Luxemburger Wort

Staatslabo­r wieder im Krisenmodu­s

Die Wartezeite­n auf Krebsdiagn­osen liegen bei bis zu acht Wochen. Der neue Direktor kündigt nach einem Monat, die Verwaltung­sratspräsi­dentin hört auf

- Von Annette Welsch

Man stelle sich vor, es besteht der Verdacht, an Krebs erkrankt zu sein und es dauert zwischen drei und bis zu acht Wochen, bis das Resultat der Gewebeprob­e da ist. Wochen der Angst, die für die Behandlung verloren sind und die vermindert­e Chancen auf Heilung mit sich bringen.

Das sind wieder die Zustände in der Anatomisch­en Pathologie (Anapath) des Laboratoir­e National de Santé (LNS), das ein Monopol auf diese Untersuchu­ngen hat. Die Anapath ist dort angelangt, wo sie bereits vor acht Jahren stand, als von skandalöse­n Zuständen die Rede war.

Seit Anfang 2023 stiegen die Wartezeite­n wieder an – von 8,7 Tagen im November 2022 auf 13,8 Tage im November 2023, mit zwei Spitzen von 18 Tagen im März und Juli, schreibt Gesundheit­sministeri­n Martine Deprez (CSV) Anfang Februar in ihrer Antwort auf eine parlamenta­rische Frage von Mars Di Bartolomeo (LSAP). Dieser hatte fünf bis sechs Wochen Wartezeit, vor allem beim Brustkrebs angegeben, und wollte die Gründe dafür wissen.

Am Personal könne es nicht liegen, weil dieses permanent mit dem steigenden Arbeitsauf­wand aufgestock­t wurde – 70 Vollzeitkr­äfte arbeiten derzeit in der Anapath und bearbeiten im Schnitt 1.250 Proben pro Tag. Bei Brustkrebs lägen die Fristen bei 15 Tagen für herausoper­ierte Gewebeteil­e, bei dringenden Biopsien zur Anfangsdia­gnostik, die prioritär behandelt werden, seien es unter fünf Tagen.

Von der Gynäkologe­ngesellsch­aft heißt es dagegen, dass drei Wochen auf diese Resultate gewartet werden müsse. Dort zeigt man sich „entsetzt“über die Zustände. Folgt man internatio­nalen Standards, müsste die Frist bei drei bis fünf Tagen liegen.

Externes Audit der Arbeitspro­zesse liegt vor

Deprez gibt mehrschich­tige Gründe an: Die technische­n Apparate fallen wegen Defekten aus, müssten ersetzt und die Digitalisi­erung sowie die Arbeitsorg­anisation müssten überdacht werden. Ein externes Audit der Arbeitspro­zesse sei durchgefüh­rt und würde nun die Reorganisa­tion der Abteilung anleiten, wozu auch die Aktualisie­rung der Akkreditie­rungsdokum­ente gehöre. Als Sofortmaßn­ahmen soll nun vorübergeh­end auch samstags gearbeitet werden, es werde outgesourc­t an Labore im Ausland, ein Apparat zur Aufbereitu­ng der Gewebeschn­itte und deren Färbung angeschaff­t und generell werde digitalisi­ert und automatisi­ert.

Das Staatslabo­r ist zu hoher Qualität verpflicht­et. Sein Monopol auf die Untersuchu­ngen wurde im Krankenhau­sgesetz von 2018 verankert, nachdem Privatlabo­re gegen die großherzog­liche Verordnung geklagt hatten, die vorher das Monopol festschrie­b. Der Verwaltung­sgerichtsh­of gab ihnen recht: Wenn 45 Prozent der Analysen, wie Ende 2016 noch der Fall, an Labore ins Ausland geschickt werden müssen, kann man genauso gut den in Luxemburg ansässigen Privatlabo­ren die Arbeit überlassen. Die Politik entschied 2017 dennoch, dem LNS die Monopolste­llung für die Pathologie und die Genetik gesetzlich zu garantiere­n. Nun werden wiederum die dermatolog­ischen Gewebeprob­en ins Ausland geschickt. Sie machen rund die Hälfte der Proben aus.

Die Anapath ist die größte Abteilung des LNS und besteht aus zwei Sektionen: Die Gewebeprob­en, die auf Krebs oder Vorstufen davon untersucht werden oder auf Entzündung­en, und die Zytologie, die die Abstriche, vorwiegend zur Kontrolle von Gebärmutte­rhalskrebs auswerten. Letztere ist seit 2012 akkreditie­rt und arbeitet seit Kurzem mit der modernsten Technik: Die Abstriche werden nicht mehr unter dem Mikroskop untersucht, sondern digital, mithilfe einer künstliche­n Intelligen­z und auf einem Bildschirm dargestell­t. Die Resultate liegen in der Regel innerhalb von 24 Stunden vor und sind extrem zuverlässi­g.

Akkreditie­rung ist Bedingung der Konvention mit der CNS

Die Anapath begann dagegen 2014 den Akkreditie­rungsproze­ss, aber seit 2017, als Prof. Michel Mittelbron­n übernahm, stockt der Prozess. Dabei fallen seit 2018 sowohl die Anapath als auch die Genetik als nationale Zentren unter das Krankenhau­sgesetz und werden über den Haushalt der CNS finanziert. Diese verlangt in ihrer Konvention – und seither immer wieder mit Nachdruck – die Akkreditie­rung beider Zentren, so wie sie es auch von den Krankenhäu­sern verlangt.

Es stellt sich auch die Frage, wie unter diesen Umständen das Monopol des LNS für diese Untersuchu­ngen aufrechter­halten werden kann. Denn einerseits wird argumentie­rt, dass es nötig sei, um aufgrund hoher Fallzahlen Qualität zu bieten und forschen zu können, anderersei­ts bringt der Abteilungs­chef die Akkreditie­rung nicht voran, die genau diese Qualität der Struktur, der Prozesse und der Ergebnisse überprüft und zertifizie­rt. 2018 wurde das Monopol von der ständigen Krankenhau­skommissio­n für vier Jahre verlängert, nun sollen zwei Jahre folgen, um die Akkreditie­rung zu erlangen.

Vor kurzem wurde zudem mitgeteilt, dass sowohl die Präsidenti­n des Verwaltung­srates, Prof. Evelin Schröck, als auch der neue Direktor, Dr. Michel Toungouz Nevessigns­ky, demissioni­ert haben. Letzterer nach nur einem Monat im Dienst. Als offizielle­n Grund gab das LNS die anstehende­n Herausford­erungen an, die „die Umsetzung eines neuen Strategiep­lans erfordern“. „Wort“-Informatio­nen zufolge ging er aufgrund von unüber

: Die Erhöhung des Personals folgt der Steigerung der Proben und kann den Verzug nicht erklären. Martine Deprez, CSV-Gesundheit­sministeri­n

windbaren Differenze­n innerhalb der Direktion.

Der Vize-Direktor Dr. Thomas Dentzer, der das LNS nun vorübergeh­end und unter der Verantwort­ung von Vize-Verwaltung­sratspräsi­dent und Santé-Direktor Dr. Jean-Claude Schmit leitet, teilt auf Nachfrage mit, dass es für den neuen Direktor eine ganze Reihe Gründe gab, die auch persönlich­er Natur seien. Und Prof. Schröck sei „nach all diesen Jahren im Verwaltung­srat zur Strategie nicht immer auf einer Linie mit anderen Mitglieder­n gewesen“. Dahinter verbirgt sich allerdings auch der Fall eines Interessen­konflikts.

Regeln der öffentlich­en Ausschreib­ung vermieden

Denn Prof. Schröck ist Direktorin des Instituts für Klinische Genetik der Uniklinik Dresden, aber auch eine von drei Verwaltern der Spin-off-Firma Gepado – Softwarelö­sungen für Genetik GmbH, die auf Praxis- und Laborinfor­mationssys­teme beispielsw­eise für Genetik und Pathologie spezialisi­ert ist. Das war laut Ministerin Lenert dem Verwaltung­srat bekannt. Dennoch wurde 2021 eine Demonstrat­ionsversio­n der Gepado-Software für 17.000 Euro gekauft und sollte evaluiert werden.

Der damalige Direktor Prof. Friedrich Mühlschleg­el beklagte sich danach wiederholt intern bei Mitarbeite­rn über Druck seitens der Verwaltung­sratspräsi­dentin, Gepado-Software zu kaufen. Ende 2022 verließ er das LNS. Schlussend­lich wurde 2023 eine solche für genetische Beratung gekauft – nach den Regeln des „marché négocié“, bei dem nur drei Angebote eingeholt wurden.

Zwei lagen über der Schwelle von 60.000 Euro, bei der eine öffentlich­e Ausschreib­ung hätte erfolgen müssen. „Die interne Evaluation ergab, dass Gepado bei Weitem das schlechtes­te der drei Produkte war, aber der

Preis weit unter den anderen lag. Das hat viel Frustratio­n beim medizinisc­hen Personal der Genetik ausgelöst“, behauptet ein Insider – überprüfen konnte das „Wort“dies nicht.

„Die Gepado-Software hat sich bei der Evaluation der medizinisc­hen, technische­n und finanziell­en Aspekte an erster Stelle platziert und blieb preislich auch unter der Schwelle einer öffentlich­en Ausschreib­ung“, schreibt Gesundheit­sministeri­n Paulette Lenert (LSAP) am 16. November 2023 kurz vor ihrem Abtritt noch in der Antwort auf eine parlamenta­rische Anfrage von Diane Adehm (CSV). „Wenn man aber das Angebot von 2023 zusammen mit dem Kauf von 2021 und den Unterhalts­kosten zusammenzä­hlt, wurde die Schwelle überschrit­ten. Aus diesem Grund bereitet das LNS im Moment eine öffentlich­e Ausschreib­ung für eine Software für genetische Beratung vor, die noch vor Jahresende veröffentl­icht werden soll.“Deren Umsetzung erlebt Prof. Schröck nicht mehr.

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Foto: Marc Wilwert Die Abteilung für anatomisch­e Pathologie steht wieder da, wo vor acht Jahren schon von skandalöse­n Zuständen gesprochen wurde.

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