„Die Wohnungsnot trifft inzwischen auch die Mittelschicht“
Die Vereinigung Gudd Wunnen verwaltet die Sozialwohnungen von sechs Alzette-Gemeinden. Filipe da Silva und Henri Würth sind mit den Problemen auf dem Markt vertraut
„Dieses Haus wurde um das Jahr 1920 gebaut“, sagt Henri Würth, der Präsident von Gudd Wunnen und ehemalige Bürgermeister von Lintgen. Die Vereinigung verwaltet die Sozialwohnungen aus sechs Gemeinden aus dem Alzettetal. „Früher hielten die Bewohner eine Kuh, ein paar Schweine und Hühner“, sagt er und deutet auf den ehemaligen Stall. 100 Jahre später befand sich das Gebäude in einem sehr schlechten Zustand.
„Die Gemeinde hat das Gebäude für 650.000 Euro gekauft und für 1,5 Millionen renoviert“, erklärt Würth. Aus dem Wohngebäude mit Stall ist mittlerweile ein Zweifamilienhaus geworden. Etwas erstaunt fügt er hinzu: „Das Institut national pour le patrimoine architectural war in der vergangenen Woche hier und hat das Haus klassiert.“
Die Renovierung des Gebäudes ist mittlerweile abgeschlossen, der Anstrich ist noch ganz frisch. Am 1. April sollen die ersten Mieter einziehen, eine Familie, die auf dem freien Wohnungsmarkt ansonsten leer ausgehen würde. Der Mietvertrag ist bereits unterschrieben.
„Die Nachfrage nach sozialem Wohnraum ist in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich gestiegen“, sagt Filipe da Silva, der sich im Sozialamt Mersch darum kümmert, die Menschen unterzubringen. „Die Mehrheit der Mieter, die wir betreuen, stammen aus sozial und finanziell benachteiligten Schichten“, sagt er. So sei es zumindest bisher der Fall gewesen.
Die Wohnungsnot habe jedoch parallel mit den steigenden Kreditzinsen und Mieten zugenommen. „Heute ist auch die Mittelschicht bei uns angekommen“, sagt Filipe da Silva. „Zwei Gehälter reichen inzwischen oftmals nicht mehr aus, um eine Wohnung finanzieren zu können.“Das sei die neue Realität.
Das Angebot an sozialen Wohnraum konnte allerdings mit dieser steigenden Nachfrage nicht Schritt halten. „Gudd Wunnen verwaltet über 80 Häuser und Wohnungen, die alle unter dem Marktpreis vermietet sind“, sagt da Silva. Über 200 Personen haben dadurch ein neues Zuhause gefunden. „Wir versuchen, so viele Menschen wie möglich unterzubringen“, betont er. Doch in Zukunft dürfte dies noch schwieriger werden.
Vor allem kleinere Wohneinheiten seien sehr stark nachgefragt, sagt da Silva. „Es gibt einen riesigen Bedarf. Wir haben nur sechs kleinere Einheiten in unserem Angebot, bräuchten aber mindestens 20.“Die Vereinigung ist dementsprechend weiter auf der Suche nach Wohnungen.
Bis auf das frisch renovierte Haus seien alle anderen der 80 Wohnungen und Häuser schon vergeben, sagt da Silva. „Wir halten jedoch immer zwei Häuser für Notfälle bereit“, fügt Henri Würth hinzu. Wohnungsbrände oder Wasserschäden kom
Zwei Gehälter reichen mittlerweile oftmals nicht mehr aus, um eine Wohnung finanzieren zu können. Filipe da Silva, Sozialamt Mersch
men immer wieder vor, dann gelte es den Betroffenen schnelle Hilfe zukommen zu lassen. „Als es im vergangenen Mai in einem Mehrfamilienhaus in Grundhof brannte, kam eine Familie in einem unserer Häuser unter“, so Würth.
