Liebe im Angesicht der Alzheimer-Krankheit
Beim LuxFilmFest lief ein herzzerreißendes Porträt eines Betroffenen. Dazu ein Mailaustausch der Kultur-Redakteure Nora Schloesser und Marc Thill
Augusto Góngora und Paulina Urrutia sind seit 25 Jahren zusammen. Vor acht Jahren wurde bei Augusto die Alzheimer-Krankheit diagnostiziert. Der in Chile bekannte ehemalige Journalist war nach der Pinochet-Diktatur für den Aufbau von Archiven verantwortlich. Die
Von: Nora Schloesser (nos) An: Marc Thill (mt)
Datum: 13.-14. März 2024 Betreff: Alzheimer-Film
nos: Hallo Marc, hattest du die Möglichkeit, dir während des LuxFilmFests „The Eternal Memory“von Maite Alberdi anzusehen? Ich weiß, du hattest ein volles Programm, aber ich hoffe sehr, dass du es noch in diesen Film geschafft hast. Ich persönlich fand die Doku sehr bewegend (ich hatte stellenweise sogar mit den Tränen zu kämpfen) und würde sie jedem empfehlen. Mich würde brennend interessieren, was du von dem Film hältst. Bis bald.
mt: Hallo Nora, auf dein Anraten hin habe ich tatsächlich diesen Film noch zusätzlich in mein ganz persönliches Festivalprogramm der vorigen Woche aufgenommen und mir deshalb an einem Kinoabend gleich zwei Filme angeschaut. Auf deine Frage: Ja, mir hat der Film sehr gut gefallen. Er hat mich, und vermutlich viele andere auch, ganz besonders berührt.
Ich hatte schon den vorigen Film der chilenischen Filmemacherin und Dokumentarfilmerin Maite Alberdi, der vor zwei Jahren beim Luxembourg City Film Festival im Wettbewerb war, gesehen, und auch der war wirklich außergewöhnlich. „El agente topo“heißt dieser und er handelt von einem 83-Jährigen, der als verdeckter Ermittler in ein Altersheim eingeschleust wird, um
Dokumentarfilmerin Maite Alberdi zeigt in ihrem Film „The Eternal Memory“, wie beide versuchen, mit Zärtlichkeit und Humor, gegen die nervenaufreibende Krankheit anzukämpfen. Der Film hat viele bereits berührt – uns auch. dort Missbrauchsfälle aufzudecken. Die findet er zwar nicht, aber er deckt das Problem der Vereinsamung alternder Menschen auf, was das eigentliche Thema dieses Dokumentarfilmes ist. Es ist eine Mischung aus Dokumentar- und Spionagefilm, demnach ein sehr innovatives und gewagtes Projekt, und genauso gewagt ist nun auch „The Eternal Memory“, den Maite Alberdi über den an Alzheimer erkrankten Augusto und seine Frau Paulina gedreht hat. Gewagt ist der Film, weil darin ein Paar ihr Leid mit anderen teilt. Das finde ich besonders stark in diesem Film. Wie denkst du darüber? Was ist dir besonders aufgefallen? Gab es bestimmte Szenen, die dir in Erinnerung bleiben werden?
nos: Hallo Marc, ich stimme dir vollkommen zu: Der Film ist wirklich gewagt – und vor allem auch sehr intim. Immerhin geben Paulina und Augusto sehr tiefe Einblicke in ihr Privatleben und ihren Alltag, der sehr von Augustos Krankheit geprägt ist. Die Regisseurin beziehungsweise das Paar scheut sich dabei nicht, unschöne Bilder, also schlichtweg die Realität zu zeigen – zum Beispiel, wenn Paulina ihren Mann wäscht und ihm beim Abtrocknen nach der Dusche hilft. Viel ergreifender finde ich allerdings die Szenen, in denen diese außergewöhnliche Liebe zwischen Paulina und Augusto zum Vorschein kommt. Eigentlich lernt er seine eigene Frau jeden Tag wieder aufs
Neue kennen. Sie erzählt ihm immer wieder von ihren gemeinsamen Erlebnissen und ihrer Beziehung zueinander, um seine Erinnerungen aufzufrischen. Jeden Tag verliebt Augusto sich neu in Paulina. Und gleichzeitig spürt man als Zuschauer, dass zwischen den beiden seit jeher eine tiefe Verbundenheit besteht.
