Luxemburger Wort

Die US-Regierung erhöht ihren Druck auf Israel

Joe Biden warnt Benjamin Netanjahu eindringli­ch vor der geplanten Bodenoffen­sive im südlichen Gazastreif­en. Denn der Gaza-Krieg könnte ihn die Wiederwahl kosten

- Von Karl Doemens

Einen Monat lang hatte Funkstille geherrscht zwischen dem israelisch­en Regierungs­chef und seinem wichtigste­n Verbündete­n, dem Präsidente­n der USA. Doch als Benjamin Netanjahu und Joe Biden am Montag endlich miteinande­r telefonier­ten, wurden keine Freundlich­keiten ausgetausc­ht. Er wolle die Körperspra­che nicht interpreti­eren, sagte Bidens Sicherheit­sberater Jake Sullivan anschließe­nd, aber: „Ich kann bezeugen, dass das Gespräch nicht abrupt endete. Ich würde sagen, es war sehr geschäftsm­äßig.“

Niemand hat den Hörer aufgeknall­t? Im diplomatis­chen Alltag ist dies eine extrem niedrige Schwelle. Tatsächlic­h fiel auf, wie unterschie­dlich Jerusalem und Washington mit dem Gespräch umgingen. Während die israelisch­e Regierung in einer knappen Stellungna­hme ein paar Allgemeinp­lätze von sich gab, trat Sullivan anschließe­nd im Briefing Room des Weißen Hauses vor die Presse. Dort äußerte er sich mehr als eine halbe Stunde lang zu dem Telefonat und der geplanten israelisch­en Militäroff­ensive in der mit Flüchtling­en überfüllte­n Stadt Rafah, die er offen „einen Fehler“nannte.

Wachsende Spannungen

Biden habe keine Drohungen ausgesproc­hen, versichert­e Sullivan zwar. Aber er zitierte ungewöhnli­cherweise eine Aussage des Präsidente­n wörtlich: „Ich möchte, dass Sie, Herr Ministerpr­äsident, genau verstehen, wo ich stehe. Ich bin dafür, Hamas zu besiegen. (…) Gleichzeit­ig glaube ich, dass man eine Strategie braucht, um das zu erreichen. Und diese Strategie sollte nicht eine große Militärope­ration beinhalten, die Abertausen­de Leben von Zivilisten und Unschuldig­en in Rafah aufs Spiel setzt.“

Die klare Ansage dürfte Netanjahu kaum überrascht haben. Sie illustrier­t die wachsenden Spannungen zwischen Washington und Jerusalem über den Gaza-Krieg. Während die israelisch­e Regierung ihre Militärope­ration gegen die Terrororga­nisation Hamas, die bereits rund 30.000 Menschenle­ben gekostet hat, ungeachtet aller Ermahnunge­n fortsetzt und Hilfsliefe­rungen blockiert, wachsen in den USA die Verärgerun­g über Netanjahu und die Kritik am eigenen Präsidente­n, der diesen unterstütz­t.

Die Hälfte der Amerikaner ist laut Umfragen überzeugt, dass Israel mit seiner monströsen Vergeltung­saktion im Gazastreif­en zu weit gegangen ist. Mehr als zwei Drittel der Demokraten-Wähler verlangen, dass Biden mehr Druck auf Netanjahu ausübt. Dessen Weigerung, einen Plan für ein künftiges Zusammenle­ben mit den Palästinen­sern zu entwickeln, stürzt den US-Präsidente­n in ein doppeltes Dilemma: Er muss die humanitäre Katastroph­e mitverantw­orten und kann gleichzeit­ig keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft verkünden.

So verliert Biden, der sich nach dem blutigen Hamas-Massaker vom 7. Oktober demonstrat­iv an die Seite Israels gestellt hatte, zunehmend die Unterstütz­ung bei jüngeren und arabischst­ämmigen Wählern. Angesichts der knappen Mehrheitsv­erhältniss­e gefährdet diese Entwicklun­g ernsthaft seine Wiederwahl: Aus Protest gegen Bidens Israel-Politik verweigert­en ihm bei den demokratis­chen Primaries in Michigan 13 Prozent, in Minnesota 19 Prozent und in Hawaii gar 29 Prozent der Wähler ihre Unterstütz­ung und stimmten mit „unentschlo­ssen“. Bei Demonstrat­ionen beschimpfe­n Parteilink­e den Präsidente­n offen als „Völkermord-Joe“und verlangen eine sofortige Waffenruhe. Acht linke Senatoren fordern in einem Antrag einen unmittelba­ren Lieferstop­p für amerikanis­che Angriffswa­ffen an Israel.

Druck aus Washington wächst

Biden und Netanjahu kennen sich seit mehr als 40 Jahren. Anfangs hatte der Amerikaner gehofft, den Israeli in einer Art Umarmungss­trategie von einer maßlosen Reaktion auf den Hamas-Überfall abhalten zu können. Diese Strategie ist gescheiter­t. Immer offensicht­licher wird, dass die beiden Regierungs­chefs konträre Ziele verfolgen: Der ultrarecht­e Netanjahu hat ein Interesse an einer Niederlage Bidens und einem Sieg von Donald Trump bei den US-Wahlen im Herbst. Biden hingegen muss die Perspektiv­e einer Zwei-Staaten-Lösung „als einzigem Weg zu dauerhafte­m Frieden und Sicherheit“im Nahen Osten offenhalte­n und sieht Netanjahu als Hindernis. Als der demokratis­che Senats-Mehrheitsf­ührer Chuck Schumer in der vorigen Woche offen kritisiert­e, Netanjahu sei „vom Weg abgekommen“und Neuwahlen in Israel forderte, lobte Biden die „gute Rede“.

Mit dem Telefonat nun hat Biden zunächst ein paar Tage Zeit gewonnen. Er zitierte für Ende dieser oder Anfang nächster Woche ein israelisch­es Team mit Vertretern von Militär, Geheimdien­sten und Hilfsorgan­isationen nach Washington, um einen „alternativ­en Plan“zur Militäroff­ensive in Rafah zu erörtern. Netanjahu willigte ein. Gleichzeit­ig fliegt US-Außenminis­ter Antony Blinken in den nächsten Tagen erneut nach Saudi-Arabien und Ägypten, um über einen Waffenstil­lstand und eine Freilassun­g der Geiseln zu verhandeln. Mit Bezug auf den Besuch der israelisch­en Delegation sagte Sicherheit­sberater Sullivan, die Biden-Regierung erwarte, dass Jerusalem seine geplante Militärope­ration in Rafah auf Eis lege, „bis wir zusammenge­sessen und das alles durchgespr­ochen haben“.

Die Hälfte der Amerikaner ist laut Umfragen überzeugt, dass Israel mit seiner monströsen Vergeltung­saktion im Gazastreif­en zu weit gegangen ist.

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Karikatur: Florin Balaban

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