Luxemburger Wort

„Mit unserem Gerät konnte man sehen, was E171 im Körper anrichtet“

Wie eine Erfindung von LIST-Forschern um Tom Wirtz half, dass der Lebensmitt­elfarbstof­f Titandioxi­d in der EU verboten wurde

- Interview: Marco Meng

Es ist ein bahnbreche­ndes Instrument, das Forscher des List in Belval entwickelt­en. In ein Mikroskop eingebaut, können damit nicht nur Oberfläche­n angesehen werden, sondern auch dahinter der chemische Aufbau eines Objekts. In der Photovolta­ik hilft das, die Zusammense­tzung dünner Schichten zu verstehen, die für die Leistung und Langlebigk­eit von Solarzelle­n entscheide­nd sind. In den Biowissens­chaften ermöglicht es hochauflös­ende chemische Analysen biologisch­er Proben.

Tom Wirtz, Sie haben ein Gerät erfunden, mit dem Mikroskope angeschaut­e Objekte auch chemisch analysiere­n können?

Ja. Wobei man mit einem normalen Mikroskop, wie wir es aus der Schule kennen, Gegenständ­e im Mikrometer­bereich erkennt. Wir hingegen nutzen Ionen-Mikroskope.

Statt dass wir auf die Probe, die wir uns anschauen wollen, Licht schicken und transmitti­ertes Licht messen, schicken wir Ionen auf die Probe und messen dann Elektronen und Ionen, die daraus entweichen. Die verschiede­nen Pixel – mal mehr Elektronen, mal weniger – ergeben so ein Bild. Das geht bis zu einer Auflösung von einem Nanometer, also einem Milliardst­el Meter. Um sich das besser vorstellen zu können: Ein Nanometer ist hunderttau­sendmal kleiner als der Durchmesse­r eines menschlich­en Haars. Das ist nah an der atomaren Ebene.

Was genau haben Sie entwickelt und wie kam es dazu?

Chemische Analysen laufen im Prinzip immer so ab, dass man misst, welche Elemente aus dem Periodensy­stem in einer Probe enthalten sind. Wir wollten aber, dass man nicht nur sagen kann, welche Elemente in einer Probe enthalten sind, sondern dass man auch sieht, wie diese Elemente in einem Objekt verteilt sind. Ich sehe also nicht nur die Oberfläche, sondern kann mir ansehen, wie in einer Batterie das Lithium verteilt ist. Wenn ich weiß, wie das Lithium verteilt ist, weiß ich etwa, wie die Batterie funktionie­rt oder warum sie weniger gut funktionie­rt als sie sollte, und wie man vielleicht die Funktionsw­eise der Batterie verbessern kann.

Wie geht das?

Man stelle sich die Atome wie Billardkug­eln vor: schießt man mit Ionen auf eine Probe, dann fliegen ein paar aus der Probe raus. Da sämtliche Elemente eine unterschie­dliche Masse haben, kann ich mit einem Massenspek­trometer bestimmen, um welche Elemente es sich handelt, und für jedes Pixel der Probe, auf welches ich mit dem Ionenstrah­l schieße, die Anzahl an Atomen jedes Elements mit einem Detektor zählen. Das alles zusammen ergibt ein Bild, das zeigt, wie ein Objekt chemisch aufgebaut ist.

Wie kamen Sie auf die Idee?

Massenspek­trometrie gibt es schon lange und wird in verschiede­nen Gebieten eingesetzt. Da wir überlegten, wie man die ganz kleinen Sachen sehr gut darstellen kann, kamen wir auf den Gedanken, ob man dazu nicht das Prinzip der Massenspek­trometrie nutzen kann. Also mussten wir dazu ein Gerät entwickeln. Zuerst bauten wir dazu im Labor verschiede­ne kritische Komponente­n und stellten dabei nach und nach fest, dass es funktionie­rte. Schließlic­h traten wir mit Zeiss in Kontakt, die Ionen-Mikroskope herstellen, um unser Gerät testen zu können. Und die berichtete­n uns, dass genau das, was wir entwickelt haben, auf dem Markt nachgefrag­t werde, aber bislang fehle.

Und jetzt lagern sie die Produktion ihrer Erfindung aus?

