund zehn Jahre. Um das finanzielle Risiko einzugrenzen, entwickelten, bauten und testeten wir nach und nach kritische Komponenten, und wenn es jeweils funktionierte, gingen wir den nächsten Schritt. Den ersten richtigen Prototypen hatten wir nach vier Jahren. Nach etwa einem Jahr lang testen, begannen wir dann, Anwendungen für das Instrument zu entwickeln. Wir setzten die Schwerpunkte auf Batterieforschung, Photovoltaik und Toxikologie und haben dann mit internationalen Experten zusammen Projekte für jedes dieser Fallbeispiele ausgearbeitet. Dann sind wir in die Beta-Studie gegangen, was wiederum ein paar Jahre dauerte, denn um so ein Gerät zusammenzubauen und zu testen, braucht ungefähr ein Jahr.
Wer sind die Kunden für das Gerät?
Eingesetzt wird es sowohl in der akademischen Forschung wie auch bei Forschungsinstituten oder in den Forschungsabteilungen von Unternehmen, aber auch in der Qualitätskontrolle von Unternehmen. Ebenso ist der Einsatz der Geräte in der Produktion, zum Beispiel von Mikroelektronik, möglich.
In der Biologie, hauptsächlich in der Forschung, zum Teil aber auch bei den Pharmakonzernen, ist der Einsatz ebenso denkbar. Batterieforschung ist ein heißes Thema, auch alles, was Wasserstoffwirtschaft angeht. Auch in der Geologie wird das Gerät genutzt, um zu sehen, aus was Steine zusammengesetzt sind, oder in der Botanik, zum Beispiel in Ländern wie Vietnam. Dort ist das Wasser sehr mit Arsen belastet, und das Gerät zeigt, wie das Arsen durch die Wurzeln aufgenommen wird.
Ich sehe also nicht nur die Oberfläche, sondern kann mir ansehen, wie in einer Batterie das Lithium verteilt ist.
Mit wie vielen Verkäufen rechnen Sie?
Für Ionen-Mikroskope gibt es einen Markt von jährlich 300 bis 400 Instrumenten. Wie viele von diesen Geräten werden zusätzlich mit unserem Massenspektrometer ausgerüstet? Wir gehen davon aus, dass es etwa zehn bis 20 Prozent davon sind. Später vielleicht einmal bis zu 50 Stück pro Jahr.
Und der Gewinn fließt in das Institut?
Wir haben sieben Patente auf den verschiedenen Komponenten und Konzepten am Gerät. Raith erhielt von uns eine Lizenz zur Nutzung dieser Patente plus das Knowhow. Das heißt, für jedes verkaufte Gerät zahlen sie uns einen bestimmten Betrag, und dieses Geld fließt dann natürlich wieder zurück in die Forschung.
Was hat sie bei der Entwicklung am meisten überrascht, oder was waren die kuriosesten Experimente, die sie mit dem Gerät gemacht haben?
Eine Überraschung im positiven Sinn war, dass es auf Anhieb funktionierte. Das war wirklich ein Wow-Moment. Was kuriose Beispiele betrifft, so hat uns die Uni Utrecht in den Niederlanden kontaktiert, die das Gerät nutzen wollten, um Bodenproben anzuschauen und Erdbebenforschung zu betreiben. Das überraschte uns. Wir machen Forschung im Nano-Bereich, erklärten wir. Aber die haben dann Bodenproben zwischen zwei Zylinder geklemmt und einen enormen Druck ausge
übt, wie er einem Erdbeben entspricht. Und das Gerät konnte zeigen, wie Makroveränderungen wie von Erdbeben auch kleinste Nanopartikel verändern. Und die Forscher aus Utrecht erklärten uns auch, dass Prozesse von Erdbeben im Nano-Bereich observiert werden können.
Bei einem anderen interessanten Beispiel – ein EU-Projekt – ging es darum zu sehen, was Nanopartikel, die in Lebensmitteln, in der Luft oder im Wasser sind, mit dem Körper anstellen. Und tatsächlich konnte man mit unserem Gerät mitverfolgen, was die Nanopartikel im Körper machen. Bekannt ist vielleicht Titandioxid, das als E171 gelabelt ist und Lebensmitteln oder auch Zahncreme die weiße Farbe gibt. Das Mittel kommt sogar in herkömmlichem Ketchup vor, weil es für ein besseres Fließverhalten sorgt.
Unter unserem Mikroskop konnten Biologen der Lebensmittelbehörde in Frankreich sehen, wie die Titandioxidpartikel in Zellen eindrangen und dass die Zellen unter diesen Partikeln leiden und von ihnen zerstört werden. Daraufhin wurde dieses E171 in Lebensmitteln in Frankreich und jetzt auch EU-weit verboten. Dieses Beispiel zeigt, dass unser Gerät tatsächlich auch dem Endverbraucher etwas bringt.
Welche Projekte verfolgen Sie jetzt?
Das Konzept unseres Massenspektrometers ist auch für die Weltraumforschung sehr interessant, weswegen wir zum Beispiel auch mit der ESA (europäische Raumfahrtbehörde, d. Red.) zusammenarbeiten. Vorstellbar ist der Einbau zum Beispiel in einem Rover, der auf Asteroiden oder wo auch immer landet. Da kommen natürlich dann auch ganz andere Anforderungen hinzu. Es ist eine Sache, wenn ich das im Labor habe, oder ob ich es ins Weltall hochschieße, wo es in einer Rakete durchgeschüttelt wird und Temperaturschwankungen einwirken. Das heißt, die ganzen Komponenten brauchen ein ganz anders Design.
Wir haben jetzt die verschiedenen Techniken an die Grenze des physikalisch Machbaren gebracht und versuchen, mit der Nutzung von Laser noch etwas herauskitzeln. Da haben wir jetzt relativ viele Projekte. Zudem sind wir dazu übergegangen, statt „tote Proben“anzuschauen, das zu machen, was man „operando“nennt: statt einfach eine Batterie zu analysieren, analysieren wir die Batterie, während sie entladen oder aufgeladen wird. Oder wir schauen uns Metall an, vor, während und nachdem es mit Wasserstoff in Kontakt war. Die EU schreibt da jetzt relativ viele Programme in dem Bereich aus, wo wir auch schon das eine oder andere Projekt an Land gezogen haben.
Das Konzept unseres Massenspektrometers ist auch für die Weltraumforschung sehr interessant.