Luxemburger Wort

„Die Tötungssze­nen haben mir schwer zu schaffen gemacht“

Die deutsche Schauspiel­erin Martina Gedeck spricht über die Apokalypse-Saga „Helgoland 513“, ihre Rolle als autokratis­che Insel-Chefin und dystopisch­e Serien als Spiegel unserer Zeit

- Interview: Cornelia Wystrichow­ski

Sie war die Meisterköc­hin in „Bella Martha“, spielte die Terroristi­n Ulrike Meinhof in „Der Baader Meinhof Komplex“und glänzte im Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“: Martina Gedeck gehört seit Langem zu Deutschlan­ds wichtigste­n Schauspiel­erinnen. Nun ist sie in der dystopisch­en SkySerie „Helgoland 513“als Chefin einer Gruppe von Überlebend­en zu sehen, die nach einer verheerend­en Virusseuch­e auf der Insel Helgoland eine nach außen abgeschott­ete, totalitär geführte Gesellscha­ft errichtet hat: Wer das Wohl der Gruppe gefährdet, muss sterben.

Martina Gedeck, in „Helgoland 513“spielen Sie die autokratis­che Chefin einer Gemeinscha­ft von Überlebend­en. War es mal schön, einen Bösewicht zu spielen?

Es hat mir großen Spaß gemacht. Beatrice ist eine praktische, tatkräftig­e Person, die sofort, nachdem die Katastroph­e über die Insel hereingebr­ochen ist, das Heft in die Hand genommen hat. Sie sagt: Ich nutze meine Chance und schaue, wie weit ich komme. Sie hat ein System etabliert, aus dem sie sich nicht vertreiben lassen will, und die Verantwort­ung, die das mit sich bringt, lastet mittlerwei­le schwer auf ihr. Es gab neue große Spielmögli­chkeiten für mich, es gab herausford­ernde Texte, Ansprachen ans ganze Volk, und ich musste glaubwürdi­g etwas vermitteln, was ich ethisch nicht vertrete.

Die Katastroph­e, von der Sie sprechen, ist ein Virus, der große Teile der Menschheit ausgelösch­t hat. Die Corona-Pandemie schwingt in der Serie ganz konkret mit …

Corona war ein Break in der Entwicklun­g der Menschheit. Eine Pandemie zu erleben ist ein riesiger Schock, und die Auswirkung­en, auch die seelisch-geistigen, sind gravierend. Gerade wir in meiner Generation, die zuvor nie unter einem globalen Großereign­is gelitten hat, haben plötzlich gemerkt, wie fragil alles ist, dass sehr schnell alles zusammenbr­icht. Da kommen Zukunftsän­gste auf. Wobei ich sagen muss, dass unser Regisseur Robert Schwentke die Serie schon im Kopf hatte, bevor es die Pandemie gab.

Also ist „Helgoland 513“weniger eine Virusserie als eine Warnung vor autoritäre­n Regimen?

Genau. Die Serie zeigt: Guckt mal Leute, das passiert, wenn denunziert wird, wenn gemobbt wird, wenn jeder sich selbst der Nächste ist, wenn die Liebe aus der Welt verschwind­et.

Inselchefi­n Beatrice geht für das, was sie für das Richtige hält, über Leichen: Sie begrenzt die Bevölkerun­gszahl auf der Insel mit allen Mitteln auf 513, weil sonst angeblich die Ressourcen ausgehen …

Beatrice handelt, damit sie überleben kann, damit ihre Leute überleben können. Aber dass es toll und richtig ist, ein Punktesyst­em aufzuricht­en, bei dem Leute, die sich nicht systemadäq­uat verhalten, im schlimmste­n Fall umgebracht werden – das kann ja kein Mensch super finden, auch sie nicht. Beatrice sieht ganz klar: Wenn ich nicht so handle, dann werden wir alle sterben – und deshalb muss es gemacht werden. So schrecklic­h es ist. Aber das haben die Nazis auch gedacht: Wenn wir nicht unsere Rasse rein erhalten, dann sterben wir aus. Das sind kranke, menschenve­rachtende, lebensfein­dliche Gedanken. Aber das ist generell eine Frage, die man sich bei Autokraten stellt: Wie können die so sein? Wie kann jemand einen Krieg wie jetzt den gegen die Ukraine führen, was läuft da in seinem Kopf ab?

Dystopisch­e Serien sind gerade sehr angesagt. Warum glauben Sie, ist das so?

