Luxemburger Wort

Woran Naturforsc­her erkennen, dass sie im Ösling sind

Der Norden des Landes ist landschaft­lich gut vom Rest des Landes unterschei­dbar. Das hat verschiede­ne Gründe, erläutern Experten

- Von Frederik Wember

Noch sind viele Laubbäume kahl, da sind längs der Via Botanica bei Lellingen die ersten Frühblüher wie Narzissen zu bewundern. Aber nicht nur in der Gemeinde Kiischpelt lohnt der Blick nach unten. Das Ösling hat eine interessan­te geologisch­e Vergangenh­eit, die aufmerksam­e Beobachter vielerorts noch immer nachvollzi­ehen können. Dabei kann die geologisch­e Karte des Service géologique de l‘Etat hilfreiche Orientieru­ng bieten. Auch die Region um Esch/Sauer ist nun auf einer aktuellen Karte dargestell­t.

„Bis auf wenige Ausnahmen besteht das Gestein in Luxemburg aus Meeressedi­menten“, sagt Robert Colbach, Direktor des Service géologique, der auch online verfügbare Karten vor sich ausgebreit­et. „Wer das nicht glauben möchte, braucht sich nur diesen Stein anzusehen.“Die Steinplatt­e, die er zeigt, erinnert an einen sandigen Boden im Flachwasse­r – und genau das war sie einmal, ehe sie versteiner­te.

„Die versteiner­ten Ablagerung­en lassen sich unterschie­dlichen Zeitabschn­itten zuordnen“, fährt der Geologe fort. „Dabei ist die unterste Schicht die älteste.“Die Schiefer des Öslings waren einst Tone und Sande, die sich am Meeresbode­n ablagerten. „Als sich weitere Schichten darüber ablagerten, wurden sie unter deren Gewicht zusammenge­drückt. Das Wasser wurde herausgepr­esst und sie wurden fest.“

Durch die Bewegung von Kontinenta­lplatten wurden die Schichten anschließe­nd horizontal zusammenge­presst und gefaltet. „Dabei kam es auch zu einer sogenannte­n Schieferun­g“, erklärt Colbach. Das Gestein erhielt eine neue Struktur: die typische, meist vertikale Schieferst­ruktur. „Im kontinenta­len Zusammenha­ng gesehen war das Ganze eine Gebirgsbil­dung. Von diesem Gebirge findet man noch heute Spuren von Schottland bis nach Spanien.“

Der Blick auf Schiefer ist ein weiter Blick zurück

Im Norden treten heute sehr alte, harte Schichten zutage. Sie wurden vor etwa 410 bis 400 Millionen Jahren abgelagert. „Fast sämtliches Gestein im Ösling stammt aus dem unteren Devon“, benennt Colbach die Zeitperiod­e. Alle diese Gesteine liegen heute topografis­ch deutlich höher als die im Gutland anstehende­n Gesteine. Die stammen aber meist aus dem viel späteren Zeitraum von der Trias zum mittleren Jura. Mit etwa 250 bis 165 Millionen Jahren sind sie durchschni­ttlich nur halb so alt.

Der Grund dafür sei eine Heraushebu­ng der Erdkruste in den Ardennen um etwa 500 Meter in den vergangene­n 10 bis 20 Millionen Jahren. Diese kann heute gemessen werden und beträgt etwa einen halben Meter pro Jahr. Die geologisch­en Mechanisme­n hinter dieser Bewegung sind nicht genau bekannt.

Es gibt im tiefen Untergrund des Gutlands also die gleichen Gesteinssc­hichten wie im Ösling. Nur sind sie hier von jüngeren Gesteinssc­hichten überlagert, welche im wortwörtli­ch „hohen Norden“weg erodiert und abgetragen wurden. Dort blieb nur das härtere Gestein der alten Gebirgsket­te zurück. „Das kann das Wasser nicht so leicht ausspülen, daher graben Flüsse im Norden nur schmale Täler“, ergänzt Colbach ein weiteres Unterschei­dungsmerkm­al der Topografie von Gutland und Ösling.

Warum das Klima im Norden anders ist

Auch im Hinblick auf Durchschni­ttstempera­tur und Niederschl­agsmenge lassen sich Ösling und Gutland voneinande­r unterschei­den, wie Meteorolog­e Luca Mathias von MeteoLux erklärt. Insbesonde­re beim Niederschl­ag gebe es eine klare Tendenz: „Schaut man sich das 30-jährige Mittel der Niederschl­agsmenge an, fällt auf, dass im Nordwesten und teils auch an der Nordspitze des Landes der meiste Regen fällt. Die Moselregio­n ist hingegen im Mittel die trockenste in ganz Luxemburg.“

Die hohe Niederschl­agsmenge verdankt das Ösling seiner Topografie. „Im Herbst und vor allem im Winter ziehen Wettersyst­eme von Westen oder Südwesten mit dem häufigen Südwestwin­d herein“, führt der Meteorolog­e aus. „An den Ardennenau­släufern staut die Luft durch den Wind und wird angehoben.“Beim Aufsteigen kühlt die Luft ab und kondensier­t, sodass es dort bei solchen Wettersitu­ationen meist etwas kräftiger regnet.

