Ein möglicher Waffenhandel und viele offene Fragen
Die Auflösung eines Zuges des vierten Pionierbataillons in Amay hat die Gemüter nicht beruhigt. Die Angelegenheit nimmt eine politische Wendung
Was genau ist im vierten Pionierbataillon in Amay passiert? Seit Donnerstag, als die Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder (Parti socialiste, PS) und der Chef der Armee, Michel Hofman, eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz abhielten, häufen sich die Zeugenaussagen und Seitenhiebe, ohne dass man wirklich weiß, wo der Skandal enden wird.
Zur Erinnerung: Ein Zug dieses Bataillons wurde aufgelöst, nachdem „abweichende und erniedrigende“Verhaltensweisen aufgedeckt worden waren, die bei „Bizutages“, Integrationsritualen, aber auch bei Training und Ausbildung aufgetreten sein sollen. Diese hätten zu Erpressungen sowie zu Körperverletzungen geführt.
Laut der Generalinspektion der Armee wurden jedoch „bislang keine rassistischen Vorfälle gemeldet“. Auch von „sexueller Gewalt“ist derzeit nicht die Rede. Die Staatsanwaltschaft Lüttich (Amay liegt in der Region Lüttich), die den Fall untersucht, spricht außerdem von einem Zusammenhang mit Waffen und Munition, aber nicht von Waffenhandel.
Waffenhandel in Verbindung mit Mafia?
Diese letzte Behauptung überzeugt die Presse nicht. Laut „Het Laatste Nieuws“untersucht die Justiz sehr wohl einen potenziellen „Waffenhandel“und Munitionshandel. Militärisches Material sei an ausländische, tschetschenische oder albanischsprachige kriminelle Organisationen verkauft worden. Die Staatsanwaltschaft Lüttich entgegnete, dass „keine Akte über Waffenhandel angelegt wurde“. Ministerin Dedonder verschanzt sich hinter dem Untersuchungsgeheimnis, um nicht weiter darauf einzugehen.
Laut „Le Soir“interessiert sich der militärische Nachrichtendienst (SGRS) seit 2019 für die Kaserne in Amay. „Vor allem wegen Drogenhandels. Fakten, die sogar zu einer Verurteilung eines gewissen T.H. – und zu seinem Ausschluss aus der Armee – im Jahr 2021 geführt haben. Der Chef des SGRS, Generalmajor Stéphane Dutron, wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern.“
Der Fall ist alles andere als harmlos. Sollte sich der Waffenschmuggel als wahr erweisen, würde er mit dem Fall Jürgen Conings in Verbindung gebracht werden, dem rechtsextremen Militär, der 2021 Waffen und Munition gestohlen hatte, bevor er Flandern terrorisierte. Er hatte sich schließlich selbst umgebracht. Seine Leiche war lange gesucht worden, bevor sie an einem Ort gefunden wurde, an dem systematisch Ausgrabungen durchgeführt worden waren.
Ein beschädigtes Image
Diese Verdächtigungen schaden dem Image der belgischen Armee, die sich jahrelang einen Ruf für Professionalität aufgebaut hat, indem sie in zahlreichen Einsatzgebieten im Ausland humanitäre Hilfe leistete oder ihr Fachwissen im Bereich der Minenräumung zur Verfügung stellte. Ein A400M hat gerade wieder vermehrt Lebensmittel über Gaza abgeworfen.
Die Auflösung eines Zuges (30 Mann) des vierten Pionierbataillons in Amay hat nun dazu geführt, dass das Wort frei wird. In Amay, aber auch in anderen Kasernen, gehen immer wieder Berichte von Soldaten ein, die Opfer von grenzüberschreitenden Verhaltensweisen geworden sind.
„Bei meiner Taufe ging es so weit, dass man mir einen Besenstiel in den Hintern stecken wollte“, erzählte ein junger Ex-Soldat, der eine Zeit lang in Marcheen-Famenne gedient hatte, RTL. „Es waren meine Kollegen, Soldaten der Einheit, die das getan haben. Sie wurden von ihrem Vorgesetzten, dem Adjutanten der Einheit, beschützt. Ich durfte während des Bizutage keine Fragen stellen (...) Es gab eine Kultur der Angst. Kurze Zeit später verließ ich die Armee.“Ein anderer Soldat musste in der Infanterieschule in Arlon sechs Monate lang Bizutage über sich ergehen lassen. „Höhere Offiziere urinierten in meinen Schlafsack und in mein Zelt und ließen mich im Regen stehen...“
Solche Zeugenaussagen scheinen darauf hinzudeuten, dass sich über den Fall in Lüttich hinaus in der Armee eine ganze Kultur des Bizutage und der Erniedrigung entwickelt hat, und zwar trotz der auf höchster Ebene erteilten Anweisungen.
„Dieses Verhalten hat in unserer Armee keinen Platz“
Die Angelegenheit hat in den letzten 48 Stunden eine politische Wendung genommen. Die sozialistische Ministerin Ludivine Dedonder erhält Schläge aus allen Richtungen. Diese kommen sogar von den Parteien, die mit dem PS in der föderalen Koalition des flämischen Liberalen Alexander De Croo verbündet sind.
Im Parlament konnte die Ministerin die Frage nicht beantworten, wie es möglich ist, dass die Armee offenbar seit 2021, also mindestens zwei Jahre vor dem Verteidigungskabinett, informiert wurde. „Dieses Verhalten hat keinen Platz in unserer Armee“, sagte Samuel Cogolati (Ecolo/Grüne). „Aber warum konnte es so lange unbemerkt bleiben?“Die gleiche Frage wurde auch aus den Reihen der Opposition gestellt, vom Vlaams Belang (Rechtsextreme) und der PVDA (Kommunisten). Ludivine Dedonder wiederholte lediglich, dass sie erst im November letzten Jahres informiert worden sei und dass sie drastische Maßnahmen ergreifen werde. Es werde sicherlich zu Entlassungen unter den verdächtigten Militärangehörigen kommen. Zuvor war bereits von einer strafrechtlichen Verfolgung die Rede gewesen.
„Ich habe genug von den Unmenschen“
Ein besonders heftiger Schlagabtausch fand zwischen der Ministerin und dem Abgeordneten Eric Ducarme des Mouvement Réformateur (MR) statt, der ihr vorwarf, die Armee in den Schmutz zu ziehen. Sie beschuldigte ihn, „Gift zu spucken“und sogar „hasserfüllte“Äußerungen zu machen, ebenso wie der NVA-Parlamentarier (Neu-Flämische Allianz) Theo Francken. „Ich habe genug von den Unmenschen“, sagte Ludivine Dedonder.
Georges-Louis Bouchez, der Vorsitzende des MR, unterstützte seine Abgeordnete anschließend auf X (früher Twitter). Er fragte: „Ist eine Ministerin, die sich weigert, dem Parlament zu antworten, noch eine Ministerin?“und zitierte einen Tweet von Theo Francken, in dem er Ludivine Dedonder als „Calimero“bezeichnete.
Die Ermittlungen im Fall des vierten Pionierbataillons in Amay sind noch lange nicht abgeschlossen. Die Frage ist nun, ob sie zu strukturelleren Maßnahmen als der Auflösung eines Zuges führen und wirklich dazu beitragen wird, die Schrauben in der Armee anzuziehen. Parallel zu diesem Fall erinnern mehrere Zeitungen daran, dass vier belgische Soldaten vor einem Monat nach einer Schlägerei in Norwegen festgenommen und wieder freigelassen wurden. Auch hier hat der Ruf der „Grande Muette“gelitten.