Deutschlands Taurus-Frontfrau ist Spitzenkandidatin der EU-Liberalen
Marie-Agnes Strack-Zimmermann soll die Liberalen im EU-Parlament so stark wie nur möglich machen. Wenn ihr ein Coup gelingt, wird es für die Konkurrenz ungemütlich. Wenn nicht aber auch
Man kann nicht sagen, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann nichts von Brecht wüsste. Außer Publizistik und Politologie hat sie auch Germanistik studiert; das muss zwar nichts heißen, ist ja auch ein paar Jahrzehnte her, einerseits. Andererseits hat alle, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten irgendwo in Deutschland Abitur gemacht haben, West wie Ost, Bertolt Brecht mehr als nur gestreift.
Insofern darf man es für einen Patzer halten, dass ausgerechnet StrackZimmermann, die — noch — Chefin des Verteidigungsausschusses im Bundestag ist, auch Mitglied in diversen rüstungsindustrienahen Lobbyvereinen, auf eines ihrer Werbeplakate zur Europawahl unter ihr Porträt drucken ließ: „Oma Courage“. Nicht weil Strack-Zimmermann, wenn auch dreifache Großmutter, zum gängigen Oma-Klischee passt wie die sprichwörtliche Faust aufs ebenso sprichwörtliche Auge. Strack-Zimmermann ist hoch ironiefähig, auch gegen sich selbst. Der Lapsus ist, dass „Oma Courage“so unweigerlich „Mutter Courage“im Hirn aufblitzen lässt, als wären die zwei Verwandte.
Und also beschert Brechts Marketenderin, die versucht, mit dem Krieg ihr Geschäft zu machen und dabei ihre Kinder verliert, der wahrscheinlichen Spitzenkandidatin der europäischen Liberalen am Donnerstag ein paar ungemütliche Minuten im Bundestag. Es geht, wieder einmal, um die vom Kanzler abgelehnten TaurusMarschflugkörper für die Ukraine. StrackZimmermann denkt nicht nur konträr zu Olaf Scholz; sie hat deswegen auch schon die Fraktionsdisziplin gebrochen und mit der Union gestimmt. In der Kanzlerpartei SPD steht sie längst im Ruch, das Geschäft der Opposition zu betreiben. „Ihre tagtägliche Kritik beschädigt das Ansehen der eigenen Regierung“, zürnte schon ein Vierteljahr nach Kriegsbeginn, im Mai 2022, der langjährige SPD-Abgeordnete Axel Schäfer.
Hart im Austeilen und Einstecken
Diesmal kommt die Schelte von noch weiter links. Janine Wissler, Co-Parteichefin der Linken, bringt genüsslich Strack-Zimmermann und Mutter Courage in Verbindung. „Ich lass’ mir doch“, zitiert sie aus Brechts Drama, „von euch den Krieg nicht madig machen.“Strack-Zimmermanns Stirn zeigt Grimm, mindestens. Aber sie ist im Nehmen nicht weniger hart als im Austeilen. So hat sie Karriere gemacht.
Dass die deutschen Liberalen sie zur Spitzenkandidatin für die Europawahl gekürt haben — vielleicht nur der vorläufige Höhepunkt. Am Dienstag hat sie ALDE, der liberale Parteienverbund in Europa, auch als seine Frontfrau für die Europawahlen nominiert. Sie habe nicht nur genau das starke liberale Profil, das immer vonnöten sei — sondern bringe dazu „einen soliden
Hintergrund und Erfahrung in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit“mit, den es gerade jetzt brauche.
Tatsächlich wäre Strack-Zimmermann gern Ministerin geworden, Chefin auf der Bonner Hardthöhe und im Berliner Bendlerblock, als die Ampel 2021 leuchtende Regierungszeiten versprach. Aber die FDP, chronisch männerzentriert, setzte auf Finanzen, Justiz und Verkehr — und für die Frauenquote das Bildungsressort. Die Verteidigung fiel an die SPD; und auch wenn der notorisch wortkarge Scholz es nie zugeben würde: Darüber ist er jeden Tag froh.
Strack-Zimmermann war es nicht; anfangs. Dann aber entdeckte sie die Macht der Ausschussvorsitzenden. Wenn sie jetzt aus dem Bundestag ins EU-Parlament wechseln will, dann herrscht — nicht nur bei der FDP, da aber besonders — doppelte Freude: Die einen sind beglückt, sie los zu sein, die anderen, weil sie Strack-Zimmermann zutrauen, die FDP aus ihrem Wahl-Tief zu holen; für manche gilt auch beides. Und beides liegt an ihrer Unerschrockenheit, an ihrer Lust zu sagen, was sie denkt, zusammengefasst: an ihrer großen Klappe.
Die einen sind beglückt, sie los zu sein, die anderen, weil sie StrackZimmermann zutrauen, die FDP aus ihrem WahlTief zu holen.
Der Stachel im Fleisch
Vielleicht ist sie wirklich der Kerl in Frauengestalt, wie manche sagen; und nicht alle meinen das als Kompliment. Ganz sicher ist sie das, was in der deutschen Politik längst bitter fehlt: eine Type. Dem „Spiegel“hat sie vor zwei Jahren für ein Porträt gesagt, sie sei „eher der Stachel im Fleisch“. Stand dann als Schlagzeile über dem Text. Dass der bis heute auf ihrer Homepage blieb, sagt natürlich nicht alles — viel aber schon.
Mit der Politik hat sie, dann doch frauentypisch, erst angefangen, als die drei Kinder aus dem Groben raus waren; bis dahin war sie Verlagsvertreterin für Jugendbücher. In ihrer Heimatstadt Düsseldorf wurde sie Erste Bürgermeisterin, die Stellvertreterin des OB. Acht Jahre später dann Bundestag, mit 58. Und nun, mit 66, ab nach Straßburg und Brüssel. Vielleicht auch mal mit ihrem Motorrad, wer weiß.
Am Donnerstag stimmt Strack-Zimmermann zum zweiten Mal in Sachen Taurus mit der Union. „Streitbar“hat sie als Motto auf alle ihre Wahlplakate drucken lassen. Es ist auch der Titel ihres 2022 erschienenen Buchs über das, „Was Deutschland jetzt lernen muss“. Die Kampagnenfotos seien alle unretuschiert, sagt die Agentur. „Eurofighterin“steht unter einem Porträt, auf einem anderen: „Will nach Brüssel, um es sich unbequem zu machen.“Das allerdings ist nur die halbe Wahrheit. Ungemütlich wird es dort mit ihr garantiert auch für die anderen.