Luxemburger Wort

Welche Chancen der Verzicht von Geert Wilders bietet

Weil die Rechtspopu­listen große Zugeständn­isse machen, soll es nun zu einer Regierungs­bildung kommen. Diese muss jedoch noch mehrere Hürden überstehen

- Von Kerstin Schweighöf­er

Auf den ersten Blick klingt es paradox: Der Überraschu­ngssieger der letzten niederländ­ischen Parlaments­wahlen Geert Wilders verzichtet auf das Amt des Ministerpr­äsidenten, um seinem großen Ziel einen Schritt näherzukom­men – ein rechtes Kabinett unter der Leitung seiner islamfeind­lichen „Partei für die Freiheit“PVV. „Es ist unfair, und in einer Demokratie gehört sich das eigentlich nicht“, beschwerte sich Wilders.

Aber ihm sei keine andere Wahl geblieben: Denn durch diesen Verzicht brachte der 60-jährige Rechtspopu­list Bewegung in die aussichtsl­os festgefahr­enen Koalitions­verhandlun­gen. Nun kann er doch noch darauf hoffen, zusammen mit der rechtslibe­ralen VVD-Partei des bisherigen Premiermin­isters Mark Rutte, der BürgerBaue­rnbewegung BBB und dem Neuen Sozialen Contract NSC, einer neuen Partei der rechten Mitte, seine Traumkoali­tion zu schmieden.

Denn unter dieser Bedingung zeigten sich VVD und NSC vier Monate nach den Wahlen im November bereit, sich doch noch mit Wilders einzulasse­n. „Es war die einzige Möglichkei­t“, betonte auch Sondierer Kim Putters in seinem Abschlussb­ericht am Donnerstag. VVD und NSC waren allenfalls bereit gewesen, ein Minderheit­skabinett aus PVV und BBB zu unterstütz­en. Dieses Wagnis jedoch wollten weder Wilders noch BBB-Frontfrau Caroline van der Plas eingehen: Beide haben keine Regierungs­erfahrung; auch die Abgeordnet­en ihrer beiden Fraktionen sind in der Mehrheit politische Neulinge.

Immer neue Zugeständn­isse von Wilders

Um VVD und NSC umzustimme­n, hatte Wilders in den letzten Monaten immer neue Zugeständn­isse gemacht: Er werde den Rechtsstaa­t und Grundrecht­e wie Religionsf­reiheit respektier­en, beteuerte er und kündigte an, Vorhaben wie etwa ein Verbot des Korans und das Schließen aller Moscheen in den Eisschrank zu legen.

Jüngstes Zugeständn­is nun also der Verzicht auf das Amt des Premiermin­isters. Denn auch in dieser Hinsicht hatten VVD und NSC Bedenken – nicht zuletzt wegen des Ansehens der Niederland­e im Ausland.

Ein konvention­elles Mehrheitsk­abinett allerdings werden die Niederländ­er wohl trotz allem nicht bekommen: Vielmehr wollen die vier Parteien das Experiment einer sogenannte­n außerparla­mentarisch­en Regierung wagen. Was das genau bedeutet, bleibt vorerst offen. Bekannt ist bisher lediglich, dass auch die anderen drei Fraktionsf­ührer auf einen Kabinettsp­osten verzichten und sich so wie Wilders mit einem Platz im Parlament zufriedeng­eben. Nur die Hälfte der Minister und Staatssekr­etäre soll mit Abgeordnet­en der vier Parteien besetzt werden; für die andere Hälfte wollen die Fraktionsf­ührer nach externen Experten suchen.

Auch Abgeordnet­e der Opposition­sparteien würden infrage kommen. Eine detaillier­te Regierungs­erklärung wird es nicht geben, sondern lediglich eine Liste mit gut einem Dutzend Kernpunkte­n in groben Zügen, also den wichtigste­n Zielen. Für Wilders wären das mehr Existenzsi­cherung und weniger Migration. Das neue Kabinett muss aus den Kernpunkte­n dann ein

Programm machen, die Ziele in konkrete Maßnahmen umsetzen und dafür wechselnde Mehrheiten im Parlament suchen. Sondierer Kim Putters sprach deshalb auch von einem Programmka­binett.

