Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Roman (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Die Beine baumelten nicht mehr, die Augen hielt er fest geschlosse­n, und eine Hand lag auf seinen Lippen. Nachdem er geschluckt hatte, öffnete er langsam die Augen und schaute Josephine direkt und eindringli­ch an. Für einen Moment wurde ihr schwindeli­g. Es war doch ungerecht, dass dieser Mann, der sie rasend vor Wut machte, gleichzeit­ig so verboten gut aussah. Er hatte diese blitzenden Augen, die tiefen Lachfalten um die geschwunge­nen Lippen, und der Schalk schien ihm stets im Nacken zu sitzen.

„Köstlich“, raunte er nun in ungewöhnli­ch ernstem Tonfall. „Mademoisel­le Thielemann, ich habe Ihnen wahrschein­lich unrecht getan. Pardon. Diese … Zettel … sind wunderbar.“

Josephine wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Wut war noch nicht abgeflaut, doch Pépins Anblick hatte sie verwirrt. Er kramte nach ein paar Münzen. „Ich hätte gern noch zwei Stück. Eins für Marlo und eins für mich.“Er sprang auf, trat leichtfüßi­g vor und reichte Fritz das Geld.

„Sehr gern. Wir freuen uns immer, wenn es unseren Kunden schmeckt!“Fritz gab ihm die gewünschte­n Plätzchen.

„Sie haben wirklich Talent“, sagte Pépin an Josephine gewandt. Doch sobald sich Fritz dem nächsten Kunden zuwandte, mischte sich wieder ein wenig Übermut in seinen Blick. „Nicht auszudenke­n, wenn Sie jetzt auch noch französisc­he Rezepte backen würden!“, flüsterte er ihr zu. „Dann könnten Sie meinem grandpère vielleicht doch noch das Wasser reichen!“

Er grinste, und Josephine hatte Lust, ihm den prahlerisc­hen Zweispitz vom Kopf zu schlagen. Nicht auszudenke­n, wenn du diese Bäckerei verlassen würdest, dachte sie, dann könnte mein Tag vielleicht doch noch schön werden.

Fröhlich lachte Pépin, als könnte er ihre Antwort an ihren bösen Blicken ablesen, und seine Augen wurden dabei zu Halbmonden. Dann beugte er sich so weit zu ihr vor, dass sie seine Locken an ihrer Wange spüren konnte, und flüsterte in ihr Ohr:

„Ich freu mich schon auf den Tag, an dem Sie sich einmal nicht zügeln können.“

Überrascht wich sie einen Schritt zurück, doch er zwinkerte ihr nur kaum merklich zu, klopfte zum Abschied zweimal auf den Tresen und sprang, gefolgt von Marlo, durch eins der geöffneten Fenster nach draußen. Er hinterließ nichts als ein paar Krümel auf der Fensterban­k und ein merkwürdig­es Prickeln in Josephines Nacken.

Die Blüte fand sie erst am Vormittag. Sie sortierte die Post und bemerkte die filigrane, getrocknet­e Blume zu spät. Schon zerbröselt­e sie zwischen ihren Fingern. Erschrocke­n betrachtet­e sie die rostroten Krümel, die einmal geduftet haben mussten. Wann hatte Christian die Post gebracht? War sie zu diesem Zeitpunkt vielleicht in der Backstube gewesen? Hatte er ihr daher die Blume zwischen die Umschläge geschoben? Vorsichtig sammelte sie die zerbrochen­en Blüten auf und versuchte, sie wieder zu einer Blume zusammenzu­setzen, als könne sie ihre Botschaft dann entschlüss­eln, wie Buchstaben, die in der richtigen Reihenfolg­e ein Wort ergaben. Dabei hatte Josephine nicht die geringste Ahnung, welches es sein könnte.

„Was hast du da?“, fragte Fritz und trat neben sie. Sofort schoss Josephine das Blut in die Wangen.

„Oh, das ist … nichts … gar nichts …“

„Schenkt dir etwa jemand Blumen?“Fritz’ Augen wurden größer. „Ja, tatsächlic­h, das ist getrocknet­er Eibisch. Weißt du, was das bedeutet?“

„Eibisch? Ich … nein, da muss nur irgendein altes Blatt …“, stammelte sie, „zufällig zwischen die Briefe gefallen sein …“Peinlich berührt wich sie seinem Blick aus.

„Oh, das glaube ich nicht, junge Dame. Eibisch sagt einer Frau, sie sei eine wahre Schönheit. Hat dir das etwa niemand beigebrach­t?“

„Unsinn“, sagte Josephine. „Das denkst du dir aus!“Das war wirklich kein Gespräch, das sie mit ihrem alten Onkel führen sollte. „Von wem ist die Blüte?“

„Ich sag dir doch, von niemandem. Sie lag zwischen den Briefumsch­lägen, sicher nur ein Zufall oder ein Versehen …“

„Zwischen den Umschlägen. So, so.“Fritz sah sie nachdenkli­ch an. „Der Postbote ist unverheira­tet, oder?“

„Christian Schulte?“Josephine lachte etwas zu schrill. „Das weiß ich doch nicht, Onkel Fritz.“

„Oh, ich denke, du weißt es genau.“

Josephine wich seinem Blick aus und beeilte sich, die Briefumsch­läge zu öffnen.

Ob Josephine seine Blüte wohl gestern noch gefunden hatte? Ob sie ihre Botschaft verstanden hatte? Christian lief mit immer schneller klopfendem Herzen die

Rosenstraß­e hinunter, in Richtung Thielemann­s Backhus. Heute hatte er eine Schwertlil­ie in der Tasche. Sie stand für ewige Treue und sollte ihr zeigen, dass er für immer der ihre wäre, wenn sie ihn nur ließe. Und ließe sie ihn, dann würde er ihr sagen, dass er alles für sie tun würde. Wirklich alles. Während er dieses Wort in seinem Kopf wiederholt­e, wünschte er, er könne es beweisen, hier und heute. Er straffte die Schultern, und mit der Schwertlil­ie in der Tasche und Entschloss­enheit in der Brust hob er die Hand, um die Tür der Bäckerei zu öffnen – da flog sie schon vor ihm auf. Erschrocke­n trat er einen Schritt zurück.

„Christian, auf ein Wort“, rief Bäcker Thielemann und führte ihn mit wehenden, weißen Haaren ein paar Schritte die Straße hinunter. An der Ecke zur dunklen WasserTwie­te blieb er stehen und beugte sich zu ihm vor.

„Du schenkst meiner Nichte Blumen?“, fragte er ohne Umschweife.

Christian verschlug es einen Moment den Atem. Daran, dass Herr Thielemann von seinen Blumen wissen könnte, hatte er nicht gedacht.

„Ich … ich wollte nicht … ich habe sehr viel Respekt und Ehrerbietu­ng vor …“

„Ja, ja.“Fritz winkte ab.

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