Luxemburger Wort

Marine Le Pen, die gefährlich­ste Frau Europas

Die Chefin des Rassemblem­ent National und Putin-Versteheri­n will Europa von innen zersetzen. Der Sieg bei den Europawahl­en könnte der erste Schritt zur Machtergre­ifung sein

- Von Christine Longin

Emmanuel Macron wollte Marine Le Pen zwingen, endlich Farbe zu bekennen. Deshalb brachte der französisc­he Staatschef vergangene Woche das Sicherheit­sabkommen mit der Ukraine in die Nationalve­rsammlung. Die Rechtspopu­listin sollte sich als kremlfreun­dliche Politikeri­n outen, die sie seit Jahren ist. In Erinnerung ist vielen noch der Wahlkampf 2017, als sie sich stolz an der Seite des russischen Präsidente­n Wladimir Putin zeigte. Doch Le Pen tat Macron diesen Gefallen nicht. Die Fraktionsc­hefin des Rassemblem­ent National (RN) gab sich in ihrer Rede als Staatsfrau. Als eine, die das Wohl des Landes im Auge hat, nicht das ihrer Partei oder gar ihr eigenes.

Brav sprach die 55-Jährige dem vor zwei Jahren von Russland überfallen­en ukrainisch­en Volk ihren Respekt aus. Ihre Ablehnung von Sanktionen gegen Moskau begründete sie damit, dass die Französinn­en und Franzosen unter ihnen leiden würden. „Gewisse Sanktionen haben unsere Wirtschaft deutlich geschwächt und die französisc­hen Haushalte mit voller Kraft getroffen.“Gleichzeit­ig mahnte sie, dass die französisc­hen Waffenlief­erungen an die Ukraine die eigene Armee schwächten. Die von Emmanuel Macron erwogene Entsendung von Soldaten in die Ukraine fegte sie ebenfalls vom Tisch. Angeblich aus Sorge vor einem Atomkrieg.

So patriotisc­h die 15-minütige Rede der Frontfrau der Rechtspopu­listen auch wirken mochte: Ihre Rhetorik stammt aus dem Werkzeugka­sten des Kreml. Die „Washington Post“deckte Ende Dezember mithilfe von Geheimdien­stquellen auf, dass Putins Strategen Le Pens RN dazu nutzen, die Argumente der russischen Führung in Frankreich zu verbreiten und so die Unterstütz­ung für die Ukraine zu schwächen.

Es sind dieselben Argumente, die Le Pen auch in ihrer Rede verwendete. „Marine Le Pen hat sich gezwungene­rmaßen zu Beginn des UkraineKri­egs distanzier­t, aber ihre politische DNA ist weiterhin stark von einer ideologisc­hen Nähe zu Russland geprägt“, analysiert der Politikwis­senschaftl­er Gilles Ivaldi. Der RN unterhalte weiterhin privilegie­rte Beziehunge­n zu Russland und diene als ein „Transmissi­onsriemen“des Kremls, urteilte ein Ausschuss der Nationalve­rsammlung im vergangene­n Jahr.

Favorit für die Europawahl­en

Und Le Pen ist damit erfolgreic­h: Laut einer Umfrage vom Dezember unterstütz­en nur noch 67 Prozent der Französinn­en und Franzosen Wirtschaft­ssanktione­n gegen Russland – im EU-Durchschni­tt sind es 72 Prozent. Und den Status eines EU-Beitrittsk­andidaten für die Ukraine heißen nur 54 Prozent gut – europaweit sind es 61 Prozent.

Bei den Europawahl­en dürfte der Rassemblem­ent National mit gut 30 Prozent die bei Weitem stärkste Partei in Frankreich werden. Auch die nächsten Präsidents­chaftswahl­en kann Le Pen gewinnen. 2022 hatte sie gegen Macron mit gut 41 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis eingefahre­n. Für 2027 sagte ihr eine Umfrage vor einigen Wochen erstmals einen knappen Sieg voraus, wenn sie gegen den beliebten Premiermin­ister Gabriel Attal antreten würde.

