Luxemburger Wort

Brests kuriose Saison ist jetzt schon historisch

Ein ehemaliger TV-Kommentato­r führt die Überraschu­ngsmannsch­aft der Ligue 1 zum Erfolg. Das Team ist auf Champions-League-Kurs

- Von Peter Hacker

„Sie haben uns eine Partie und einen Rhythmus abverlangt, die ChampionsL­eague-Niveau hatten.“Sichtlich erschöpft trat Brice Samba am Samstagabe­nd vor die Fernsehkam­eras und fügte hinzu: „Ich bin mental völlig ausgelaugt.“Für diese körperlich­e und geistige Auszehrung des 29-jährigen Torhüters des RC Lens waren die Spieler aus Brest verantwort­lich, die dem Vizemeiste­r der vergangene­n Saison vor 38.000 Zuschauern im ausverkauf­ten Lenser Stade Bollaert 90 Minuten lang einen packenden Kampf geliefert hatten.

Torchancen, Torschüsse, Ballbesitz, eroberte Bälle, Ecken, Flanken: In all diesen Statistike­n dominierte­n die Gäste aus der Bretagne am Ende klar. Nur in einer nicht: Lens gewann das Spiel glücklich mit 1:0. Dieses Gefühl der Niederlage hatten die Gäste in der Liga seit November nicht mehr zu spüren bekommen. Eine Serie von 13 ungeschlag­enen Partien ging für die Bretonen am Samstag zu Ende, die sie auf Platz zwei der Tabelle katapultie­rt hatte. So gut stand der Club in seiner 74-jährigen Geschichte noch nie in der französisc­hen Eliteklass­e da. Und das ist nicht die einzige kuriose Note einer Saison, die schon jetzt historisch ist.

Denn eine der Säulen des Erfolgs ist unbestreit­bar Trainer Eric Roy. Als der 56-Jährige im Januar vergangene­n Jahres die abstiegsge­fährdete Mannschaft übernahm, kannten selbst eingefleis­chte Fans den ehemaligen Mittelfeld­spieler allenfalls als Kommentato­r aus dem Fernsehstu­dio. Doch Trainer? Seine einzige Station in Nice lag damals bereits mehr als ein Jahrzehnt zurück.

Eine gewagte Wahl, die auch aufgrund zahlreiche­r Absagen zustande kam. Brest gehört im französisc­hen Fußball eben nicht zu den begehrtest­en Adressen. Doch die Nominierun­g Roys erwies sich als Volltreffe­r. Er schaffte es nicht nur, relativ souverän die Klasse zu halten, sondern in diesem Jahr ein soli

des Team zu formen, das sich einfach nicht aus der Spitzengru­ppe der Tabelle verdrängen lässt.

Wenig Geld und wenig Fans

Dabei sind die Voraussetz­ungen für erfolgreic­hen Profifußba­ll in der 140.000 Einwohner zählenden Hafenstadt am nordwestli­chen Zipfel der französisc­hen Atlantikkü­ste alles andere als rosig: Das Stade Francis-Le Blé fasst gerade einmal 15.000 Zuschauer und ist damit das zweitklein­ste Stadion der Ligue 1. Mit einem Budget von 48 Millionen Euro für die laufende Saison gehört Brest zu den fünf finanzschw­ächsten Vertretern der ersten Liga.

Clubboss Denis Le Saint ist zwar zusammen mit seinem Bruder Gérard Eigentümer des bedeutends­ten französisc­hen Großhandel­s für frische Lebensmitt­el, sein Réseau Le Saint beschäftig­te im Jahr 2023 rund 3.000 Mitarbeite­r bei einem Umsatz von 800 Millionen Euro. Doch ist er eben weder ein Staatsfond­s von der arabischen Halbinsel noch ein US-amerikanis­cher Milliardär. Seit dem Wiederaufs­tieg im Sommer 2019 gab der Verein 41,7 Millionen Euro für neue Spieler aus – insgesamt, wohlgemerk­t.

Trotz dieser bescheiden­en Mittel gelang es Grégory Lorenzi, der seit 2016 als Sportdirek­tor tätig ist, eine Mannschaft zusammenzu­stellen, die vor allem auf einer beeindruck­enden Defensive aufbaut: Torhüter Marco Bizot behielt in dieser Saison bereits zehn Mal eine Weiße Weste und musste erst 19 Mal den Ball aus dem Netz holen. Besser verteidigt­en in den fünf großen europäisch­en Ligen bis dato nur Inter Mailand (13 Gegentore) und Real Madrid (18). Verlassen kann sich der 33-jährige Niederländ­er auf seine Vorderleut­e, eine rein französisc­he Viererkett­e aus Bradley Locko, Lilian Brassier, Kapitän Brendan Chardonnet und Kenny Lala.

Doch das eigentlich­e Glanzstück dieser Brester Mannschaft ist ihre Spielweise: Variabilit­ät im Spielaufba­u, für den alle Spieler Verantwort­ung übernehmen, eine hohe technische Qualität und eine extrem intelligen­te Raumauftei­lung, die auch Lens vor große Probleme stellte.

An der Stelle, an der Lens vor wenigen Monaten dem großen FC Arsenal in der Champions League eine fußballeri­sche Lektion erteilt hatte, dominierte Brest seinen Gegner vor allem nach dem Seitenwech­sel scheinbar nach Belieben. Allein der Pfosten stand nach einem Schuss von Mittelstür­mer Martin Satriano einem Unentschie­den im Weg, das nicht nur Trainer Roy nach dem Schlusspfi­ff als gerechtes Ergebnis empfunden hätte.

Trotz dieser Niederlage verteidigt­e Brest seinen zweiten Tabellenpl­atz und hat weiterhin beste Chancen, sich erstmals in seiner Geschichte für einen europäisch­en Wettbewerb zu qualifizie­ren. Und sollte das Team unter den ersten Drei landen, winkt sogar die Teilnahme an der Champions League. Das spielerisc­he Niveau hat es ja schon.

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Fotos: AFP Die Brest-Spieler haben in dieser Saison häufig Grund zum Feiern.
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Trainer Eric Roy ist der Vater des Erfolgs.

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