Welche Chancen der Verzicht von Geert Wilders bietet
Weil die Rechtspopulisten große Zugeständnisse machen, soll es nun zu einer Regierungsbildung kommen. Diese muss jedoch noch mehrere Hürden überstehen
Auf den ersten Blick klingt es paradox: Der Überraschungssieger der letzten niederländischen Parlamentswahlen Geert Wilders verzichtet auf das Amt des Ministerpräsidenten, um seinem großen Ziel einen Schritt näherzukommen – ein rechtes Kabinett unter der Leitung seiner islamfeindlichen „Partei für die Freiheit“PVV. „Es ist unfair, und in einer Demokratie gehört sich das eigentlich nicht“, beschwerte sich Wilders.
Aber ihm sei keine andere Wahl geblieben: Denn durch diesen Verzicht brachte der 60-jährige Rechtspopulist Bewegung in die aussichtslos festgefahrenen Koalitionsverhandlungen. Nun kann er doch noch darauf hoffen, zusammen mit der rechtsliberalen VVD-Partei des bisherigen Premierministers Mark Rutte, der BürgerBauernbewegung BBB und dem Neuen Sozialen Contract NSC, einer neuen Partei der rechten Mitte, seine Traumkoalition zu schmieden.
Denn unter dieser Bedingung zeigten sich VVD und NSC vier Monate nach den Wahlen im November bereit, sich doch noch mit Wilders einzulassen. „Es war die einzige Möglichkeit“, betonte auch Sondierer Kim Putters in seinem Abschlussbericht am Donnerstag. VVD und NSC waren allenfalls bereit gewesen, ein Minderheitskabinett aus PVV und BBB zu unterstützen. Dieses Wagnis jedoch wollten weder Wilders noch BBB-Frontfrau Caroline van der Plas eingehen: Beide haben keine Regierungserfahrung; auch die Abgeordneten ihrer beiden Fraktionen sind in der Mehrheit politische Neulinge.
Immer neue Zugeständnisse von Wilders
Um VVD und NSC umzustimmen, hatte Wilders in den letzten Monaten immer neue Zugeständnisse gemacht: Er werde den Rechtsstaat und Grundrechte wie Religionsfreiheit respektieren, beteuerte er und kündigte an, Vorhaben wie etwa ein Verbot des Korans und das Schließen aller Moscheen in den Eisschrank zu legen.
Jüngstes Zugeständnis nun also der Verzicht auf das Amt des Premierministers. Denn auch in dieser Hinsicht hatten VVD und NSC Bedenken – nicht zuletzt wegen des Ansehens der Niederlande im Ausland.
Ein konventionelles Mehrheitskabinett allerdings werden die Niederländer wohl trotz allem nicht bekommen: Vielmehr wollen die vier Parteien das Experiment einer sogenannten außerparlamentarischen Regierung wagen. Was das genau bedeutet, bleibt vorerst offen. Bekannt ist bisher lediglich, dass auch die anderen drei Fraktionsführer auf einen Kabinettsposten verzichten und sich so wie Wilders mit einem Platz im Parlament zufriedengeben. Nur die Hälfte der Minister und Staatssekretäre soll mit Abgeordneten der vier Parteien besetzt werden; für die andere Hälfte wollen die Fraktionsführer nach externen Experten suchen.
Auch Abgeordnete der Oppositionsparteien würden infrage kommen. Eine detaillierte Regierungserklärung wird es nicht geben, sondern lediglich eine Liste mit gut einem Dutzend Kernpunkten in groben Zügen, also den wichtigsten Zielen. Für Wilders wären das mehr Existenzsicherung und weniger Migration. Das neue Kabinett muss aus den Kernpunkten dann ein
Programm machen, die Ziele in konkrete Maßnahmen umsetzen und dafür wechselnde Mehrheiten im Parlament suchen. Sondierer Kim Putters sprach deshalb auch von einem Programmkabinett.