Dass ein Paar gemeinsam gegen das Vergessen ankämpft und somit Augustos Identität als auch ihre gemeinsame Identität als Paar wahren möchte, finde ich einfach sehr berührend und aufwühlend zugleich. Eine Szene, die mir sicherlich in Erinnerung bleiben wird, ist, als Paulina und Augusto in einem Restaurant sitzen und sich benehmen, als sei es ihr erstes gemeinsames Date. Er macht ihr immer wieder Komplimente, sie flirtet mit ihm. Diese Szene hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, gleichzeitig hat sie mich traurig gestimmt, da man eigentlich weiß, dass das Paar sich schon seit über 20 Jahren kennt. Welche Szene ist dir denn besonders in Erinnerung geblieben? Mich würde aber auch interessieren, ob du diese Liebe zwischen Paulina und Augusto auch so zärtlich und stark wahrgenommen hast?
mt: Hallo Nora, ja es stimmt: Die Liebe steht ganz besonders im Mittelpunkt dieses Films. Das Paar hat erst spät zusammengefunden und auch spät geheiratet. Paulina ist Augustos zweite Frau. Schade finde ich, dass man nichts über die erste Frau und Mutter der beiden Kinder von Augusto erfährt. Ich muss sagen, ich war auch etwas verwundert, wie körperlich fit sich Augusto trotz seiner Krankheit im Film zeigt. Das verdeutlicht natürlich auch, wie heimtückisch diese Krankheit ist. Im Film gibt Augusto das Bild eines gesunden Senioren ab, dabei herrscht in seinem Kopf Verwirrung und vermutlich Traurigkeit, bestimmt aber auch Wut über das, was in ihm vorgeht, auch wenn er nie mit seinem Schicksal hadert. Man sieht ihm an, wie er mit viel Schelm versucht, seine Krankheit zu überspielen. Mit Humor, mal mit einem Lächeln, so als wolle er auf diese Art die Liebe und Fürsorge, die ihm seine Frau entgegenbringt, erwidern.
Die Alzheimer-Krankheit trifft selten nur eine Person, sondern immer auch das Umfeld des Kranken. Ein Mensch ist eben nicht nur ein lebendiger Körper, sondern auch ein soziales Wesen. Hier trifft es ein Paar. Das erkennt man an den Tränen von Paulina. Und besonders berührend – im Sinne von erschreckend – fand ich die Szene, in der Augusto sich eines Nachts selbst im Spiegel des Badezimmers nicht mehr erkennt. Filmtechnisch hat mich übrigens an „The Eternal Memory“anfangs etwas die Kameraführung verwirrt. Wer hat die Bilder gedreht? Die Dokumentarfilmerin oder Paulino? Ich brauchte etwas Zeit, um zu verstehen, dass die Kamera meistens nur lief und oft deshalb ganz unscharf Alltagsszenen aufzeichnete. Wie hast du das empfunden?
nos: Hallo Marc, ich erinnere mich an die Szene mit dem Spiegel! Die war tatsächlich sehr schockierend. Was die Kameraführung betrifft: Ich verstehe, was du meinst, wirklich verwirrend fand ich das aber nur bedingt. Ich denke ja, dass einige der Szenen von der Dokumentarfilmerin Maite Alberdi aufgenommen wurden. Gleichzeitig wurden in Paulinas und Augustos Haus vermutlich aber auch Kameras installiert, die das Paar unauffällig aus ganz unterschiedlichen Perspektiven filmt: Mal aus irgendeiner Ecke, mal von einem Beistelltisch aus. Wenn ich mich richtig erinnere, hat Paulina aber auch selbst einige Male die Kamera in der Hand beziehungsweise man sieht, wie sie das Gerät anschaltet. Im Nachhinein hat die Dokumentarfilmerin sich wohl die aussagekräftigsten Szenen ausgesucht und diese dann zusammengeschnitten. Wie gefiel dir denn die Mischung aus den rezenten Aufnahmen und den privaten Aufnahmen, die immer wieder dazwischen eingeblendet wurden?
mt: Hallo Nora, die Familien-Souvenirs-Fotos und Ferienbilder, aber auch die Reportagen, für die Augusto als Journalist vor der Kamera stand, empfand ich als Mehrwert dieses Films. Das hatte einen sehr familiären, einen biografischen und auch einen historischen Charakter: Fotos von Augusto mit seinen Kindern, Urlaubsfilme am Strand, und die aufgewühlte Vergangenheit Chiles unter Pinochet … Die große Geschichte, die Augusto Góngora aufgezeichnet hat, um das Pinochet-Regime nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, verwebt sich mit der sehr intimen Geschichte eines Mannes, der sein Gedächtnis verliert. Das ist der besondere Zauber, der diesem Film anhaftet.
Der Film „The Eternal Memory“von Maite Alberdi lief beim Luxembourg City Film Festival im Wettbewerb des Dokumentarfilms und war auch im Rennen um den diesjährigen Oscar des Dokumentarfilms. Den hat übrigens ein anderer Film gewonnen, „20 Days in Mariupol“von Mstyslav Chernov, der auch beim Festival lief, im Off-Programm.