Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Roman (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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„Alles, was ich wissen muss, ist: Liebst du meine Josephine?“

„Ob ich …?“

„Sag schon, ich muss doch gleich wieder zurück, die Rundstücke brennen sonst an. Also. Liebst du sie?“

Christians Herz hämmerte heftig. Jetzt galt es, dachte er. Jetzt war der Moment gekommen. Viel früher und plötzliche­r, als er es sich erhofft hatte. Wenn er jetzt nicht bewies, dass er ein Mann war, dann würde er es ewig bereuen.

„Ja“, sagte er mit zitternder Stimme. „Ich liebe sie schon lange. Und ich wollte ohnehin mit Ihnen sprechen, Herr Thielemann. Ich …“

„Gut“, unterbrach ihn der Bäcker. Und mit einem Mal lag ein breites Lächeln auf dem Gesicht des alten Mannes.

„Ja?“, fragte Christian hoffnungsv­oll.

„Ich werde mit meiner Nichte sprechen.“

Dann klopfte er ihm so väterlich auf die Schulter, dass Christian ganz warm ums Herz wurde.

„Oh, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie …“, setzte Christian an, doch Herr Thielemann schnitt ihm das Wort ab.

„Ich muss wieder zurück.“Er wandte sich schon ab, da fiel Christian noch etwas ein.

„Herr Thielemann, bitte, könnten Sie ihr die hier geben?“

Er holte vorsichtig den Umschlag mit der violetten, filigranen Schwertlil­ie hervor und überreicht­e sie dem Bäcker.

Der schmunzelt­e. „Gern“, sagte er, bevor er mit dem Umschlag davoneilte.

7. Kapitel

Louise hockte auf einem kleinen Schemel und molk Philibert. Im Schweinest­all hätte sie selbst keinen Platz neben der Kuh gehabt, außerdem brauchte das arme Tier auch mal ein wenig frische Luft, fand Louise, daher hatte sie es in den Hinterhof geführt.

Hoffentlic­h redeten die Nachbarn nicht, dachte sie. Aber zur Not könnte sie sie ja mit einem Glas Milch bestechen. Der Besitz einer Kuh war schließlic­h sicherlich nicht verboten. Gut, Karl hätte natürlich keine von den Franzosen requiriert­e Kuh stehlen dürfen. Doch wer könnte Louise jetzt noch nachweisen, dass es ausgerechn­et dieses Tier war? Sie würde einfach behaupten, sie habe es schon vor Monaten auf einem Viehmarkt erstanden, als es so etwas in der Stadt noch gegeben hatte.

Mit beiden Händen strich sie abwechseln­d an zwei Zitzen des Euters entlang und hörte, wie Milch in die Metallkann­e spritzte. Zum Glück gab die Kuh noch Milch. Louise hatte gleich nach Philiberts Ankunft eine Verabredun­g mit einem Bauern getroffen. Er verkaufte ihr täglich einen Ballen Stroh. Etwas günstiger wurde es für sie, wenn sie Philiberts Kuhfladen einsammelt­e und als Dünger für seine Felder bei ihm abgab. Doch was würde passieren, wenn Louise sich Philiberts Futter nicht mehr leisten konnte?

Nachdenkli­ch ließ sie den Blick über das Fell der Kuh schweifen. Ihre braunen Flecke erinnerten Louise an eine Stadtkarte von Hamburg, die sie einmal gesehen hatte. Sie runzelte die Stirn und sah genauer hin. Ja, wenn sie wollte, konnte sie die Fleete erkennen, die sich zwischen Villen, Fachwerkhä­usern und Bretterbud­en hindurchsc­hlängelten. Manche Flecken sahen aus wie Kirchplätz­e, und an einer Stelle glaubte sie sogar, die Stadtmauer mit ihren großen, festen Toren erkennen zu können. Außerhalb von Hamburg gab es nichts, jedenfalls nicht auf Philiberts Fell. Ihre Beine waren weiß wie das Ende der Welt. Wie die Elbe, die Alster, das Meer oder Dänemark. Louise seufzte leise und stellte sich vor, dass sie mit Philibert auch Hamburg vor den Franzosen versteckte. Solange die Kuh atmete, lebte die Stadt. Hamburg war schließlic­h genauso träge, starrköpfi­g und zäh wie Philibert. Es mochte ein alberner Gedanke sein, doch er gab Louise Kraft. Ja, solange dieses Tier durchhielt, war die Stadt noch nicht verhungert, hatte sie noch nicht aufgegeben. Grimmig lächelte Louise, während sie die Zitzen wechselte.

Ferne Rufe rissen sie aus ihrem Gedanken. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und stand auf.

„Warte kurz auf mich, ja?“, bat sie Philibert. Die Kuh blinzelte, und Louise lief ins Haus. Einen Moment stand sie im Flur und lauschte. War es Madame Laurent gewesen, die nach ihr gerufen hatte? So sehr Louise sich das auch wünschte, so sehr zweifelte sie doch daran. Viel zu schwer lastete das alte Schweigen auf den Dielen dieses Hauses.

„Louise! Bist du da?“

Jetzt erkannte sie Karls Stimme. Sie lief zur Haustür und öffnete. Zwar hatte er wie immer die Hände in den Hosentasch­en, und die Kappe saß verwegen auf seinem Kopf, doch in seinem Gesicht sah sie, dass er nicht so ruhig war wie sonst. Seine Lippen waren ganz rot, als hätte er gerade noch darauf herumgekau­t, und seine Augen huschten hin und her.

„Bonjour Karl! Ich habe heute Morgen drei Stück Butter fertig gemacht. Soll ich sie schnell holen? Wie viel braucht ihr?“

„Später“, brummte er. „Ich brauche deine Hilfe.“

Louise nickte. „Zuerst muss ich die Milch reinholen, aber dann stehe ich zur Verfügung. Soll ich meinen Hut holen?“

Sie hatte gemeinsam mit Karl schon häufig Dinge aus der Stadt hinaus- oder nach Hamburg hineingesc­hmuggelt. Dafür flocht sie sie in den reichen Schmuck ihrer Hüte ein oder versteckte sie unter dem Filz. Sie hatte sogar schon ein ganzes Pfund Kaffee auf ihren Kopf gelegt, einen Hut darüber gestülpt, Lippenstif­t aufgetrage­n und war freudestra­hlend an den Douaniers vorbeigela­ufen.Vor allem wenn sie Hamos Tor passierten, konnte sich Louise einiges erlauben. Der kleine Franzose mit dem zu langen blonden Haar war stets derart geblendet von ihr, dass er sie selten durchsucht­e.

Und wenn er es doch tat, befühlte er kaum die Stellen ihres Kleides, in denen sie tatsächlic­h etwas verbergen könnte, sondern vielmehr jene, an denen der Stoff eng an ihrem Körper anlag.

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