„Kuba ist bankrott!“
Weil die Staatskassen leer sind, kürzt Havanna beim Volk. Schuld an der Misere seien allerdings die „Terroristen in den USA“
Es sind verwackelte Handyvideos aus Kuba, die im Internet kursieren. Darauf sieht man wütende Männer und Frauen, die am Sonntag in Santiago de Cuba durch die Straßen ziehen und immer wieder zwei Worte rufen: „Strom“und „Lebensmittel“. Und dann wiederholen sie auch den Slogan gegen die kommunistische Regierung: „Patria y vida“, „Heimat und Leben“. Die Parole ist bekannt aus dem Sommer 2021, als am 11. und 12. Juli Tausende Menschen überall auf der Insel auf die Straßen gingen, um teilweise gewalttätig gegen die Mangelwirtschaft, Corona-Restriktionen und für mehr Freiheitsrechte zu protestieren. Die Demonstrationen wurden anschließend mit drastischen Gefängnisstrafen für Hunderte Menschen geahndet, von denen viele noch heute in Haft sitzen.
Die Proteste am Sonntag in Kubas zweitgrößter Stadt ganz im Osten der Insel waren die größten seit 2021. Die Regierung versuchte umgehend, das Internet zu kappen, damit der Funke nicht über soziale Netzwerke oder Kurznachrichten auf andere Provinzen überspringt. Allerdings berichtete die spanische Tageszeitung „El País“, am Sonntagabend (Ortszeit) seien auch in den Provinzen der Hauptstadt Havanna, in Bayamo und Artemisa Menschen unter dem Ruf nach „Freiheit“auf die Straße gegangen.
Mangelwirtschaft
Offene Proteste kommen in Kuba kaum vor, haben in den vergangenen Jahren aber aufgrund der dramatischen Wirtschaftskrise zugenommen. Die Insel leidet unter stundenlangen Stromabschaltungen, Benzinknappheiten und chronischen Nahrungsmittelengpässen. Die kubanische Wirtschaft schrumpfte 2023 um zwei Prozent, während die Inflation 30 Prozent erreichte. Seit Zeiten der Pandemie verschlimmert sich die wirtschaftliche und soziale Lage auf der kommunistisch regierten Karibikinsel stetig. Die Produktion fast aller Güter und Waren sinkt kontinuierlich, dafür steigen die Preise stetig. Wer kann, der geht. Vor allem gut ausgebildete jüngere Kubanerinnen und Kubaner wollen vor allem in den USA ein besseres Leben suchen.
Der kubanische Präsident Miguel Díaz-Canel bestätigte die Proteste im Kurznachrichtendienst X. Er schrieb, die Situation werde von Feinden der Revolution und vor allem von „Terroristen in den USA“angeheizt, um das Land zu destabilisieren. Gegenüber den Protestie
rern zeigte sich der Präsident aber ungewohnt konziliant. „Die Partei, der Staat und die Regierung sind bereit, zuzuhören und auf die Forderungen unseres Volkes einzugehen.“Seine Regierung unternehme „zahlreiche Schritte“zur Verbesserung der Situation. An manchen Orten stellten sich die lokalen Kader der Kommunistischen Partei den Unzufriedenen und versuchten, die Menschen zu beruhigen. Schon das ist ein selten gesehenes Bild auf Kuba. Allerdings glaubt kaum noch jemand diesen Beschwichtigungen, zu desaströs ist die Lage auf dem letzten kommunistischen Vorposten in der westlichen Welt.
Interne und externe Faktoren
Auch in größeren Städten gibt es oft kaum mehr als drei Stunden Strom am Tag. Von Februar an strich der Staat zudem massiv staatliche Hilfen zusammen. Bis dahin hatte er fast alle lebenswichtigen Güter und Dienstleistungen für die Bevölkerung subventioniert. Die Regierung machte aber bereits Ende Dezember unmissverständlich klar, dass damit nun Schluss sei. Es ist schlicht kein Geld mehr da. Kuba ist bankrott.
Externe Faktoren, aber auch hausgemachte Fehler, bedingen den Kollaps. Besonders hart trifft die Inselwirtschaft, dass der in der Pandemie eingebrochene Tourismus nicht wirklich anspringt. Vergangenes Jahr kamen nach offiziellen Angaben gerade mal knapp 2,4 Millionen Besucher auf die Insel. Davon waren 350.000 aber im Ausland lebende Kubanerinnen und Kubaner. 2019 waren noch 4,2 Millionen Besucher gekommen. Zudem stockt die Bruderhilfe von Ländern wie Venezuela.
Infolge der dramatischen Versorgungslage verkaufen die Menschen oft Haus und Hof und kehren der Insel den Rücken. Mindestens eine Million Kubanerinnen und Kubaner sind seit 2021 gegangen. Laut der Nichtregierungsorganisation WOLA (Washingtoner Büro für Lateinamerika) sind allein in den beiden vergangenen Jahren etwa 425.000 kubanische Migranten in den USA angekommen, weitere 36.000 beantragten Asyl in Mexiko.
Externe Faktoren, aber auch hausgemachte Fehler, bedingen den Kollaps.