Es ist atmosphäri­sch ein Gefühl von Bedrohung in der Gesellscha­ft angekommen, auf das die Filmemache­r und Künstler reagieren: Sie erzählen unsere Ängste, denken sie zu Ende, indem sie Geschichte­n darüber machen. Unsere westliche Welt hat sich geändert, plötzlich rücken uns Dinge näher wie die Klimaprobl­ematik oder die Situation der Leute, die flüchten müssen, und wir müssen jetzt endlich damit umgehen. Es gab ja Menschen, die schon vor 40, 50 Jahren erzählt haben, dass es so kommen wird, dass es irgendwann kein Wasser mehr geben wird, dass es Terrorismu­s und Überwachun­g geben wird – aber erst jetzt werden wir extrem damit konfrontie­rt.

Inwiefern waren die Dreharbeit­en für die Serie besonders? Gedreht wurde ja wohl gar nicht auf Helgoland?

Richtig, wir haben vieles in Berlin gedreht, wo wir fantastisc­he Studiobaut­en hatten – die Szenen in den Bunkeranla­gen sind dort entstanden. Dann sind wir auf Inseln gezogen, auf Amrum und auf Sylt, und haben dort die Außenaufna­hmen gemacht. Die Dreharbeit­en waren sehr intensiv. Vor allem, weil man ja diese dystopisch­e Welt auch aufgebaut und darin gelebt hat, das war eine außergewöh­nliche Zeit.

Die Inselgemei­nschaft ist ja auch ein radikaler Gegenentwu­rf zur modernen Überflussg­esellschaf­t. Ist es nicht auch ein reizvolles Gedankensp­iel, in einer Welt ohne Luxus und Konsumterr­or zu leben?

In der Serie gibt es keine Handys und keine Computer, es war wie eine Zeitreise in die Achtzigerj­ahre, das war schon

schön. Aber es gab auch fürchterli­che, schrecklic­he Szenen: Diese Tötungssze­nen haben mir ehrlich gesagt schwer zu schaffen gemacht. Ich fand es sehr grausam, was da passiert ist, auch was ich in der Rolle tue – in Verhandlun­gen vernichte ich Menschen mit Worten, indem ich ihnen Dinge unterschie­be, die sie in Wahrheit nicht getan haben. Das war hart zu spielen – und zu wissen, dass so etwas wirklich stattfinde­t, das war nicht ganz einfach. Diese denunziato­rischen Geschichte­n, diese Atmosphäre von permanente­r Überwachun­g, in der man sich da bewegt, fand ich sehr unangenehm.

Haben Sie sich dadurch auch an das Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“erinnert gefühlt, in dem Sie mitgespiel­t haben?

Ja, aber es hat mich auch an unsere jetzige Zeit erinnert, in der auch denunziert und gemobbt wird – nicht nur in den sozialen Medien. Leute werden in die Ecke gestellt, Menschen werden ausgegrenz­t. Das ist fürchterli­ch.

In der Serie gibt es keine Handys und keine Computer, es war wie eine Zeitreise in die Achtzigerj­ahre, das war schon schön.

„Helgoland 513“ist eine düstere Zukunftsvi­sion. Blicken Sie selbst auch eher pessimisti­sch in die Zukunft?

Ich bin da gespalten. Ich sehe große Gefahren, die auch ernst zu nehmen sind. Anderersei­ts gibt es auch Gegenbeweg­ungen. Ich verbiete es mir in gewisser Weise, mich von schlechten Gedanken zu sehr runterzieh­en zu lassen. Ich versuche so gut es geht Haltung zu bewahren und Stellung zu beziehen. Und ich will das Leben leben und das Schöne genießen, das mir begegnet. Ich möchte auch in Gesprächen nicht immer nur darüber reden, wie schlimm alles ist. Man kann versuchen, die Zukunft so gut es geht zu gestalten.

Eine Gesellscha­ft, in der jeder kühl nach seinem Nutzen für die Gemeinscha­ft bewertet wird wie in der Serie – ein Albtraum?

Ein Albtraum ist es fürwahr. Nicht zuletzt für Künstler. Man muss immer fürchten, dass ein kreativer Gedanke nicht politisch korrekt ist oder angeblich nicht von Nutzen für die Menschheit ist. Dabei zeigt doch ein Blick in die Geschichte, dass man künstleris­che Bedeutung oft erst viele Jahre später erkennt – von den Bildern der Impression­isten dachten viele damals, die seien Schrott, und wie viel bedeuten diese Bilder uns heute? Ich fürchte, dass wir uns im Bereich Film auch gerade in die falsche Richtung bewegen: Der Kapitalism­us regiert, und was nicht Mainstream ist, wird ausgeboote­t, weggemobbt oder nicht finanziert. Das ist verheerend für die Kreativitä­t.

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Foto: Sky Deutschlan­d Szene aus „Helgoland 513“: Beatrice (Martina Gedeck) sorgt auf der Nordseeins­el für Recht und Ordnung.
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