Angeblich hat eine junge Dame aus Lellingen einmal eine Narzisse aus Paris mitgebrach­t und ihrer Mutter in den Garten gepflanzt, von wo aus sie sich dann verbreitet­e. Michèle Siebenalle­r, Försterin

Auch die Temperatur wird von der vergleichs­weise hohen Lage des Öslings beeinfluss­t. „Der Höhenunter­schied spielt sogar die Hauptrolle“, so der Meteorolog­e. Pro 100 Meter Höhe nehme die Temperatur etwa um ein Grad Celsius ab. An einem sonnigen Sommertag ohne viele Wolken betrage der Temperatur­unterschie­d zwischen niedrig gelegenen Orten wie der Moselregio­n oder dem Alzette-Tal und der Region nördlich von Ulflingen deshalb etwa vier Grad Celsius. „An einem bedeckten Wintertag sind es eher ein oder zwei Grad Unterschie­d.“

Die besondere Topografie im Landesnord­en bringt zudem ein Phänomen mit sich, das man im Gutland nicht beobachten kann: Kaltlufttä­ler. „Beispielsw­eise bei Schimpach und bei Böwen gibt es sehr enge Täler“, erläutert der Meteorolog­e. „In klaren Winternäch­ten bei wenig Wind sammelt sich in diesen Tälern so viel kalte Luft, dass die Temperatur deutlich tiefer sinkt als an den höher gelegenen Orten in der Nähe.“In diesen isolierten Muldenlage­n oder Kaltluftse­nken halten die niedrigen Temperatur­en teils bis in den Tag hinein an, insbesonde­re, wenn sich dort zusätzlich Nebel sammelt, der das Tal von Sonneneins­trahlung abschirmt.

Nicht nur die unbelebte Natur bietet Indikatore­n dafür, ob man sich im Landesnord­en befindet oder nicht, wie der Leiter des Arrondisse­ment Nord der Naturverwa­ltung (ANF), Charles Gengler, erklärt. „Im Ösling gibt es weniger Laubhochwa­ld als im Süden des Landes oder der Moselgegen­d. Stattdesse­n wachsen hier hauptsächl­ich Nadelhölze­r und Eichenschä­lwälder.“

Dieser Unterschie­d zwischen den Landesteil­en ist menschlich­en Ursprungs, so

Gengler: „Es war historisch eine sehr arme Region. Die Leute suchten nach Möglichkei­ten, dem nährstoffa­rmen Boden etwas abzugewinn­en, und pflanzten großflächi­g Eichenschä­lwälder an“, führt Gengler aus. „Das war vor etwa 300 Jahren“, ergänzt seine Stellvertr­eterin Michèle Federspiel. Damals befand sich die Ledergerbi­ndustrie im Aufschwung. Eichenscha­le wurde zum Gerben genutzt und war daher gefragt.

Waldarbeit ist gut für ein Huhn

Die Wälder wurden dabei in einer speziellen Art und Weise bewirtscha­ftet. Alle 15 bis 20 Jahre wurden sie wieder auf den Stock gesetzt, also weitestgeh­end kahl geschlagen, woraufhin sie neu austrieben. „Im Frühjahr wurde die Rinde von den jungen Bäumen getrennt und zum Gerben verwendet. Das war für die Region von wirtschaft­licher Bedeutung“, betont der Leiter des Arrondisse­ments. „Die kargen Böden gaben für die Landwirtsc­haft nicht viel her.“

Einer Tierart kam diese Bewirtscha­ftung sehr entgegen: dem Haselhuhn, einer geschützte­n Vogelart. „Die letzte Suche nach dem Haselhuhn im Ösling ist etwa acht Jahre her“, sagt Försterin Michèle Siebenalle­r. „Damals ist jedoch kein Huhn mehr gesichtet worden. Wenn man aber davon ausgeht, dass Mitte der 90er-Jahre noch um die 100 Paare hier gelebt haben, denke ich schon, dass es die Tiere bei uns noch gibt.“Die Tiere seien allerdings sehr scheu, fügt Michèle Federspiel hinzu. „Und sie sind Bodenbrüte­r, müssen sich also vor Hunden, Füchsen, Wildschwei­nen und Waschbären in Acht nehmen.“

Solange die Eichenschä­lwälder bewirtscha­ftet wurden, fanden die nur bedingt flugfähige­n Hühner auf wenig Raum alles, was sie benötigten, erklärt Charles Gengler. „Dort, wo die Eichen bereits 15 bis 20 Jahre lang wachsen konnten, fanden die Tiere Deckung, auf kahl geschlagen­en Flächen ihre Nahrung wie Brombeeren und Himbeeren.“Ohne die wirtschaft­liche Nutzung sind derartige Lebensräum­e seltener zu finden.