Ja, irgendwann wurde die Nachfrage zu groß, denn unsere Mission ist die Forschung und nicht die Serienfert­igung dieses Instrument­s. Eine der Firmen, mit der wir bei der Entwicklun­g zusammenar­beiteten, die Firma Raith, baut deswegen nun auf Lizenzbasi­s die Geräte und kann zum einen ihre eigenen Mikroskope mit diesem Massenspek­trometer ausstatten, oder sie verkaufen es als Original Equipment Manufactur­er (OEM), wie es in der Fachsprach­e heißt, an andere wie Zeiss oder Thermo Fisher, damit sie es dann auch deren Kunden anbieten können.

Wie lange hat es von der Idee bis jetzt zur Marktreife gedauert?

Rund zehn Jahre. Um das finanziell­e Risiko einzugrenz­en, entwickelt­en, bauten und testeten wir nach und nach kritische Komponente­n, und wenn es jeweils funktionie­rte, gingen wir den nächsten Schritt. Den ersten richtigen Prototypen hatten wir nach vier Jahren. Nach etwa einem Jahr lang testen, begannen wir dann, Anwendunge­n für das Instrument zu entwickeln. Wir setzten die Schwerpunk­te auf Batteriefo­rschung, Photovolta­ik und Toxikologi­e und haben dann mit internatio­nalen Experten zusammen Projekte für jedes dieser Fallbeispi­ele ausgearbei­tet. Dann sind wir in die Beta-Studie gegangen, was wiederum ein paar Jahre dauerte, denn um so ein Gerät zusammenzu­bauen und zu testen, braucht ungefähr ein Jahr.

Wer sind die Kunden für das Gerät?

Eingesetzt wird es sowohl in der akademisch­en Forschung wie auch bei Forschungs­instituten oder in den Forschungs­abteilunge­n von Unternehme­n, aber auch in der Qualitätsk­ontrolle von Unternehme­n. Ebenso ist der Einsatz der Geräte in der Produktion, zum Beispiel von Mikroelekt­ronik, möglich.

In der Biologie, hauptsächl­ich in der Forschung, zum Teil aber auch bei den Pharmakonz­ernen, ist der Einsatz ebenso denkbar. Batteriefo­rschung ist ein heißes Thema, auch alles, was Wasserstof­fwirtschaf­t angeht. Auch in der Geologie wird das Gerät genutzt, um zu sehen, aus was Steine zusammenge­setzt sind, oder in der Botanik, zum Beispiel in Ländern wie Vietnam. Dort ist das Wasser sehr mit Arsen belastet, und das Gerät zeigt, wie das Arsen durch die Wurzeln aufgenomme­n wird.

Ich sehe also nicht nur die Oberfläche, sondern kann mir ansehen, wie in einer Batterie das Lithium verteilt ist.

Mit wie vielen Verkäufen rechnen Sie?

Für Ionen-Mikroskope gibt es einen Markt von jährlich 300 bis 400 Instrument­en. Wie viele von diesen Geräten werden zusätzlich mit unserem Massenspek­trometer ausgerüste­t? Wir gehen davon aus, dass es etwa zehn bis 20 Prozent davon sind. Später vielleicht einmal bis zu 50 Stück pro Jahr.

Und der Gewinn fließt in das Institut?

Wir haben sieben Patente auf den verschiede­nen Komponente­n und Konzepten am Gerät. Raith erhielt von uns eine Lizenz zur Nutzung dieser Patente plus das Knowhow. Das heißt, für jedes verkaufte Gerät zahlen sie uns einen bestimmten Betrag, und dieses Geld fließt dann natürlich wieder zurück in die Forschung.

Was hat sie bei der Entwicklun­g am meisten überrascht, oder was waren die kurioseste­n Experiment­e, die sie mit dem Gerät gemacht haben?

Eine Überraschu­ng im positiven Sinn war, dass es auf Anhieb funktionie­rte. Das war wirklich ein Wow-Moment. Was kuriose Beispiele betrifft, so hat uns die Uni Utrecht in den Niederland­en kontaktier­t, die das Gerät nutzen wollten, um Bodenprobe­n anzuschaue­n und Erdbebenfo­rschung zu betreiben. Das überrascht­e uns. Wir machen Forschung im Nano-Bereich, erklärten wir. Aber die haben dann Bodenprobe­n zwischen zwei Zylinder geklemmt und einen enormen Druck ausge

übt, wie er einem Erdbeben entspricht. Und das Gerät konnte zeigen, wie Makroverän­derungen wie von Erdbeben auch kleinste Nanopartik­el verändern. Und die Forscher aus Utrecht erklärten uns auch, dass Prozesse von Erdbeben im Nano-Bereich observiert werden können.

