Promovierter Jurist wegen Hassgraffiti angeklagt
Trotz erdrückender Beweislast bestreitet Pierre D. die Taten. Das Gericht muss klären, ob der Mann schuldfähig ist
Ende Januar 2020 wird in Luxemburg-Stadt Hass versprüht. Graffiti bezeichnen mehreren Personen, darunter dem damaligen Regionaldirektor einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, unter anderem als Nazi. Auf einer Wand in der Rue de Bouillon ist eine klare Drohung zu lesen: „Je te tuerais nazi“.
Insgesamt gehen in diesen Tagen 27 Anzeigen bei der Polizei ein. Die Spur führt die Ermittler schnell zu einem damals 39jährigen Mann. Als sie ihn in der Nacht zum 30. Januar in seiner Wohnung antreffen, sind Hände und Kleidung von Pierre D. rot gefärbt.
Trotz erdrückender Beweislast bestreitet der Mann bis heute für die Schriftzüge verantwortlich zu sein. Am Montag musste er sich vor Gericht verantworten. Der Angeklagte erschien jedoch nicht zum Prozess, sondern ließ sich von seinem Anwalt vertreten. Der Mann soll die Taten offenbar in einem psychischen Ausnahmezustand begangen haben.
Pierre D. ist promovierter Jurist, arbeitet jahrelang als Anwalt und ist in der Geschäftswelt bekannt. Nach seiner Festnahme wird er auf Anordnung der Staatsanwaltschaft in eine Psychiatrie eingewiesen. Später kommt er in Untersuchungshaft.
Eine leere verschimmelte Wohnung
Ein psychiatrisches Gutachten liefert indes kein endgültiges Urteil über die Schuldfähigkeit des Mannes. Wie ein Sachverständiger am Montag vor Gericht erklärt, habe eine Untersuchung dafür zu wenige Elemente geliefert. Der Mann habe sich geweigert, sich zu den Taten zu äußern. „Den
Examen ass séier gemaach, wann een net schwätzt“, so der Gutachter. Das Verhalten des Angeklagten deute aber darauf hin, dass er unter einer Paranoia gelitten habe. Sein Urteilsvermögen sei zur Tatzeit wahrscheinlich eingeschränkt, aber noch vorhanden gewesen.
„Et huet een wuel gesinn, dat en duercheeneen war“, erinnert sich ein Polizist im Zeugenstand an die Nacht zum 30. Januar 2020. Pierre D. habe davon gesprochen, von einer Sekte verfolgt zu werden. Der Mann habe behauptet, er habe einen Mikrochip in einem Zahn, der nicht entfernt werden dürfe. In der Wohnung des Mannes habe sich nur noch eine Matratze befunden, die anderen Räume seien mit Schlössern versperrt gewesen. Überall sei Schimmel gewesen.
Kurz zuvor war der Mann zweimal im Empfang einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorstellig geworden. Pierre D. sei sofort aufgefallen, erinnert sich eine Zeugin. „Et war net den typischen Client mat enger Auer vu 30.000 Euro“, ergänzt der Vorsitzende Richter. Zunächst sei der Angeklagte verärgert gewesen, dann sei er mit einem Buch in der Hand zurückgekommen. „Et war schockant, wéi eng Rou en hat“, erinnert sich die Frau. Heimlich habe sie den Mann gefilmt. Unter anderem aufgrund dieser Aufnahmen und handschriftlicher Notizen in dem übergebenen Buch konnte Pierre D. später als mutmaßlicher Täter identifiziert werden.
Bereits im November 2019 auffällig
In dem Buch sah der 39-Jährige offenbar den Beweis dafür, dass unter anderem der Regionaldirektor des Unternehmens ein flüchtiger Nazi sei. Ein Exemplar hinterließ er auch in der Abgeordnetenkammer und im Rathaus der Hauptstadt. Unterdessen hatte sich der Mann bereits im November 2019 in einem Brief mit schweren Vorwürfen gegen eine Baufirma an die Staatsanwaltschaft, das Parlament und RTL gewandt. Dessen Teilhaber seien Teil einer „lokalen Mafia“und betrieben Steuerhinterziehung und Geldwäsche im großen Stil.
Für die Vorwürfe habe es jedoch keinerlei Beweise gegeben, wie die Vertreterin der Staatsanwaltschaft vor Gericht betont. Sie hält den Mann für schuldfähig. Reue und Einsicht habe Pierre D. während des Verfahrens nicht gezeigt. „Et gesäit een, dat en et haut mol net fir néideg fonnt huet, fir opzekräizen“, so die Anklägerin. Dabei habe er durch seine Taten eine Vielzahl von Opfern hinterlassen. Pierre D. sei unter anderem wegen Todesdrohung, Anstiftung zum Hass, Beleidigung und übler Nachrede zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten und einer Geldstrafe zu verurteilen.
Trotz aller Beweise bestreite sein Mandant weiterhin die Taten, betont der Anwalt des Angeklagten. Er fordert das Gericht auf, ein weiteres psychiatrisches Gutachten anzuordnen. Schließlich sei die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht eindeutig beantwortet worden.
Bei dem Mann sei eine psychische Erkrankung der Auslöser für die Taten gewesen. Ein Umstand, der zur Schuldunfähigkeit oder zumindest zu stark mildernden Umständen führen müsse. Bei einer Verurteilung müsse deshalb eine Aussetzung der Urteilsverkündung (Suspension du prononcé) in Betracht gezogen werden. Dabei stellt das Gericht die Schuld des Angeklagten fest, verhängt aber keine Strafe.
Das Urteil ergeht am 25. April.