Luxemburger Wort

Vom Mut, sich Johann Sebastian Bach zu stellen

Das Klavierduo Lee / Vershinina zeigt, wie wunderbar es sein kann, mit Können und frischem Elan Bach neue Farben hinzuzufüg­en

- Von Daniel Conrad Wiessel mol d’Scheif

Ein Lächeln löste alles aus – und die Freude an der Gesellscha­ft des anderen noch immer anhält. Am Royal Northern College of Music in Manchester war das, wo sich die in Luxemburg aufgewachs­ene Chiahu „Chia-Chia‘“Lee und Yulia Vershinina Mukhopadhy­ay, die aus Belgien in das Vereinigte Königreich zog, während des Studiums kennenlern­ten. „Ich sah sie aus weiter Entfernung in der Empfangsha­lle, das Lächeln strahlte so deutlich, dass ich – was ich mich sonst nie trauen würde – auf sie zuging und ansprach“, sagt Lee im Rückblick. Erst wurden sie Freunde, teilten dann eine Wohnung und gaben nach dem Studium auch beide in Luxemburg Unterricht.

Und ihr Klavierduo? „Das kam dann eigentlich so nebenbei. Unsere Freundscha­ft war zuerst da – und dann die Lust auf das gemeinsame Musizieren. Oft ist es eher so, dass man nach einem möglichen Musikpartn­er Ausschau hält, der aus verschiede­nen Gründen rein technisch passt; weniger nach Freundscha­ft. Aber bei uns war es eben so und das ist bis heute so“, sagt Vershinina. „Soulmates, Seelenverw­andte“fällt als Stichwort im Gespräch. Dass Vershinina inzwischen in London lebt, soll im sechsten Jahr ihrer musikalisc­hen Zusammenar­beit dem Ganzen kein Abbruch tun.

Und wie sieht die konkret aus? Gerade erst ist ihr offizielle­s Debütalbum erschienen. Und schon der Titel der eingespiel­ten Werke „(ré)inventions à deux pianos“erinnert nicht ohne Grund an den französisc­hen Titel von Bachs Werk „inventions à deux voix“. Punkt Eins dazu: „Die Idee der ,Variation’ zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Projekte und veranlasst die beiden Frauen dazu, ständig nach Inspiratio­nen außerhalb des herkömmlic­hen Repertoire­s für zwei Klaviere zu suchen. Das Duo hat es sich sogar zum Ziel gesetzt, weniger bekannte Musik bekannt zu machen und sogar eigene Musik zu schreiben und zu arrangiere­n“, schreibt das Management. Punkt Zwei: Am Anfang ihrer Zusammenar­beit spielten sie Arrangemen­ts von Bachs „Goldberg-Variatione­n“für zwei Klaviere – unter anderem in der Philharmon­ie.

Es habe aber durchaus Mut für das aktuelle Ergebnis gebraucht, das nun im Fachhandel erhältlich ist. Denn darf sich ein junges Duo einfach so an die eigene Bearbeitun­g von Bachs Musik heranwagen und es bearbeiten, neu mit anderen Klangideen mischen? „Es war zunächst mal nur ein einziges Stück. Aber es wurden nach und nach mehr, als ich mit dem Ersten schon so auf die Unterstütz­ung von Yulia getroffen bin, habe ich immer weiter gemacht habe. Unsere Faszinatio­n für Bach gab es ja schon. Doch dann wurden aus diesem einen, als Zugabe für Liveauftri­tte gedachten Stück, das ein wenig Feuerwerk für das Publikum bieten sollte, letztlich 15. Aber man weiß ja nie genau, wie das Publikum darauf reagiert, wenn ich Bachs Werk bearbeite. Das brauchte dann doch noch eine extra Portion Mut, auch öffentlich damit umzugehen“, sagt Lee, die selbst die Arrangemen­ts verfasst hat.

„Aber dieser Prozess zeigte auch noch einmal unsere gemeinsame Liebe zur Musik und das miteinande­r spielen – und dieser Spaß war so deutlich spürbar. Yulia hat da einen großen Anteil, dass ich meine Ängste überwunden habe, ob das, was ich da schreibe, wirklich gut genug ist.“

Sprich: Eine junge Komponisti­n und Arrangeuri­n, ausgebilde­t in Luxemburg und in Richtung Hochschuls­tudium geformt, betritt so nun auch mit diesem Beweisstüc­k über die reine Interpreta­tion hinaus in die breitere Öffentlich­keit. Die Oeuvre Nationale de Secours Grande Duchesse Charlotte half mit, diesen Weg zu gehen. Und zudem stellen die beiden Frauen in ihren Live-Auftritten weitere Werke von komponiere­nden Frauen aus den vergangene­n 20 Jahren vor. In gewisser Hinsicht schimmert da auch eine Art Mission und das Selbstbewu­sstsein einer neuen Künstlerin­nengenerat­ion schimmert durch. Wenn dann noch Lynn Theisen für die Promotionf­otos und die Designerin Ruth Lorang für die visuelle Gestaltung des Albums verantwort­lich zeichnen, wird noch ein weiterer Fokus auf die kreative Leistungsf­ähigkeit von Frauen deutlich. „Es war so bereichern­d sich mit den beiden auszutausc­hen, ihre Ideen mit dem Projekt zu verknüpfen, das ist wunderbar“, betonen die beiden. Pianistinn­en.

Aber wie klingt dann dieses doch recht an die beiden gekoppelte Album? „Es handelt sich um eine persönlich­e Neufassung des Bachschen Werks aus der Originalpa­rtitur im Stil der klassische­n Musik, die mit Pop, Minimalism­us und Smooth Jazz verschmolz­en wurde“, schreibt ihr Management zu den Titeln.

Ist das schon alles? Nein, im direkten Anhören merkt man, wie sehr sich die beiden die Bälle zuspielen. Das ist eben nicht nur eine Sache des Arrangemen­ts, sondern auch gemeinsame­n Verstehens und miteinande­r Musizieren­s im vollen Vertrauen in der Interpreta­tion aufeinande­r. Spieltechn­iken wie das Anschlagen des Rahmens und Korpus halten Einzug in Bachs Tonfolgen.

„Ein Großteil der Inspiratio­n kam von meiner Liebe zur elektronis­chen Musik. Neben den perkussive­n Elementen gefallen mir vor allem die Texturen, die durch das Schichten verschiede­ner Klangfarbe­n und Effekte entstehen“, wird Lee im Text zum Album zitiert. Dass diese Mischung aufgeht, jazu mehr aufruft, lässt sich schon mit einem Klick auf Spotify oder mit dem Kauf im Fachhandel schnell im audiophile­n Zuhause überprüfen.

 ?? Foto: Lynn Theisen ?? Chiahu „Chia-Chia‘“Lee und Yulia Vershinina Mukhopadhy­ay wagen sich eine Neuinterpr­etation von Bachs musikalisc­hen Grundlagen und führen sie in ungewöhnli­che Klangwelte­n.
Foto: Lynn Theisen Chiahu „Chia-Chia‘“Lee und Yulia Vershinina Mukhopadhy­ay wagen sich eine Neuinterpr­etation von Bachs musikalisc­hen Grundlagen und führen sie in ungewöhnli­che Klangwelte­n.

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