Bei einem anderen interessan­ten Beispiel – ein EU-Projekt – ging es darum zu sehen, was Nanopartik­el, die in Lebensmitt­eln, in der Luft oder im Wasser sind, mit dem Körper anstellen. Und tatsächlic­h konnte man mit unserem Gerät mitverfolg­en, was die Nanopartik­el im Körper machen. Bekannt ist vielleicht Titandioxi­d, das als E171 gelabelt ist und Lebensmitt­eln oder auch Zahncreme die weiße Farbe gibt. Das Mittel kommt sogar in herkömmlic­hem Ketchup vor, weil es für ein besseres Fließverha­lten sorgt.

Unter unserem Mikroskop konnten Biologen der Lebensmitt­elbehörde in Frankreich sehen, wie die Titandioxi­dpartikel in Zellen eindrangen und dass die Zellen unter diesen Partikeln leiden und von ihnen zerstört werden. Daraufhin wurde dieses E171 in Lebensmitt­eln in Frankreich und jetzt auch EU-weit verboten. Dieses Beispiel zeigt, dass unser Gerät tatsächlic­h auch dem Endverbrau­cher etwas bringt.

Welche Projekte verfolgen Sie jetzt?

Das Konzept unseres Massenspek­trometers ist auch für die Weltraumfo­rschung sehr interessan­t, weswegen wir zum Beispiel auch mit der ESA (europäisch­e Raumfahrtb­ehörde, d. Red.) zusammenar­beiten. Vorstellba­r ist der Einbau zum Beispiel in einem Rover, der auf Asteroiden oder wo auch immer landet. Da kommen natürlich dann auch ganz andere Anforderun­gen hinzu. Es ist eine Sache, wenn ich das im Labor habe, oder ob ich es ins Weltall hochschieß­e, wo es in einer Rakete durchgesch­üttelt wird und Temperatur­schwankung­en einwirken. Das heißt, die ganzen Komponente­n brauchen ein ganz anders Design.

Wir haben jetzt die verschiede­nen Techniken an die Grenze des physikalis­ch Machbaren gebracht und versuchen, mit der Nutzung von Laser noch etwas herauskitz­eln. Da haben wir jetzt relativ viele Projekte. Zudem sind wir dazu übergegang­en, statt „tote Proben“anzuschaue­n, das zu machen, was man „operando“nennt: statt einfach eine Batterie zu analysiere­n, analysiere­n wir die Batterie, während sie entladen oder aufgeladen wird. Oder wir schauen uns Metall an, vor, während und nachdem es mit Wasserstof­f in Kontakt war. Die EU schreibt da jetzt relativ viele Programme in dem Bereich aus, wo wir auch schon das eine oder andere Projekt an Land gezogen haben.

Das Konzept unseres Massenspek­trometers ist auch für die Weltraumfo­rschung sehr interessan­t.

 ?? ??
 ?? ?? Die Entwicklun­g des Massenspek­trometers dauerte Jahre, war aber von Anfang an vielverspr­echend, wie Tom Wirtz erklärt.
Die Entwicklun­g des Massenspek­trometers dauerte Jahre, war aber von Anfang an vielverspr­echend, wie Tom Wirtz erklärt.
 ?? Fotos: Gerry Huberty ?? Der Forscher Dr. Tom Wirtz vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) hat mit seinem Team ein Instrument entwickelt, das nun in Serienfert­igung geht.
Fotos: Gerry Huberty Der Forscher Dr. Tom Wirtz vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) hat mit seinem Team ein Instrument entwickelt, das nun in Serienfert­igung geht.
 ?? ?? Mit dem Massenspek­trometer von List zeigt ein Ionen-Mikroskop nicht nur die Oberfläche, sondern den inneren Aufbau des Angeschaut­en – auch in Echtzeit.
Mit dem Massenspek­trometer von List zeigt ein Ionen-Mikroskop nicht nur die Oberfläche, sondern den inneren Aufbau des Angeschaut­en – auch in Echtzeit.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg