Wem der Nutri-Score wirklich nutzt
Die bekannte Ampelbewertung für Lebensmittel soll Verbrauchern bei ihrem Einkauf helfen. Doch sie hält nicht ein, was sie verspricht
Der Nutri-Score ist ein Bewertungssystem von Lebensmitteln, das Verbrauchern beim Einkauf helfen soll, die richtigen Entscheidungen für eine gesündere und ausgewogenere Ernährung zu treffen.
Bei kritischer Betrachtung drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass dieses System vor allem für industriell hochverarbeitete Lebensmittel entwickelt wurde und handwerklich hergestellte, natürlichere Produkte benachteiligt werden. Das Bewusstsein für nachhaltig erzeugte, regionale Lebensmittel wird dadurch nicht gestärkt – im Gegenteil.
Warum ein Nutri-Score A noch keine ausgewogene Grill-Party bedeutet
Nehmen wir einmal an, ein Konsument möchte den heutigen Trends folgen und eine „ernährungsbewusste“Grillparty veranstalten. Als Orientierungshilfe für die Auswahl seiner Lebensmittel beim Einkauf wählt er den Nutri-Score, den er aufgrund der einfachen Farbskala, von rot (E) bis grün (A), für leicht verständlich hält. Für das Grillfleisch entscheidet er sich für bereits fertig verpackte Fleischund Wurstportionen (mit Nutri-Score C) eines großen internationalen Konzerns aus dem Fleischregal eines Supermarktes, da die nicht vorverpackte Ware, die er an der Theke des lokalen Metzgers bekommen könnte, keinen Nutri-Score hat. rücksichtigt werden. Unser Konsument ist mit der Auswahl seiner Lebensmittel fest davon überzeugt, eine ausgewogene Grillparty veranstalten zu können und wird deshalb in Zukunft vermehrt die gleichen Lebensmittel kaufen. Dabei ist ihm nicht bewusst, dass ein regelmäßiger und intensiver Verzehr der gleichen Lebensmittel, auch wenn sie einen grünen Nutri-Score haben, keineswegs eine gesunde und ausgewogene Ernährung darstellt.
Ein Bewertungssystem mit großen Schwächen
Das oben beschriebene Beispiel ist natürlich plakativ dargestellt, um die Schwachstellen der Nutri-Score-Kennzeichnung von Lebensmitteln aufzuzeigen. Eine Neufassung der Nutzungsbedingungen, die am 5. März in Kraft getreten ist, soll einige Schwächen der alten Berechnungsgrundlage beheben und die Möglichkeit eröffnen, auch nicht vorverpackte Lebensmittel mit dem Nutri-Score zu kennzeichnen. Das allerdings nur im Rahmen von Pilotprojekten, die vom Minister gesondert genehmigt werden müssen.
Doch auch in dieser Neufassung werden der Verarbeitungsgrad der Lebensmittel sowie die Menge und Art der verwendeten Zusatz- und Ersatzstoffe (mit Ausnahme von Süßstoffen in Getränken) bei der Einstufung nicht berücksichtigt.
Wenn sich ein Unternehmen für das Nutri-Score-System entscheidet, ist es außerdem verpflichtet, das Nutri-Score-Logo auf allen Produkten anzuwenden, die es unter einer Marke in Verkehr bringt, bzw. auf allen nicht vorverpackten Lebensmitteln, die es in dem betreffenden Betrieb in Verkehr bringt. Ob sich kleine und mittlere Handwerksbetriebe, die oft ihr gesamtes Produktportfolio unter einer Marke anbieten, den Nutri-Score überhaupt leisten können oder wollen, ist aufgrund der Investitionen u. a. für die Lebensmittelanalysen und aufgrund des zusätzlichen administrativen Aufwands mehr als zweifelhaft.
Bei kritischer Betrachtung des NutriScore-Systems drängt sich daher der Verdacht auf, dass dieses System vor allem für industriell hochverarbeitete Lebensmittel entwickelt wurde und handwerklich hergestellte, natürlichere Produkte benachteiligt werden. So warnt die Ampelbewertung zwar vor „Zucker- und Fettbomben“, nicht aber vor Zusatz- und Ersatzstoffen (außer bei Getränken).
Der Nutri-Score ist kein Nachhaltigkeitslabel und erhebt auch nicht den Anspruch, ein solches zu sein. Es stellt sich jedoch die berechtigte Frage, ob ein Label, das nicht auf die Frage eingeht, wie natürlich oder künstlich die Inhaltsstoffe eines Produktes sind, dem heutigen Wunsch nach nachhaltig produzierten Lebensmitteln gerecht wird.