Die Wohnungen und Häuser, die verwaltet werden, gehören nicht alle den Gemeinden, es gibt auch welche, die im Besitz von Privatleuten sind und nach den Prinzipien der „Gestion locative sociale“(GLS) vermietet werden. „Wir mieten die Wohnungen und vermieten sie dann weiter“, erklärt Henri Würth.
Gudd Wunnen überweist dann jeden Monat die Miete an den Eigentümer – auch wenn der Endmieter in Zahlungsschwierigkeiten steckt. „Die Miete ist für die Besitzer garantiert“, unterstreicht Würth. Außerdem komme der Eigentümer bei einer GLS in den Genuss einer Steuerbefreiung von 90 Prozent seiner Einnahmen. „Diese Steuerbefreiung kann die Mindereinnahmen in einigen Fällen ausgleichen“, betont Würth.
„Die GLS ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, den Leerstand zu bekämpfen“, sagt Filipe da Silva. Es sei auch die „beste, schnellste und billigste Methode, sozialen Wohnungsraum zur Verfügung zu stellen“. Wenn der Staat selbst baut, dann dauere es vier bis fünf Jahre, ehe die ersten Mieter einziehen können. Bei einer GLS gehe es deutlich schneller. „Diese Wohnungen existieren bereits“, betont da Silva. Und viel Zeit habe man nicht. „Wir befinden uns aktuell in einer Situation, in der wir nicht warten können.“
Als Beispiel einer typischen GLS gab Henri Würth ein Haus an, das einer älteren Dame gehört. „Nachdem sie in ein Altersheim gezogen war, stand dieses leer.“Die Familie habe keinen direkten Bedarf für das Haus, wollte es aber auch nicht verkaufen. So hätten sie sich dazu entschlossen – zumindest für eine bestimmte Zeit – das Haus Gudd Wunnen zu überlassen. „Ab dem Moment müssen die Besitzer sich um nichts mehr kümmern“, betont er.
„Wir verpflichten uns dazu, dass der Besitzer seine Wohnung oder sein Haus im
gleichen Zustand zurückbekommt, wie bei Vertragsbeginn“, verspricht Herni Würth. Die Vereinigung hafte für etwaige Schäden, die von den Mietern verursacht werden.
Das komme leider immer wieder vor. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. In der Tat haben wir manchmal Misere mit den Bewohnern“, sagt Filipe da Silva und spricht einen rezenten Fall an. 17.000 Euro mussten für neue Türen und Schränke ausgegeben werden. „Der Besitzer hat aber nicht auf sein Geld warten müssen“, betont Würth.
Kein Mitspracherecht bei der Auswahl der Mieter
Einen Einfluss, wer in die Wohnung einziehen darf, hat der Besitzer jedoch nicht. Auch nicht Gudd Wunnen. „Die Wohnungen sind im neuen Registre national des logements abordables (RENLA) eingetragen“, erklärt Filipe da Silva. Über dieses Tool würden auch die Mieter gefunden. Die Auswahl finde nach der Dringlichkeit, der finanziellen Situation und anderen Kriterien statt.
Anfang wurde daran gedacht, die Dauer des Mietvertrages auf drei bis fünf Jahre zu begrenzen. Doch es gäbe Ausnahmen, betont da Silva. Nur wenn die privaten Besitzer die Wohnung oder das Haus dann doch verkaufen wollen, müsse die Vereinigung „schauen, wo wir die Leute unterkriegen können“.
Über die Höhe der Miete, welche die Endmieter zahlen, kann da Silva keine Auskunft geben. „Es hängt immer von der jeweiligen Situation ab“, sagt er. Beim frisch renovierten Haus in Lintgen könne die Miete 300 Euro oder 1.700 Euro betragen. „In einigen Fällen ist sie auch an die Einkünfte der Mieter gekoppelt“, erklärt Würth. So könne es sein, dass die Sozialwohnung mit steigendem Gehalt zu teuer wird und die Bewohner auf dem freien Markt fündig werden – das eigentliche Ziel der Vereinigung. Dennoch haben nicht alle Mieter dieses Glück.