Eine Stärkung des Parlaments
Alles in allem würde diese Regierungsform den Abstand zwischen Kabinett und Abgeordneten vergrößern, den vier Fraktionschefs mehr Spielraum verschaffen und die Rolle des Parlaments als Kontrollorgan der Regierung stärken. Und genau das wäre im Sinne von NSC-Parteigründer Pieter Omtzigt: Demokratie und Wahrung des Rechtsstaates liegen dem ehemaligen Christdemokraten besonders am Herzen, er hatte deswegen auch die meisten Bedenken gegen Wilders, doch auf diesen Kompromiss konnte auch er sich einlassen. „Ich bin stolz auf diesen echten Durchbruch”, sagte er. Bereits während des Wahlkampfes hatte sich Omtzigt für ein außerparlamentarisches Kabinett ausgesprochen und deutlich gemacht, dass er nach einem Wahlsieg eigentlich lieber Abgeordneter bleiben würde, anstatt Ministerpräsident zu werden.
Genau das ist nun auch Wilders bereit zu tun – wenn auch widerwillig. Fraglich allerdings ist, ob wirklich von einem großen Opfer die Rede sein kann. Es dürfte auch viel Erleichterung mit im Spiel sein, vor allem unter den PVV-Abgeordneten: In Wilders’ Fraktion machten sich bereits Verlassensängste breit, führte er sie doch bislang wie ein autokratischer Herrscher. Als richtige Partei kann die PVV nicht bezeichnet werden, sie besteht nur aus einem Mitglied, und das heißt Wilders. Auf diese Weise brauchte er keinen Widerstand zu dulden und konnte seine Fraktion im Zaum halten. Doch das hat auch zur Folge, dass die es nicht gewohnt ist, ohne ihn zu funktionieren. Für Wilders selbst dürfte der Verzicht ebenfalls Vorteile haben: Als Abgeordneter braucht er seinen Ton weitaus weniger zu mäßigen denn als Minister oder gar Premier.
Bleibt die große Frage, wer denn nun das neue Kabinett führen soll. Genannt werden Staatsmänner und Experten, die sich als umsichtige Vermittler einen Namen gemacht haben, so wie der derzeitige Sondierer Kim Putters. Wilders hat sich das Recht vorbehalten, selbst geeignete Kandidaten vorzuschlagen.
Widerstand bei Linken und Grünen
Fraglich auch, mit welchen Menschen die anderen Kabinettsposten besetzt werden sollen. Mit Abgeordneten der liberalen D66-Partei wohl kaum: Fraktionschef Rob Jetten hat bereits betont, wer das zu tun gedenke, könne seine Parteimitgliedschaft umgehend kündigen. Auch die Grünen und Sozialdemokraten, die als neues Linksbündnis bei den Wahlen angetreten waren und zusammen zweitstärkste Fraktion wurden, können sich nicht vorstellen, die Opposition zu führen, wenn Abgeordnete aus den eigenen Reihen in der Regierung sitzen.
Noch allerdings ist es nicht so weit: Die vier Parteien mögen sich auf eine Regierungsform geeinigt haben, aber die inhaltliche Debatte muss erst noch beginnen. Und in Vielem stehen sich die vier diametral gegenüber. Denn trotz aller Zugeständnisse: Wilders Rechtspopulisten sind nach wie vor für den Austritt aus der EU, das Schließen der Grenzen, die Abschaffung des Euro und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und, wie Wilders es nennt, das Streichen sämtlicher „Unsinn-Ausgaben“für Kultur und Klima.
Ans Eingemachte also müssen sich die vier erst noch machen. Was diese Woche, gut vier Monate nach den Wahlen, erreicht wurde, ist nur eine erste Annäherung. Bei Weitem noch nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Verhandlungen zu Wilders’ Traumkoalition doch noch platzen.
Ich bin stolz auf diesen echten Durchbruch. Pieter Omtzigt, NSC-Parteigründer