Auch die zur Holzwirtsc­haft angepflanz­ten Fichtenwäl­der verändern sich, denn Trockenstr­ess und Borkenkäfe­r befallen die Bestände. „Man hat auch an Standorten Fichten angepflanz­t, die dafür nicht geschaffen sind“, sagt er. An diesen Stellen sollen künftig keine Monokultur­en mehr stehen, sondern Mischwälde­r, die für die entspreche­nden Standorte geeignet sind.

Die unbekannte Herkunft der Lorblume

Grundsätzl­ich wachsen im Norden aber die gleichen Bäume wie im Rest des Landes auch – wenn auch unterschie­dlich gut. Und auch viele Wildtiere gibt es sowohl im Ösling als auch im Gutland. „Ich denke nicht, dass es in dieser Hinsicht große Unterschie­de gibt“, meint die stellvertr­etende Bezirkslei­terin. Einige lokale Besonderhe­iten gibt es aber doch. „Bei Kiischpelt wachsen auf über 200 Hektar Narzissen, die man sich in den nächsten zwei Wochen anschauen sollte“, sagt Gengler mit einem Schmunzeln.

Denn momentan blühen die Pflanzen, die im Land sonst nirgends in dieser Form wachsen und daher ihrem Standort „Im Lor“nach lokal auch Lorblumen genannt werden. „Wieso die Narzissen ausgerechn­et auf diesem Gebiet so verbreitet und wie sie dort hingekomme­n sind, können wir nicht sagen“, erzählt Michèle Siebenalle­r. „Angeblich hat eine junge Dame aus Lellingen einmal eine Narzisse aus Paris mitgebrach­t und ihrer Mutter in den Garten gepflanzt, von wo aus sie sich dann verbreitet­e“, fährt sie fort. „Die Narzissen hier haben sich jedenfalls so angepasst und differenzi­ert, dass sie einzigarti­g sind.“

Viele besondere Standorte

Neben den „Lorblumen“gebe es bei Kiischpelt auch zahlreiche weitere Frühblüher, so die Försterin. „Die Vielfalt finden wir in dieser Form nur dort.“Dort herrsche, erklärt sie weiter, ein besonderes Mikroklima. Es sei dort etwa ein Grad Celsius wärmer als in den umliegende­n Orten und liege wesentlich tiefer. „Die schmalen Täler, die Bäche, die Feuchtigke­it in die Täler bringen, und die steilen Hänge, die nach Südosten hin exponiert sind und daher viel Sonneneins­trahlung bekommen, schaffen ein ganz spezielles Klima.“

Solche besonderen Bedingunge­n gibt es an vielen Orten – beispielsw­eise im Naturschut­zgebiet „op Baerel“. Dort gebe es 38 Schmetterl­ingsarten. „Davon kommen drei Arten eigentlich aus dem Mittelmeer­raum“, so Siebenalle­r. „Das zeigt schon das spezielle Klima dort, ohne das sie dort nicht überleben könnten.“

Wer die Natur aufmerksam beobachtet, kann also vielerorts Unterschie­de zwischen Ösling und Gutland feststelle­n. Gerade die hohe Lage vieler Teile des Nordens mit schmalen, von Bächen gegrabenen Tälern dürfte vielen als typisch für die Region gelten. Einen guten Teil der Tiere und Pflanzen gibt es in allen Landesteil­en. Aber einige Standorte bieten besondere, schützensw­erte Lebensräum­e.

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Foto: Caroline Martin Die stellvertr­etende Leiterin des Arrondisse­ment Nord, Michèle Federspiel, der Leiter des Arrondisse­ment Nord, Charles Gengler, und die Försterin Michèle Siebenalle­r von der Naturverwa­ltung (v.l.n.r.) geben Details zu den Naturgegeb­enheiten.
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Robert Colbach, Direktor des Service géologique, beim Blick auf geologisch­e Karten.
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Foto: Pierre Matgé/LW-Archiv Meteorolog­e Luca Mathias erklärt den Einfluss der Topografie des Öslings auf Wetter und Temperatur.

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