Visionäres Projekt „Der Sandmann“feiert Premiere
Die Luxemburg-Premiere des kreativen Projekts im Mierscher Kulturhaus zeigt das Potenzial für große Kunst auf kleinem Raum
Maxime Weinmann schaut von seinem für das Publikum sichtbaren Werktisch neben der Bühne auf die Musiker und hört genau hin. Wenn die Mischung aus Live-Kamera, Tricktechnik und computergestützten Echtzeit-Projektion perfekt auf den musikalischen Akzenten liegen soll, braucht es eine mehr als gute Reaktionsfähigkeit seiner Hände. Es braucht auch das Gespür für das Gesamterscheinungsbild und die Abstimmung mit den Bühnenpartnern Andreas Mader an den Saxofonen und Christos Papandreopoulos am Klavier.
Insbesondere dann, wenn es auf jede Kleinigkeit ankommt; und selbst, wenn die Technik mal leicht stottert, nicht aus der Ruhe zu kommen; oder wenn einfach mal zwischen den vier aufgeführten musikalischen Werken eine kleine Pause nötig ist – gerade nach zum Teil kräftezehrenden Spieltechniken und komponierten Herausforderungen.
Besondere Aufmerksamkeit ist dann aber gleichzeitig auch den Musikern abverlangt, die wiederum in diesem visuell gestützten Konzert nicht nur auf ihr Spiel im Duo achten müssen. Sie werden in dem Konzept von Fly Theatre-Frontmann Robin Beer auch zu Akteuren mit kleinen Aktionen während des musikalischen Vortrags. Dann stößt das von Mader entsprechend bewegte Saxofon, obwohl es eigentlich hinter dem halbtransparenten Projektionsvorhang gespielt wird, plötzlich Flammen aus.
Das Theaterkonzert „Der Sandmann“, das am vergangenen Freitag im Mierscher Kulturhaus seine offizielle Luxemburg Premiere vor einem leider viel zu kleinen Publikum feiert, ist eine wunderbare Form voller Passion am kreativen Handwerk an den Grenzen zwischen den Genres. Es wirkt wie eine große Materialsammlung auf kleinem Raum, eine breitangelegte Reaktion auf die ebenso kreative und zeitlose Arbeit von E.T.A. Hoffmann.
Oder wie es das Programm zu Recht ausweist: „Die Texte von E.T.A. Hoffmann, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch Komponist war, sind voller musikalischer Bilder und visueller Reize. Anregung für die
Komponist:innen, neue Werke basierend auf der düsteren und unheimlichen Geschichtensammlung ,Nachtstücke’ – zu der auch der berühmte ,Der Sandmann’ gehört – zu schaffen.“
Und weiter: „Auf Grundlage dieser Musik kreiert der visuelle Künstler Robin Beer Projektionen in Echtzeit mit kleinen, aus Papier ausgeschnittenen Objekten, Zahnrädern oder seinen Händen. Auf die Bühne projiziert, erzeugen die Bilder ein Spiel von
Licht und Schatten und interagieren mit Raum und Musikern.“Um genau zu sein: Weinmann übernimmt die eigentliche Arbeit an den handgesteuerten Elementen bei den Live-Auftritten des Trios.
Liveperformance voller Anreize und Chancen
Das klingt alles so einfach. Doch bei den Proben im vergangenen Jahr – das Projekt entstand im Schulterschluss von Mier
scher Kulturhaus, dem Musikerduo, der Kompanie Fly Theatre und der Gaudeamus Muziekweek – zeigte sich das Fragile und die immense Mühe am Finetuning. Im Ergebnis aber ein lohnenswerter Vorstoß. Sicher wirkt diese Mischung, wirken diese Bilder dann auch verstörend, haarsträubend surreal und voller Mystik.
Oder wie es das Team ausdrückt: „Hoffmanns radikale Vorstellungskraft entfacht unerwartete Klänge und Bilder. Seine Fixierung auf die erhabene Liebe und die mechanischen Teile eines Automaten, Visionen von Schmetterlingen, die in Cembalos und Todesseufzern gefangen sind, sowie die unauslöschliche Obsession mit dem Bild des menschlichen Auges sind in der Inszenierung allgegenwärtig.“
Natürlich darf man bei all diesen Eindrücken die Frage stellen, was dann wirklich haften bleibt. Bilder haben es immer einfacher als der Klang. Auch wenn das Duo wunderbarste Nuancen und seine Kraft in den Ausdrucksmöglichkeiten unterstreicht. Selbst wenn die Bilder von Beer bewusst farblich oder inhaltlich reduziert werden, überlagern die Projektionen dennoch häufig die Musikansätze von Gerald Resch, Judit Varga, Nuno Lobo und Bianca Bongers.
Andererseits baut sich in dem einstündigen Experiment nicht wie in einem Film ein dramaturgischer Bogen auf – und wenn liegt dieser eher auf einer emotional-atmosphärischen Ebene als einer erzählerischen. Lohnt sich deshalb nicht der Versuch? Eben doch! Zeitgenössische Musik bekommt hier auch etwas Steigbügelhilfe. Im „nicht so stark in den Fokus stellen“steckt das Potenzial, sie weniger verkrampft wirken zu lassen.
Dass das Mierscher Kulturhaus einmal mehr die Geburt eines solchen kreativen Ansatzes unterstützt, ist generell neben dem Grundversorgen vor Ort wichtig. Das ist gleichsam eine Steilvorlage. Wer das aktuelle LW-Interview des neuen Kulturministers mit Nora Schloesser gelesen hat, hat den Fingerzeig auf die zu stärkende Rolle der regionalen Kulturzentren sicher wahrgenommen. Projekte und Residenzergebnisse wie „Der Sandmann“unterstützen diese Kulturpolitik – und das in einer cleveren Form, mit einer möglichen Strahlkraft weit über Mersch oder andere Gemeinden hinaus.