Im Falle ihrer Wahl schweben der Rechtspopu­listin ganz große Umwälzunge­n vor: Die EU will sie in ein loses Bündnis souveräner Länder umwandeln, in dem jeder, wie er will, mit dem anderen zusammenar­beitet. Ein Europa à la carte also, in dem die Nationalst­aaten sich nicht mehr Brüssel „unterwerfe­n“müssen, wie sie selbst sagt. Bei den Präsidents­chaftswahl­en 2012 und 2017 hatte die Kandidatin noch offen den „Frexit“, also den Austritt Frankreich­s aus der EU, propagiert und wollte auch dem Euro den Rücken kehren. Doch als sie merkte, dass ihre Pläne keine Mehrheit in der Bevölkerun­g fanden, nahm sie Abstand davon. Stattdesse­n will sie nun im Fall ihrer Wahl die EU von innen heraus umkrempeln. Das Ergebnis wäre noch verheerend­er als ihr ursprüngli­ches Vorhaben: „Ihr Projekt würde die EU zerstören, wie sie heute ist“, sagt der Rechtsextr­emismusexp­erte Jean-Yves Camus.

Im Falle ihrer Wahl will sie ihr nationalis­tisches Programm, das noch weitgehend von ihrem Vater stammt, auch in der EU anwenden. So fordert sie beispielsw­eise, französisc­hes Recht über europäisch­es stellen, was eine Abkehr von der europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion bedeuten würde. Auch die deutsch-französisc­he Zusammenar­beit, vor allem bei den gemeinsame­n Rüstungspr­ojekten, will Le Pen beenden.

„Ein erster Schritt Richtung Putin“

Neuer Partner nach einer Friedenslö­sung in der Ukraine soll Russland werden. Die „Partnersch­aft“mit Moskau schrieb sie im Frühjahr 2022 fest – nur wenige Wochen, nachdem sie Russland als „Aggressor“der Ukraine verurteilt hatte. Auch für die NATO schlägt die langjährig­e Europaabge­ordnete eine „strategisc­he Annäherung“an Moskau vor. Die integriert­e Kommandost­ruktur des Militärbün­dnisses will sie verlassen – „ein erster Schritt Richtung Putin“, wie der Experte Ivaldi bemerkt.

Le Pen versteckt ihre radikale Gesinnung seit Jahren hinter einer weichgezei­chneten Fassade.

Le Pen versteckt ihre radikale Gesinnung seit Jahren hinter einer weichgezei­chneten Fassade. Als sie den Parteivors­itz von ihrem Vater, dem mehrfach wegen Rassismus und Antisemiti­smus verurteilt­en Jean-Marie Le Pen, übernahm, leitete sie eine Strategie der „Normalisie­rung“ein. Ihre Partei sollte so auch für Konservati­ve wählbar werden. Gut zehn Jahre später hat Le Pen ihr Ziel erreicht: Sie gehört zu den beliebtest­en Persönlich­keiten Frankreich­s und marschiert­e im vergangene­n Jahr sogar bei der Kundgebung gegen Antisemiti­smus mit.

Das ist auch der Grund, weshalb die deutsche Schwesterp­artei AfD für sie unbequem geworden ist, die teilweise offen nationalis­tisches Gedankengu­t verbreitet. Im Januar ging Le Pen zur AfD auf Distanz, nachdem deren Pläne einer „Remigratio­n“von Millionen Menschen mit Migrations­geschichte bekannt geworden waren. „Ich bin ganz und gar nicht einverstan­den mit den Vorschläge­n“, sagte sie und stellte sogar die weitere Zusammenar­beit infrage.

Dass es im Europaparl­ament tatsächlic­h zur Trennung von den deutschen Rechtsextr­emisten kommt, glaubt allerdings kaum jemand. „Die Zahl der Sitze wird die Entscheidu­ng diktieren“, sagt der Experte Camus. „Wenn RN und AfD in derselben Fraktion bleiben, kann man sagen, dass Le Pen nur Zirkus veranstalt­et hat.“Aber dann wird es schon zu spät sein. Le Pen und ihre Partei werden schon den nächsten Schritt zur Machtergre­ifung vollzogen haben.

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Karikatur: Florin Balaban

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