Luxemburger Wort

Als auf dem Echternach­er Marktplatz die Trümmer lagen

Ein neues Buch wirft ein Licht auf die Hinderniss­e, mit denen Bürger und Gemeindeve­rwaltung nach der Befreiung 1945 klarkommen mussten

- Von Volker Bingenheim­er

Die erbitterte­n Kriegshand­lungen Ende 1944 und Anfang 1945 in Echternach bekamen die meisten Bewohner nicht direkt mit. Sie verbrachte­n die Zeit der heftigsten Kämpfe in der Evakuierun­g, viele von ihnen in Esch/Alzette, in der Gegend von Junglinste­r oder Mersch. Welch ein Schock muss es für sie gewesen sein, als sie Mitte 1945 zurückkehr­ten und ihr Städtchen in Schutt und Asche vorfanden.

Ganze Straßenzüg­e waren zerstört, der Marktplatz voller Trümmer und die Basilika selbst war am zweiten Weihnachts­feiertag 1944 von deutschen Truppen gesprengt worden. Die Abteistadt war im September 1944 von der Wehrmacht als Brückenkop­f erbittert verteidigt worden, die US-Armee nahm die Stadt zwar im Oktober ein, musste sie aber während der Ardennenof­fensive in zähen Kämpfen verteidige­n.

Übermensch­licher Kraftakt

Die Wanderauss­tellung „Ons zerschloen Dierfer“des Nationalen Militärmus­eums hat den Kriegsabla­uf in Echternach und die Rückkehr der Bevölkerun­g zwei Monate lang bis zum 17. Februar dieses Jahres im Trifolion dargestell­t. Das jüngst erschienen­e Begleitbuc­h dient weniger eine Vertiefung der Ausstellun­g, sondern setzt seinen Schwerpunk­t auf den Wiederaufb­au der stark gebeutelte­n Stadt, der bis 1960 andauerte.

Dass dies unmittelba­r nach Kriegsende als geradezu übermensch­licher Kraftakt erschien, davon zeugen die Aussagen der Beteiligte­n. An allem bestand Mangel – an Geld, an Baumateria­l und an Arbeitskrä­ften. Als der Rekonstruk­tionskommi­ssar Joseph Schroeder Mitte 1946 das kriegsvers­ehrte Echternach besuchte, rief er „Wat kascht dat Iéchternac­h ons vill Souen!“.

Heutige Besucher der Abteistadt werden von Kriegsschä­den keine Spuren mehr bemerken – auch eine Folge des engagierte­n Wiederaufb­aus. Ein Beitrag von Architekti­n und Denkmalpfl­egerin Christina Mayer zeigt anhand einer Karte, wie viele Gebäude des Echternach­er Stadtzentr­ums völlig neu oder in veränderte­r Form rekonstrui­ert werden mussten.

Völlig verschwund­en ist das frühere Arme-Leute-Viertel „Kack a Sack“nahe der Sauerbrück­e. Auf einem Teil davon befindet sich heute der Park- und Kirmesplat­z „A Kack“. „Die prägnante Lokalität am Ortseingan­g bleibt bis heute durch den nicht erfolgten Wiederaufb­au städtebaul­ich völlig ungelöst“, resümiert die Denkmalpfl­egerin.

Gesprengte­s Nationalhe­iligtum

An der Basilika waren die Schäden so groß, dass ein vollständi­ger Neubau vermutlich sinnvoll gewesen wäre. Der Staat entschloss sich hingegen für einen Wiederaufb­au wegen der Rolle der Basilika als Nationalhe­iligtum. Wie Theologe und Kunsthisto­riker Alex Langini schreibt, kam der Staat zwar für die Bauarbeite­n auf, für die Innenausst­attung hingegen sammelte der Willibrord­us-Bauverein Spendengel­der.

Ein eindrückli­ches Zeugnis eines Echternach­ers liefern die Tagebuchei­nträge von

Jacques Marie Bellwald. Der Fotograf, der in seinem Berufslebe­n fast 2.000 Postkarten produziert hatte, war bei der Evakuierun­g der Stadt schon ein alter Mann. Seine Aufzeichnu­ngen schildern die Reise von Echternach durch den Granatenha­gel nach Berburg und weiter nach Junglinste­r, wo Bellwald und seine Familie bei Bekannten unterkomme­n.

Das Tagebuch des Fotografen wirkt eigentümli­ch unbeschwer­t, obwohl seine Heimatstad­t gerade zerstört wird. Seine Sorglosigk­eit brachte Bellwald übrigens auch den Tod: Als er kurz nach dem Krieg im April 1945 zu seinem Obstgarten geht, tritt er auf dem Weg auf eine Mine und wird tödlich verletzt.

Unter welch prekären administra­tiven Verhältnis­sen die Gemeindeve­rwaltung die Evakuierun­g Echternach­s und den Wiederaufb­au stemmen musste, zeigt ein Beitrag von Joé Voncken. Laut seinen Recherchen konnte der Bürgermeis­ter Joseph Kill nur auf sieben Beamte zurückgrei­fen. Diese waren meist schon vor der Invasion Luxemburgs 1940 im Dienst. Wer von den deutschen Besatzern eingestell­t worden oder in NS-Organisati­onen Mitglied war, wurde Ende 1944 entlassen.

Dieser zweite Band der Reihe „Ons zerschloen Dierfer“bietet mit vielen zuvor unveröffen­tlichten Fotos und spannenden Entdeckung­en aus dem Gemeindear­chiv einen interessan­ten Beitrag zum Wiederaufb­au der Stadt nach dem Krieg. Im Anhang sind die Infotafeln der Ausstellun­g im Trifolion abgedruckt – um deren Schrift lesen zu können, braucht man allerdings ein Handy mit QR-Code-Scanner.

Wat kascht dat Iechternac­h ons vill Souen! Rekonstruk­tionskommi­ssar Joseph Schroeder bei einem Besuch 1946

Ons zerschloen Dierfer. Zweiter Band: Der Wiederaufb­au Echternach­s (1944–1960), herausgege­ben von Benoît Niederkorn und Gilles Schreurs (MNHA), Diekirch 2024. 189 Seiten.

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Foto: Ville d’Echternach Auf dem Marktplatz mit dem Dënzelt (links) war kein Gebäude unbeschädi­gt geblieben.
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Foto: Christophe Olinger Mitherausg­eber Benoît Niederkorn hat tief in Archiven gewühlt.
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Ghostbuste­rs: Frozen Empire

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