„Ihr seid unter Kontrolle, ihr habt dem Staat zu gehorchen“
Am ersten Tag der russischen Präsidentschaftswahlen drängten die Russen vielerorts in Rekordzahlen zu den Wahlurnen – wohl nicht ganz freiwillig
Ein untersetzter alter Mann verlässt die Schule Nr. 875 im Südwesten Moskaus. Ja, er sei wählen gewesen, sagt er. „Kein Mensch ist da.“Er bittet darum, ihn zu fotografieren, unter dem Plakat mit der Aufschrift „Wahlen des russischen Präsidenten. Wahllokal Nr. 2833, 2837.“Für wen er gestimmt hat? „Für unseren Präsidenten“, antwortet er, „natürlich!“
Gestern begannen in Russland die dreitägigen Präsidentschaftswahlen. Im Gegensatz zum Moskauer Schulhof Nr. 857 herrschte vor anderen russischen Wahllokalen, aber auch online starker Andrang.
In Gesamtrussland, das wegen der Zeitverschiebung zum Großteil später wählte, hatten um 17 Uhr Moskauer Zeit erstaunliche 24,8 Prozent der gut 112 Millionen Wahlberechtigten abgestimmt.
Und während bis 15 Uhr in Moskau nur 5,1 Prozent der Stimmberechtigten die Wahllokale aufgesucht hatten, stimmten laut den Wahlbehörden schon 25,4 Prozent online ab. In den übrigen 28 Regionen, wo digital gewählt werden kann, sollen bis 17 Uhr gar 58 Prozent der knapp 4,8 Millionen Wähler, die sich für die elektronische Abstimmung angemeldet hatten, virtuell ihr Kreuzchen gemacht haben.
„Ihr habt zu gehorchen“
Vielerorts warteten die Wähler unter freiem Himmel auf die Öffnung der Wahllokale um 8 Uhr morgens. Und in Moskau soll der Andrang der digitalen Wähler am Morgen so heftig gewesen sein, dass das Abstimmungsportal wegen Überlastung abstürzte.
Dieses Mal erklärt sich der Eifer der Frühaufsteher nach Ansicht vieler Beobachter durch die TV-Propaganda, aber vor allem direkte Anweisungen der Obrigkeit. Die Staatsmacht will die 60 Millionen öffentlichen Angestellten und Rentner mobilisieren, aber auch die Arbeiter von Betrieben, die sich aus dem Staatshaushalt finanzieren. Ein Mitarbeiter der Muromsker Instrumentenfabrik schickte dem Portal Waschnije Istorii das Audio einer Rede seines Generaldirektors. Der rief die Belegschaft auf, am 15. oder 16. März wählen zu gehen – und zwar Wladimir Putin. „Ich weiß, was viele von euch vom Hauptkandidaten halten, aber haltet still, wenn er euch nicht passt. Putin, das sind unsere Aufträge und eure Löhne.“
Laut Alexander Issawnin, einem unabhängigen Beobachter der elektronischen Abstimmung, nutzen die Behörden auch das Internet, um die Bürger zur Wahl zu zwingen. Aber heute befehlen sie allen Mitarbeitern des Staatssektors zu wählen. Und morgen überprüfen sie über das staatliche Dienstleistungsportal Gosuslugi, wer auch wirklich abgestimmt hat.“„Aber es dressiert die Bürger auch: Ihr seid unter Kontrolle, ihr habt dem Staat zu gehorchen.“
Das elektronische Wahlsystem sei ein schwarzes, unkontrollierbares Loch, die Wahlbehörden könnten jedes gewünschte Ergebnis eingeben. Alexander Issawnin, Unabhängiger Beobachter der elektronischen Abstimmung