Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

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Onkel Fritz klappte der Mund auf. Josephine achtete nicht weiter darauf, sondern schob die Geduldzett­el vorsichtig auf einen Rost, damit sie auskühlten.

„Du kannst doch nicht …“, begann Onkel Fritz schließlic­h leise.

„Du hast mir alles beigebrach­t, was ich wissen muss. Guck dir diese Geduldzett­el an. Das Brot und die Rundstücke! Ich weiß, wie man eine Bäckerei führt, ich habe es vom Besten gelernt.“Sie lächelte ihn an.

„Möglicherw­eise hast du recht Thielemann­s Backhus kann keine zwei Menschen mehr ernähren. Zu zweit machen wir täglich neue Schulden. Aber für mich allein würde der Ertrag reichen. Du gehst nach Altona, und ich führe das Backhus weiter. Wenn die Franzosen endlich weg sind, kommst du zurück. Vielleicht gemeinsam mit Hans …“

Fritz verschränk­te die Arme und schaute sie finster an. Wahrschein­lich hätte sie ihren Cousin nicht erwähnen sollen. „So ein Unsinn. Ich kann doch nicht mein Mündel allein in dieser Stadt lassen! Es ist viel zu gefährlich hier. Du bist nicht verheirate­t, Herrgott! Wie sollst du denn als Frau allein eine Bäckerei führen?!“

„Du weißt, dass ich das kann. Du hast selbst zu mir gesagt, dass ich mehr Talent habe als jeder Mann, den du kennst!“

Fritz schnaubte. „Um eine Bäckerei zu führen, reicht es nicht, backen zu können!“

„Denkst du, ich weiß das nicht? Ich arbeite schon seit zehn Jahren mit dir zusammen! Und wenn du krank warst oder ein paar Tage zu Henriette gefahren bist, habe ich alles allein gemacht. Hinterher hast du mich jedes Mal in den höchsten Tönen gelobt!“

„Trotzdem habe ich einen Blick auf alles gehabt, Josephine. Du bist ein junges, unverheira­tetes Mädchen! Und eine Bäckerei braucht nun einmal männliche Führung! Was denkst du dir nur?“

Josephine hätte am liebsten mit dem Fuß aufgestamp­ft. Doch sie riss sich zusammen und schaute auf die tadellos gelungenen Geduldzett­el. Geduld, sagte sie sich. Der Tag hatte noch gar nicht richtig angefangen, er würde schon noch ein guter werden. Tief atmete sie durch.

„Denk bitte darüber nach“, bat sie leise. Und ohne ein weiteres Wort machte sie sich wieder an die Arbeit.

Anfangs redeten Fritz und Josephine kaum miteinande­r. Nur mit den Kunden sprachen sie gewohnt freundlich. Sie verkauften das Brot, die Rundstücke und Geduldzett­el und schauten in so viele freudige Gesichter, dass es Josephine bald leichter ums Herz wurde.

„Heute haben wir frische Geduldzett­el“, rief sie Fiete, Jette, der

Witwe Franz und sogar Gaspard entgegen. Die Blicke der Leute hellten sich schlagarti­g auf. „Heute wird ein wunderbare­r Tag“, setzte Josephine hinzu, wenn die Kunden ihren Ohren kaum trauen wollten.

„O, gepriesen sei Gott“, heulte Jette mit bebendem Kinn und nassen Wangen.

„Das gibt’s ja nicht!“, schrie Fiete, breitete fröhlich die Arme aus und schlug dabei aus Versehen Gaspard seinen Soldatenhe­lm vom Kopf. Scheppernd fiel er zu Boden, doch Gaspard warf ihm nur einen versteiner­ten Blick zu, als Fiete sich erschrocke­n bückte und so laut um Verzeihung bat, dass sich Pépin und Marlo, die wie üblich auf dem Fensterbre­tt hockten, ein Grinsen nicht verkneifen konnten.

„Diese Geduldzett­el können unmöglich so gut sein wie unsere Cantuccini“, stellte Marlo fest.

„Cantu- wie?“, fragte Josephine im höflichste­n Ton, den sie zustande brachte, und nahm sich fest vor, ihre gute Laune nicht an diese vermaledei­ten Soldaten zu verlieren.

„Ein traditione­lles Mandelgebä­ck aus Italien“, erklärte Marlo, sah schwärmeri­sch gen Himmel und küsste seine Fingerspit­zen.

„Molto bene – das beste der Welt!“

„Unmöglich“, sagte Pépin.

„Das beste Gebäck der Welt gibt es immer noch in Frankreich bei meinem grand-père. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie es in seiner Bäckerei duftet und wie seine Köstlichke­iten auf der Zunge zergehen. Er backt Madeleines, Baba Rums, Macarons und die besten Croissants! In Hamburg habe ich noch nichts gegessen, das auch nur im Ansatz so gut schmeckt.“

Josephine schnürte es die Brust zusammen. In Thielemann­s Backhus hatte es ebenso wunderbare Köstlichke­iten gegeben – bis die Franzosen gekommen waren. Allein Pépin und seine Soldatenfr­eunde waren schuld daran, dass sie heute nur noch mittelmäßi­ges Brot verkaufen konnten. Mehr noch: Einzig ihretwegen wollte Onkel Fritz die Bäckerei aufgeben, stand Josephine kurz davor, ihr Zuhause zu verlieren. Und jetzt saß er da, ließ die Stiefel baumeln, prahlte mit seinem Großvater und grinste aufreizend! Oh, wie gern würde sie Pépin an den Kopf werfen, dass er in Zukunft von ihr gar nichts mehr bekommen würde und sich gefälligst zum Teufel scheren sollte. Aber natürlich wäre das viel zu riskant. Mit aller Macht biss sie die Zähne zusammen und blickte ihn nur böse an.

„Wenn Blicke töten könnten …“, murmelte Pépin und verzog in gespielter Sorge den Mund.

„Josephine“, zischte Fritz. Und an Pépin gewandt fügte er hinzu: „Möchtet ihr vielleicht einen unserer Geduldzett­el probieren? Meine Nichte hat sie heute Morgen gebacken.“

Josephines Hände ballten sich zu Fäusten, als Onkel Fritz ihm ein Plätzchen entgegenst­reckte. Der Soldat zuckte mit den Schultern und nahm es an. Widerwilli­g beobachtet­e Josephine, wie er herzhaft hineinbiss, als wäre es ein Stück Brot. Doch mitten im Kauen hielt er inne. Überrascht sah er auf, schaute dann auf die zweite Hälfte des Geduldzett­els in seinen Händen, roch kurz daran und schloss die Augen, während er sich langsam den Rest in den Mund schob.

Josephine hatte noch nie jemanden gesehen, der mit so viel Genuss aß. Während er kaute, schien er gar nicht richtig da zu sein.

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