Luxemburger Wort

Visionäres Projekt „Der Sandmann“feiert Premiere

Die Luxemburg-Premiere des kreativen Projekts im Mierscher Kulturhaus zeigt das Potenzial für große Kunst auf kleinem Raum

- Von Daniel Conrad

Maxime Weinmann schaut von seinem für das Publikum sichtbaren Werktisch neben der Bühne auf die Musiker und hört genau hin. Wenn die Mischung aus Live-Kamera, Tricktechn­ik und computerge­stützten Echtzeit-Projektion perfekt auf den musikalisc­hen Akzenten liegen soll, braucht es eine mehr als gute Reaktionsf­ähigkeit seiner Hände. Es braucht auch das Gespür für das Gesamtersc­heinungsbi­ld und die Abstimmung mit den Bühnenpart­nern Andreas Mader an den Saxofonen und Christos Papandreop­oulos am Klavier.

Insbesonde­re dann, wenn es auf jede Kleinigkei­t ankommt; und selbst, wenn die Technik mal leicht stottert, nicht aus der Ruhe zu kommen; oder wenn einfach mal zwischen den vier aufgeführt­en musikalisc­hen Werken eine kleine Pause nötig ist – gerade nach zum Teil kräftezehr­enden Spieltechn­iken und komponiert­en Herausford­erungen.

Besondere Aufmerksam­keit ist dann aber gleichzeit­ig auch den Musikern abverlangt, die wiederum in diesem visuell gestützten Konzert nicht nur auf ihr Spiel im Duo achten müssen. Sie werden in dem Konzept von Fly Theatre-Frontmann Robin Beer auch zu Akteuren mit kleinen Aktionen während des musikalisc­hen Vortrags. Dann stößt das von Mader entspreche­nd bewegte Saxofon, obwohl es eigentlich hinter dem halbtransp­arenten Projektion­svorhang gespielt wird, plötzlich Flammen aus.

Das Theaterkon­zert „Der Sandmann“, das am vergangene­n Freitag im Mierscher Kulturhaus seine offizielle Luxemburg Premiere vor einem leider viel zu kleinen Publikum feiert, ist eine wunderbare Form voller Passion am kreativen Handwerk an den Grenzen zwischen den Genres. Es wirkt wie eine große Materialsa­mmlung auf kleinem Raum, eine breitangel­egte Reaktion auf die ebenso kreative und zeitlose Arbeit von E.T.A. Hoffmann.

Oder wie es das Programm zu Recht ausweist: „Die Texte von E.T.A. Hoffmann, der nicht nur Schriftste­ller, sondern auch Komponist war, sind voller musikalisc­her Bilder und visueller Reize. Anregung für die

Komponist:innen, neue Werke basierend auf der düsteren und unheimlich­en Geschichte­nsammlung ,Nachtstück­e’ – zu der auch der berühmte ,Der Sandmann’ gehört – zu schaffen.“

Und weiter: „Auf Grundlage dieser Musik kreiert der visuelle Künstler Robin Beer Projektion­en in Echtzeit mit kleinen, aus Papier ausgeschni­ttenen Objekten, Zahnrädern oder seinen Händen. Auf die Bühne projiziert, erzeugen die Bilder ein Spiel von

Licht und Schatten und interagier­en mit Raum und Musikern.“Um genau zu sein: Weinmann übernimmt die eigentlich­e Arbeit an den handgesteu­erten Elementen bei den Live-Auftritten des Trios.

Liveperfor­mance voller Anreize und Chancen

Das klingt alles so einfach. Doch bei den Proben im vergangene­n Jahr – das Projekt entstand im Schultersc­hluss von Mier

scher Kulturhaus, dem Musikerduo, der Kompanie Fly Theatre und der Gaudeamus Muziekweek – zeigte sich das Fragile und die immense Mühe am Finetuning. Im Ergebnis aber ein lohnenswer­ter Vorstoß. Sicher wirkt diese Mischung, wirken diese Bilder dann auch verstörend, haarsträub­end surreal und voller Mystik.

Oder wie es das Team ausdrückt: „Hoffmanns radikale Vorstellun­gskraft entfacht unerwartet­e Klänge und Bilder. Seine Fixierung auf die erhabene Liebe und die mechanisch­en Teile eines Automaten, Visionen von Schmetterl­ingen, die in Cembalos und Todesseufz­ern gefangen sind, sowie die unauslösch­liche Obsession mit dem Bild des menschlich­en Auges sind in der Inszenieru­ng allgegenwä­rtig.“

Natürlich darf man bei all diesen Eindrücken die Frage stellen, was dann wirklich haften bleibt. Bilder haben es immer einfacher als der Klang. Auch wenn das Duo wunderbars­te Nuancen und seine Kraft in den Ausdrucksm­öglichkeit­en unterstrei­cht. Selbst wenn die Bilder von Beer bewusst farblich oder inhaltlich reduziert werden, überlagern die Projektion­en dennoch häufig die Musikansät­ze von Gerald Resch, Judit Varga, Nuno Lobo und Bianca Bongers.

Anderersei­ts baut sich in dem einstündig­en Experiment nicht wie in einem Film ein dramaturgi­scher Bogen auf – und wenn liegt dieser eher auf einer emotional-atmosphäri­schen Ebene als einer erzähleris­chen. Lohnt sich deshalb nicht der Versuch? Eben doch! Zeitgenöss­ische Musik bekommt hier auch etwas Steigbügel­hilfe. Im „nicht so stark in den Fokus stellen“steckt das Potenzial, sie weniger verkrampft wirken zu lassen.

Dass das Mierscher Kulturhaus einmal mehr die Geburt eines solchen kreativen Ansatzes unterstütz­t, ist generell neben dem Grundverso­rgen vor Ort wichtig. Das ist gleichsam eine Steilvorla­ge. Wer das aktuelle LW-Interview des neuen Kulturmini­sters mit Nora Schloesser gelesen hat, hat den Fingerzeig auf die zu stärkende Rolle der regionalen Kulturzent­ren sicher wahrgenomm­en. Projekte und Residenzer­gebnisse wie „Der Sandmann“unterstütz­en diese Kulturpoli­tik – und das in einer cleveren Form, mit einer möglichen Strahlkraf­t weit über Mersch oder andere Gemeinden hinaus.

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Foto: Marco Borggreve Die Akteure des Abends: Andreas Mader (Saxofon) und Christos Papandreop­oulos (Klavier).
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Fotos: Eric Engel Technische­s und kreatives Handwerk greifen in „Der Sandmann“auf einzigarti­ge Weise ineinander.
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Wiederkehr­endes Motiv sind die Augäpfel, die im Endeffekt auch im Gedächtnis hängen bleiben.

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