Die CDU startet schon mal in den Wahlkampf
Wenn alles regulär verläuft, wählt Deutschland erst in eineinhalb Jahren. Die Friedrich-Merz-Partei testet trotzdem schon mal, was beim Publikum ankommen könnte
Den Jubiläumstag haben sie knapp verpasst. Aber 21 Jahre sind ja auch eine eher krumme Zahl. Am 14. März 2003 gab der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag eine Regierungserklärungserklärung ab, deren Titel längst vergessen ist: „Mut zum Frieden und zur Veränderung“. Ihr Inhalt allerdings ist zugleich legendär und realitätsprägend bis heute: Nicht nur, aber auch, weil die Umsetzung dessen, was Schröder ankündigte, seine Partei, die SPD, fast ruinierte — seiner Nachfolgerin Angela Merkel und ihrer CDU aber goldene Jahre bescherte.
Im 13. Satz avisierte Schröder eine Veränderung, deren Auswirkungen niemand absah — auch nicht er selbst. „Wir werden“, sagte Schröder, „Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“Es war die Bekanntgabe einer Reform, die bei den Regierten bis heute „Hartz IV“heißt — obwohl ihr richtiger Name „Arbeitslosengeld 2“war; und dieses ALG 2 — das Menschen, die noch nie gearbeitet hatten und es oft auch nicht wollten, auf eine Stufe stellte mit solchen, die arbeitslos wurden und ebenso verzweifelt wie vergebens einen neuen Job suchten — obendrein nur ein sehr kleiner Teil des gesamten Werks namens „Agenda 2010“. Ein Teil allerdings, den die Republik pars pro toto nahm, und den selbst Nichtbetroffene als maximal ungerecht empfanden.
Eine „Agenda 2030“
Das alles muss man wissen, um zu verstehen, weshalb es spannend ist, wenn die größte deutsche Oppositionspartei am 18. März 2024 eine „Agenda 2030“aufzulegen beginnt — deren Ziel der Wiedereinzug der CDU ins gerade erneut von der SPD besetzte Kanzleramt ist. Und weshalb besonders spannend, dass der erste Teil dieser neuen, christdemokratischen Agenda sich anlehnt an die Ideen des Sozialdemokraten Gerhard Schröder — und jene des Sozialdemokraten Olaf Scholz konterkariert.
Der hat, als Chef der Ampel-Koalition und unter Federführung des SPD-Arbeitsministers Hubertus Heil, Hartz IV alias ALG 2 mit Parlamentsmehrheit abgeschafft und ersetzt durch das „Bürgergeld“. Dessen Ansatz ist, zusammengenommen: Kooperation statt Sanktionen. Unter anderem wurden der Leistungsentzug gestrichen, die Regelsätze und das sogenannte Schonvermögen erhöht und, auch angesichts der Wohnungsnot in Deutschland, wird nun für begrenzte Zeit die Miete auch für nach dem Gesetz zu große Wohnungen bezahlt.
Das Ganze trat zum 1. Januar 2023 in Kraft — und die Opposition schäumte von Anfang
: Und nun also tritt die CDU an zur Rücknahme der Rücknahme von Hartz IV.
an. Der Linken ist’s zu wenig, CDU und CSU viel zu viel, die AfD hält das Bürgergeld für eine Hängematte für Migranten.
Und nun also tritt die CDU an zur Rücknahme der Rücknahme von Hartz IV. „Neue Grundsicherung“klebt sie als Etikett darauf. Inhalt: „Gesunder Menschenverstand“, sagt Generalsekretär Carsten Linnemann, und „CDU pur“. Im Zentrum stehen, das muss man annehmen, so oft wie das Wort fällt, die „Totalverweigerer“. Menschen also, die Termine beim Jobcenter ignorieren oder „zumutbare Arbeit“verweigern. „Eine kleine Anzahl von Menschen“, sagt der ehemalige Präsident des Bundessozialgerichts und Christdemokrat Rainer Schlegel, „die mit ihrem Verhalten das gesamte System diskreditieren und seine Akzeptanz gefährden.“
Lohnt sich Arbeit noch?
Nun kann man fragen, ob eine kleine Minderheit einen großen Schritt zurück rechtfertigt. Die Antwort gibt, eher versehentlich, Josef Laumann, Chef der Arbeitnehmer in der CDU und Arbeits- und Sozialminister in NRW. „Man hat eben“, sagt er, „die Debatte in der Bevölkerung da, auch in den Medien da.“„Die Debatte“dreht sich darum, ob sich arbeiten noch lohnt. Weil das Bürgergeld zusammenfiel mit starker Inflation, explodierenden Energiekosten und ständig steigenden Mieten, glauben viele das nicht. Da mögen Experten noch so oft das Gegenteil vorrechnen — oder Gitta Connemann, die ChefMittelständlerin der CDU, wenn auch ebenfalls eher versehentlich: „Mit einem kleinen Nebenjob schwarz auf die Hand, 400, 500 Euro“habe der Bürgergeld-Bezieher eben mehr „als der, der regulär arbeitet“. Nur ist Schwarzarbeit, ohne sie anzugeben, kein Zuverdienst, sondern Leistungsbetrug.
Kommt natürlich trotzdem vor; ist nur nicht Verantwortung des Bürgergelds. Solche Details aber würden der CDU die ganze schöne Tour versauen. Was sagt also Generalsekretär Linnemann auf die Frage, was denn nun die christdemokratische Agenda 2030 von Schröders Agenda 2010 unterscheide? „Wir haben einen Plan — die Bundesregierung hat keinen.“Das ist, einerseits, natürlich keine Antwort. Aber gerade deswegen, andererseits, die allerwichtigste. Die CDU hat ihren Wahlkampf begonnen, 18 Monate vor der nächsten Bundestagswahl. Und ohne Kanzlerkandidaten. Friedrich Merz, übrigens, ist zur öffentlichen Agenda-Ausrufung nicht da.