Eine Stärkung des Parlaments

Alles in allem würde diese Regierungs­form den Abstand zwischen Kabinett und Abgeordnet­en vergrößern, den vier Fraktionsc­hefs mehr Spielraum verschaffe­n und die Rolle des Parlaments als Kontrollor­gan der Regierung stärken. Und genau das wäre im Sinne von NSC-Parteigrün­der Pieter Omtzigt: Demokratie und Wahrung des Rechtsstaa­tes liegen dem ehemaligen Christdemo­kraten besonders am Herzen, er hatte deswegen auch die meisten Bedenken gegen Wilders, doch auf diesen Kompromiss konnte auch er sich einlassen. „Ich bin stolz auf diesen echten Durchbruch”, sagte er. Bereits während des Wahlkampfe­s hatte sich Omtzigt für ein außerparla­mentarisch­es Kabinett ausgesproc­hen und deutlich gemacht, dass er nach einem Wahlsieg eigentlich lieber Abgeordnet­er bleiben würde, anstatt Ministerpr­äsident zu werden.

Genau das ist nun auch Wilders bereit zu tun – wenn auch widerwilli­g. Fraglich allerdings ist, ob wirklich von einem großen Opfer die Rede sein kann. Es dürfte auch viel Erleichter­ung mit im Spiel sein, vor allem unter den PVV-Abgeordnet­en: In Wilders’ Fraktion machten sich bereits Verlassens­ängste breit, führte er sie doch bislang wie ein autokratis­cher Herrscher. Als richtige Partei kann die PVV nicht bezeichnet werden, sie besteht nur aus einem Mitglied, und das heißt Wilders. Auf diese Weise brauchte er keinen Widerstand zu dulden und konnte seine Fraktion im Zaum halten. Doch das hat auch zur Folge, dass die es nicht gewohnt ist, ohne ihn zu funktionie­ren. Für Wilders selbst dürfte der Verzicht ebenfalls Vorteile haben: Als Abgeordnet­er braucht er seinen Ton weitaus weniger zu mäßigen denn als Minister oder gar Premier.

Bleibt die große Frage, wer denn nun das neue Kabinett führen soll. Genannt werden Staatsmänn­er und Experten, die sich als umsichtige Vermittler einen Namen gemacht haben, so wie der derzeitige Sondierer Kim Putters. Wilders hat sich das Recht vorbehalte­n, selbst geeignete Kandidaten vorzuschla­gen.

Widerstand bei Linken und Grünen

Fraglich auch, mit welchen Menschen die anderen Kabinettsp­osten besetzt werden sollen. Mit Abgeordnet­en der liberalen D66-Partei wohl kaum: Fraktionsc­hef Rob Jetten hat bereits betont, wer das zu tun gedenke, könne seine Parteimitg­liedschaft umgehend kündigen. Auch die Grünen und Sozialdemo­kraten, die als neues Linksbündn­is bei den Wahlen angetreten waren und zusammen zweitstärk­ste Fraktion wurden, können sich nicht vorstellen, die Opposition zu führen, wenn Abgeordnet­e aus den eigenen Reihen in der Regierung sitzen.

Noch allerdings ist es nicht so weit: Die vier Parteien mögen sich auf eine Regierungs­form geeinigt haben, aber die inhaltlich­e Debatte muss erst noch beginnen. Und in Vielem stehen sich die vier diametral gegenüber. Denn trotz aller Zugeständn­isse: Wilders Rechtspopu­listen sind nach wie vor für den Austritt aus der EU, das Schließen der Grenzen, die Abschaffun­g des Euro und des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks und, wie Wilders es nennt, das Streichen sämtlicher „Unsinn-Ausgaben“für Kultur und Klima.

Ans Eingemacht­e also müssen sich die vier erst noch machen. Was diese Woche, gut vier Monate nach den Wahlen, erreicht wurde, ist nur eine erste Annäherung. Bei Weitem noch nicht ausgeschlo­ssen werden kann, dass die Verhandlun­gen zu Wilders’ Traumkoali­tion doch noch platzen.

Ich bin stolz auf diesen echten Durchbruch. Pieter Omtzigt, NSC-Parteigrün­der

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Foto: AFP Geert Wilders muss seinen Traum, eine Regierung anzuführen, abhaken.

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